Gastbeitrag: Neues EuGH-Urteil zur Dienstleistungskonzession
Der EuGH hat mit einer Entscheidung (Urteil vom 10.09.2009, Rs. C-206/08) aus dem Bereich des Vergabe- und Wasserrechts die Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession und damit die Abgrenzung zum öffentlichen Auftrag weiter konkretisiert. Diese Unterscheidung ist wichtig, da die Dienstleistungskonzession im Gegensatz zum öffentlichen Auftrag nicht unter das EU-Vergaberecht fällt. Zwar arbeitet die EU-Kommission aktuell daran, die Dienstleistungskonzession in das Vergaberecht zu integrieren, solange muss jedoch der diesbzgl. Rechtsprechung des EuGH besondere Beachtung geschenkt werden. Rechtsanwalt Dr. Roderic Orter von der Kanzlei BHO Legal erläutert für den Vergabeblog die vergaberechtlichen Hintergründe einer Dienstleistungskonzession im Lichte des neuen EuGH-Urteils (Anm. d. Red.):
Vorweg sei daran erinnert, worin sich eine Dienstleistungskonzession von einem öffentlichen Auftrag unterscheidet: Beim öffentlichen Auftrag kauft der Auftraggeber Leistungen ein und zahlt dafür dem Auftragnehmer ein Entgelt; dies ist die typische Beschaffung, die auszuschreiben ist. Bei der Dienstleistungskonzession bestehen im Gegensatz dazu folgende Merkmale:
– Der Auftraggeber räumt dem Auftragnehmer ein Nutzungsrecht ein und erhält dafür vom Auftragnehmer ein Entgelt (Konzessionsgebühr), im Gegensatz zum öffentlichen Auftrag findet hier also eine Art „Rollentausch“ statt;
– ggf. zahlt der Auftraggeber dem Auftragnehmer (Konzessionär) gleichwohl einen zusätzlichen Preis;
– der Konzessionär kommerzialisiert seine Leistung, etwa durch Erhebung von Gebühren gegenüber den Nutzern;
– das wirtschaftliche Risiko liegt – im Gegensatz zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags – beim Auftragnehmer (Konzessionär).
Die Unterscheidung von öffentlichem Auftrag und Dienstleistungskonzession ist erheblich praxisrelevant. Warum? Öffentliche Aufträge unterfallen den europäischen Vergaberichtlinien und damit auch dem nationalen Vergaberechtsregime von GWB, VgV, VOL/A. Anders die Dienstleistungskonzession. Bei dieser sind (nur, aber immerhin) die Vergaberechtsgrundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz zu beachten. Weitere wichtige Folge: Bei der Dienstleistungskonzession entfällt der etablierte Schutz vor den Vergabekammern, da diese unzuständig sind. Damit ergeben sich ähnliche Rechtsschutzprobleme wie bei Vergaben, die unterhalb der Schwellenwerte liegen. Teilweise wird von Auftraggebern hierin ein Vorteil gesehen: Weniger formalisierte Regeln und weniger rechtsschutzintensiv, kurzum: ein geringeres Risiko, dass eine Vergabe angegriffen wird. Die Kommission hat eine Mitteilung veröffentlicht, die eine Hilfestellung bieten soll, wie eine Dienstleistungskonzession auszuschreiben ist. Es handelt sich aber um eine Interimslösung. Derzeit arbeitet die Kommission an einem Vorschlag, die Dienstleistungskonzession in das Vergaberecht zu integrieren, etwa in Form einer Richtlinie. Bis dahin besteht weiterhin eine gewisse Rechtsunsicherheit, so dass besonderer Augenmerk auf Urteile des EuGH zu richten ist, die zur Dienstleistungskonzession ergehen. Ein weiteres Urteil aus dem Bereich des Vergabe- und Wasserrechts liegt nun vor:
Im Urteil vom 10.09.2009, Rs. C-206/08, stellt der EuGH klar, dass ein Anschluss- und Benutzungszwang im Wasser- und Abwasserbereich einer Dienstleistungskonzession nicht per se entgegensteht: „Selbst wenn das Risiko des öffentlichen Auftraggebers erheblich eingeschränkt ist, ist es jedenfalls für die Annahme einer Dienstleistungskonzession erforderlich, dass er das volle Betriebsrisiko oder zumindest einen wesentlichen Teil davon auf den Konzessionär überträgt.“
Wir erinnern uns: Generalanwalt Fennelly ging damals noch davon aus, dass ein nationales Gericht „überzeugt“ sein müsse, dass ein Verlustrisiko mit hoher Wahrscheinlichkeit „minimal oder gar ausgeschlossen“ sei (Schlussanträge v. 18.05.2000, Rs. C-324/98, Telaustria). Der EuGH scheint nun auf das überwiegende Risiko beim Konzessionär abzustellen und entspricht damit der Auffassung des OLG Düsseldorf (Beschluss v. 12.01.2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343, 344).
Was bedeutet dies für die Praxis: Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen öffentlichem Auftrag und Dienstleistungskonzession ist das wirtschaftliche Risiko. Es sind mithin alle risikoerhöhende und risikomindernde Faktoren zu berücksichtigen. Solche Faktoren ergeben sich in erster Linie aus dem Vertragsbedingungen zwischen den Parteien, aber auch aus allgemeinen betriebs- und volkswirtschaftlichen Faktoren, wie etwa ein stark schwankender Preis. Ein Anschluss- und Benutzungszwang ist nur ein solcher Faktor.
Weitere Faktoren seien hier zur Orientierung angedeutet:
– Die Höhe des Nutzungsentgelts wird durch den Auftraggeber festgeschrieben;
– der Auftraggeber behält sich (umfassende) Weisungs,- Kontroll- und Auskunftsrechte vor;
– die Vertragsdauer;
– der Auftraggeber zahlt variable Zuschüsse oder erbringt Ausfallsicherheiten/Ausgleichszahlungen;
– der Auftraggeber überlässt Nutzfläche, Betriebsmittel oder gewährt ähnliche Beistellungen;
– es werden (Mindest-) Übernahmeoptionen bzw. Garantien vereinbart;
– es wird eine Preisanpassungsklausel vorgesehen;
– auch Kündigungsoptionen und Abgeltungsklauseln beeinflussen das wirtschaftliche Risiko des Konzessionärs;
– Vertragsstrafenklausel;
– betriebliche und Marktrisiken, Bsp.: ungewöhnlicher Verschleiß der Betriebsmittel, unvorherzusehende Nutzungsausfälle, Arbeitnehmerrisiken (Streik, Differenten zu Subunternehmern), Frequentierung der Dienstleistung (schwankende Nachfrage), Aufkommen von Konkurrenz, Preisschwankungen, Gebietsänderungen, Tarifbindungen, neue Umwelt- und Sicherheitsstandards etc.