Reduziert ein Auftraggeber in einem laufenden Vergabeverfahren den Leistungsumfang, muss er den Bietern in jeder Lage des Verfahrens Gelegenheit geben, hierauf zu reagieren. Das gilt auch dann, wenn die Angebote bereits geöffnet wurden. Das OLG Düsseldorf hat nun klargestellt: Jedes andere Vorgehen verstößt gegen die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung.
Gegenstand des Verfahrens war eine europaweite Ausschreibung von Verkehrssicherungsarbeiten, mit denen die Bauarbeiten auf einer Bundesautobahn gesichert werden sollten. Als Zuschlagskriterium gab die Vergabestelle den niedrigsten Preis an. Die Antragstellerin, ein Bauunternehmen, führte bereits zuvor einen gleichartigen Auftrag für die Vergabestelle (Antragsgegnerin) aus. Nach Öffnung der Angebote beauftragte die Vergabestelle die Antragstellerin im Wege eines Nachtrags zu diesem Vorauftrag mit Leistungen, die eigentlich Gegenstand der laufenden Ausschreibung sein sollten. Kurz darauf informierte sie die Antragstellerin darüber, dass sie den noch verbleibenden Auftrag an ein anderes Unternehmen, die Beigeladene, vergeben wolle.
Hiergegen setzte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag zur Wehr. Sie machte geltend, dass die Vergabestelle nach Reduzierung des Leistungsumfangs verpflichtet gewesen wäre, allen Bietern die Gelegenheit zur Überarbeitung ihrer Angebote zu geben. Es sei nicht zulässig, erst das Angebot der Beigeladenen zu bezuschlagen und danach den Auftragsumfang durch eine Teilkündigung an die veränderte Lage anzupassen. Nachdem die Vergabekammer den Antrag zurückgewiesen hatte, war die anschließende Beschwerde erfolgreich – der Vergabesenat des OLG Düsseldorf folgte den Argumenten der Antragstellerin.
Erschöpfende und eindeutige Leistungsbeschreibung fehlt
Die unterbliebene Aufforderung zur Überarbeitung der Angebote verstößt gegen das Gebot der erschöpfenden und eindeutigen Leistungsbeschreibung gemäß § 9 Nr. 1 S. 1 VOB/A 2006 und gegen die Verpflichtung zur Feststellung aller die Preisermittlung beeinflussenden Umstände in den Vergabeunterlagen nach § 9 Nr. 3 S. 1 VOB/A 2006. Die Vorschriften konkretisieren die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz (§ 97 Abs. 1 GWB) und der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB). Sie stellen sicher, dass die eingehenden Angebote miteinander vergleichbar sind. Hierzu ruft der Senat unter Bezugnahme auf den BGH (Urteil vom 22.07.2010, VII ZR 213/08) zunächst nochmals in Erinnerung:
„Das Transparenzgebot verlangt, dass alle für die Zuschlagsentscheidung maßgeblichen Umstände den Bietern so bekannt gemacht werden, dass sie bei Anwendung der üblichen Sorgfalt deren genaue Bedeutung verstehen und in gleicher Weise auslegen können und der Auftraggeber prüfen kann, ob die Angebote der Bieter die für den Auftraggeber geltenden Kriterien erfüllen.“
Mit diesen Grundsätzen ist es nicht zu vereinbaren, wenn der Auftraggeber den Leistungsumfang im laufenden Vergabeverfahren reduziert, ohne den Bietern Gelegenheit zur Überarbeitung ihrer Angebote zu geben.
Kein Widerspruch zum Transparenzgebot
Zwar erkannte auch die Vergabekammer an, dass der geänderte Leistungsumfang dazu führen kann, dass Angebote miteinander verglichen werden, in denen kalkulatorisch unterschiedliche Ansätze für Leistungen enthalten sind, die nicht notwendig in die Kalkulation hätten eingestellt werden müssen. Ist ein Angebot gerade wegen der nicht (mehr) benötigten Leistungen das annehmbarste, sieht sie das Risiko, das für die tatsächlich nachgefragte Leistung nicht der beste Wettbewerber ausgewählt wird. Dieses Risiko bestand hier im Besonderen, da der niedrigste Preis das einzige Zuschlagskriterium war.
