Rechtsschutz contra Recht auf Wahrung der Geschäftsgeheimnisse: EuGH-Urteil
Ein Spannungsfeld: Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens kommen regelmäßig auch solche Unterlagen auf den Tisch, die vertrauliche Informationen und Geschäftsgeheimnisse enthalten. Eine für die betroffenen Unternehmen im Einzelfall schwierige Abwägung zwischen Rechtsschutz und Wahrung des eigenen Know-hows. Der EuGH hatte zu entscheiden (Rs C-450/06, Urteil vom 14.2.2008), ob die Nachprüfungsstellen verpflichtet sind, die Vertraulichkeit dieser Unterlagen zu gewährleisten.
Im vorliegenden Fall ging es zwar um die Beschaffung von Rüstungsgütern in Belgien, aber auch abseits solcher Produkte enthalten eingereichte Angebote oft geschäftswesentliches Know-how und damit vertrauliche Informationen der Bieter, weshalb der Entscheidung grundsätzliche Bedeutung zukommt: Gegen die Bezugschlagung eines Bieters legte einer seiner Mitbewerber Klage auf Aufhebung der Auftragsvergabe ein. Im Nachprüfungsverfahren machte nun der Bezuschlagte geltend, sein Angebot enthalte Geschäftsgeheimnisse, dürfe daher nicht an den Mitbewerber weitergegeben werden. Das hiermit befasste Gericht wollte diese Frage nicht bewerten müssen und lege sie kurzerhand gem. Art 234 EG dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vor.
Der EuGH befand, dass die mit dem Nachprüfungsverfahren befasste Stelle die Vertraulichkeit und das Recht auf Wahrung der Geschäftsgeheimnisse für Angaben in den von Verfahrensbeteiligten übergebenen Unterlagen gewährleisten muß. Dabei sei es allerdings Sache der Nachprüfungsinstanz, zu entscheiden, ob und welche Unterlagen im Hinblick auf die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes bei gleichzeitiger Wahrung der Vertraulichkeit der Geschäftsgeheimnisse weitergegeben werden.
Vorliegend seien das Recht auf Wahrung der Geschäftsgeheimnisse gegen das Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes abzuwägen. Dabei müsse zwar zum einen das Recht auf Wahrung der Geschäftsgeheimnisse so ausgestaltet sein, dass es mit den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes im Einklang steht, so der EuGH. Zum anderen werde aber auch das Recht der Verfahrensbeteiligten, Beweismittel und Erklärungen einsehen zu können, nicht unbeschränkt gewährt, sondern könne zur Wahrung von Grundrechten Dritter oder zum Schutz wichtiger Interessen der Allgemeinheit eingeschränkt werden. Ein solches wichtiges Interesse der Allgemeinheit sei der freie und lautere Wettbewerb in den Mitgliedstaaten. Es obliege neben den öffentlichen Auftraggebern auch den Nachprüfungsinstanzen, diesen sicherzustellen, weshalb sie berechtigt seien, die hierfür erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dazu zähle auch Informationen aus der Vergabeakte nicht an Verfahrensbeteiligte weiterzugeben, wenn hierdurch der lautere Wettbewerb gefährdet würde.
Zur Bewertung dieser Frage müsse allerdings den Nachprüfungsinstanzen Zugang zu allen das Verfahren betreffenden – auch vertraulichen – Informationen gewährt werden.
Eine wichtige Entscheidung des EuGH, denn auch in der umgekehrten Fallkonstellation scheuen unterlegene Bieter nicht selten die Inanspruchnahme von Rechtsschutz, da sie befürchten, hierdurch Geschäftsgeheimnisse an Wettbewerber preiszugeben, und auch die Nachprüfungsinstanzen sind regelmäßig unsicher, welche Unterlagen der Verfahrensgegner einsehen darf und welche nicht.