Städtebauliche Verträge und kein Ende: Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags (Finanzamt Quedlinburg)

Die Europäische Kommission hat beschlossen, Deutschland ein förmliches Aufforderungsschreiben zu übermitteln. Grund ist die Vergabe eines öffentlichen Auftrags durch das Bundesland Sachsen-Anhalt zur Errichtung eines Gebäudes für das Finanzamt Quedlinburg. Die Aufforderung ergeht in Form einer „mit Gründen versehenen Stellungnahme“, der zweiten Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 226 EG-Vertrag. Erhält die Kommission binnen zwei Monaten keine zufriedenstellende Antwort, kann sie den Europäischen Gerichtshof anrufen.

Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens ist ein im Jahr 2008 zwischen dem Bundesland Sachsen-Anhalt und einem privaten Investor geschlossener Vertrag über die Ausführung von Bauarbeiten. Der Auftragsvergabe war keine Ausschreibung vorausgegangen.

Das Land hat von einem Investor ein Grundstück erworben, auf dem der Investor ein Verwaltungsgebäude errichten sollte. Der Gesamtauftragswert betrug etwa 7,4 Mio. Euro. Der Investor selbst hatte das Grundstück – im Hinblick auf die Ausführung der Arbeiten – vom vorherigen Eigentümer erworben.

Die Bundesregierung machte geltend, dass Hauptvertragsgegenstand nicht die Errichtung des Gebäudes, sondern der Erwerb des Grundstücks gewesen sei und dass es sich somit nicht um die Vergabe eines öffentlichen Bauauftrags gehandelt habe. Im Übrigen, so die Argumentation der Bundesregierung, habe sich der Eigentümer des Grundstücks, der nur dann zum Verkauf des Grundstücks bereit gewesen sei, wenn ihm auch die Ausführung der Bauarbeiten übertragen werde, in einer exklusiven Stellung befunden, die eine direkte Vergabe der Arbeiten erlaubt habe.

Was das erstgenannte Argument betrifft, vertrat die Kommission die Auffassung, dass der mit dem Vertragsabschluss verfolgte Hauptzweck nicht im Erwerb eines Grundstücks, sondern in der Beschaffung eines Gebäudes für das Finanzamt bestanden habe und dass es bei den Bauarbeiten um einen Auftragswert von über 6 Mio. Euro gegangen sei. Unter diesen Bedingungen könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Bauarbeiten im Verhältnis zum Grundstückserwerb von nachrangiger Bedeutung gewesen seien. Die Auftragsvergabe falle daher in den Anwendungsbereich der europäischen Vergaberichtlinien. Dem zweiten angeführten Argument hielt die Kommission entgegen, dass die bloße Eigentümerschaft an einem Grundstück, auf dem öffentliche Bauarbeiten durchgeführt werden, dem Grundstückseigentümer nicht automatisch eine exklusive Stellung verleihe, die eine direkte Vergabe der Bauleistungen rechtfertige. Daher hätte die Auftragsvergabe nach Ansicht der Kommission entsprechend den in den europäischen Vergaberichtlinien vorgesehenen Verfahren erfolgen müssen.