Die Vergabekammer erblickte hierin jedoch keine Verletzung des Transparenzgebots. Vielmehr sei ein transparenter Wettbewerb mit einer beliebig oft wiederholbaren Angebotsabgabe nicht vereinbar. Ansonsten könne die Vergabestelle nach Kenntnis der Angebotsinhalte den Leistungszuschnitt ändern und die Bieter neue Angebote abgeben lassen. So könne sie gezielt dem Vertragsschluss mit einem nicht genehmen Bieter entgehen oder einem favorisierten Bieter eine erneute Chance verschaffen. Angesichts dieses Missbrauchsrisikos müsse der Transparenzgrundsatz zurückstehen.
Dem trat das OLG Düsseldorf entgegen:
„Ob der Auftraggeber vor oder nach Submission den Bietern Gelegenheit zu einer Änderung ihrer Angebote einräumt, steht aber gerade nicht in seinem Belieben. Ob eine Änderung des Leistungsumfanges auf willkürlichen und sachfremden Erwägungen beruht, ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen uneingeschränkt zu kontrollieren, so dass die von der Vergabekammer und dem Antragsgegner beschriebene Manipulationsgefahr tatsächlich nicht besteht.“
Deshalb, so der Vergabesenat, ist eine Vernachlässigung des Transparenzgebots nicht erforderlich.
Praxishinweis
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf betrifft einen praxisrelevanten Fall. Es sind viele Gründe denkbar, aufgrund derer eine Reduzierung des Leistungsumfangs im laufenden Vergabeverfahren erforderlich wird. Der Bedarf an Teilen der Leistung kann beispielsweise aus technischen Gründen wegfallen, weil sich unerwartet herausstellt, dass die Leistung nicht benötigt wird oder ausgeführt werden kann. Sie kann aus rechtlichen Gründen nicht mehr ausführbar sein, etwa weil Umweltvorschriften entgegenstehen, die erst während des Vergabeverfahrens in Kraft getreten sind. Sie können aber auch vorgezogen werden, weil sie besonders eilbedürftig sind oder weil sie – wie hier – bereits als Nachtrag zum vorausgehenden Auftrag ausgeführt wurden.
Zwar betrifft der Beschluss vom 26.10.2010 nur die Entscheidung über den Antrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde. Deshalb spricht der Vergabesenat auch nur von „überwiegenden Erfolgsaussichten“. Allerdings ist mit einer anders lautenden Entscheidung angesichts der Klarheit der Ausführungen eher nicht zu rechnen.
Die Entscheidung ist auch unter der VOB/A 2009 von Bedeutung. Denn die Bestimmungen des § 9 Nr. 1 S. 1, Nr. 3 S. 1 VOB/A 2006 finden sich nahezu unverändert in § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VOB/A 2009 wieder. Auftraggeber sollten daher stets darauf achten, Bietern bei Änderungen des Leistungsumfangs im laufenden Vergabeverfahren Gelegenheit zur Überarbeitung ihrer Angebote zu geben. Die Einhaltung dieses Vorgehens ist keine lästige Förmelei, sondern liegt im Interesse des Auftraggebers am Erhalt miteinander vergleichbarer und wirtschaftlicher Angebote.
Der Autor Dr. Daniel Soudry, LL.M., ist Rechtsanwalt in der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK in Düsseldorf. Er berät Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Außerdem betreut er Projekte der öffentlichen Hand. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
Zwischenzeitlich hat das OLG Düsseldorf auch in der Hauptsache entschieden.
Das OLG Düsseldorf hat die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zwar zurückgewiesen. Dies jedoch nur, weil sich aus den vorgetragenen Tatsachen ergab, dass – entgegen der ursprünglichen Annahme – der Leistungsumfang nicht reduziert wurde.
Der Vergabesenat hält jedoch ausdrücklich daran fest, dass Bietern nach einer Reduzierung und ausdrücklich auch einer Erweiterung des Leistungsumfangs Gelegenheit gegeben werden muss, auf diese Korrektur zu reagieren. Und zwar auch, wenn die Angebote bereits geöffnet wurden.
(Beschluss vom 05.01.2011, VII-Verg 46/10, nachzulesen unter http://www.nrwe.de).