Off-topic: Das Ende des (Vergaberechts-)Vortrags

Vortrag Garantiert kein Vergabethema, aber in der Vorweihnachtszeit ist ja auch Platz für besinnlichere Themen: Der Herbst war wie jedes Jahr die klassische Tagungszeit, und so durfte ich vielen interessanten Vorträgen zusehen. Denn: Wann haben Sie zum letzen Mal einen Vortrag nur gehört? Ganz ohne PowerPoint-Präsentation? Richtig – ich erinnere mich auch nicht. Was der Sinn dessen sein soll, jedes gesprochene Wort zugleich mit Textfragmenten, bunten Bildern und – ganz wichtig – Bullet Points zu untermalen, will sich mir nicht erschließen – abgesehen davon, dass der Redner mit seinen Folien einen stets präsenten Spickzettel hat. Ist das nur gesprochene Wort tatsächlich so unzureichend geworden oder die gegenwärtige Zuhörergeneration evolutionär so degeneriert, dass man auf allen audiovisuellen Wegen zu ihr vordringen muss? Die Meister dieser Kunst schaffen es sogar, jedes ihrer Wörter auf die Folien zu bringen – und machen damit vor allem sich selbst als Vortragende überflüssig und austauschbar. Zeit, im Land der Dichter und Denker den Beamer-Stecker zu ziehen. Trauen Sie sich mitzumachen?

Grundsätzlich ist die Idee hinter PowerPoint gut: Das zu visualisieren, was man nur schlecht in Worte fassen kann, ein Organigramm zum Beispiel. So war es ja auch bei den inzwischen gänzlich verdrängten Overhead-Folien. Die musste man aber mit einigem Aufwand selbst von Hand bemalen. Bemerkenswerter Weise erscheint es rückblickend kaum vorstellbar, dass vor, sagen wir mehr als 15 Jahren, jemand seinen Vortrag anhand von Spiegelstrichen mehr oder minder komplett an die Wand geworfen hätte – es hätte die Zuhörer ob des fehlenden Zwecks der künstlerischen Maßnahme auch sehr verwundert.

Im Gegensatz zu den guten alten Plastikfolien bieten ihre in wenigen Sekunden zusammengeklickten PowerPoint-Nachfolger dem Redner der Gegenwart eine zu geringe Gegenwehr, als dass man ihre Möglichkeiten nur dann nutzt, wenn man sie wirklich braucht. Resultat: So gut wie kein Vortrag kommt mehr ohne die bunte Bilderwelt daher. Anfangs, in den 90er Jahren, galt man gewiß als Vorreiter, setzte man die Software ein. Man konnte eindrucksvoll demonstrieren, dass man einen PC nicht nur kaufen, sondern auch noch bedienen konnte. Dann, Ende der 90er, wollte man jedenfalls nicht als technologisch zurückgeblieben gelten, und setzte die Software ein. Heute ist es selbstverständlich, den Vortragenden vorab zu bitten, seine Folien zu übersenden, um sie auf den Tagungsrechner aufzuspielen. Scheinbar hat Deutschlands Vortragswelt jedwedes Vertrauen in sich selbst verloren. Nicht selten wird, so gut es irgendwie geht, sogar der komplette Vortrag auf die viel zu kleine Leinwand gequetscht. Soll man nun zuhören oder lesen? Beides gleichzeitig? Über Sinn und Unsinn des Ganzen denkt scheinbar niemand mehr nach.

Der Herdentrieb wird zusätzlich angefeuert vom „Online-Stellen“ der Vorträge. Dafür könnte man ganz gewiss auch deren reine Textform nehmen. Eben die wäre aber viel zeitaufwendiger zu lesen. Und hier haben wir einen der zentralen Gründe ausgemacht: „Nicht das Präsentationsprogramm ist schuld, sondern die immer mehr um sich greifende Unsitte der managementgerechten Information“ (Kommentar heise-online vom 15.12.2003). Übrigens mit mitunter ganz realen Folgen, wie das wohl prominenteste Beispiel verdeutlicht: So heißt es im offiziellen Untersuchungsbericht über den Absturz der Raumfähre Columbia am 1. Februar 2003, dass komplexe Informationen an das Management in Form von PowerPoint-Präsentationen weitergegeben worden seien. Angeblich habe diese Form der Informationsweitergabe dazu beigetragen, dass nicht wahrgenommen wurde, dass es sich es sich um eine lebensbedrohliche Situation handelte. Tatsächlich wurden bis zu fünf Einrück-Ebenen auf einer Textfolie benutzt (siehe Bild unten). Auf anderen Folien das mögliche „Loss of Vehicle“-Szenario zum platzsparenden – und dabei unbeabsichtigt weit weniger beunruhigenden -„LOV“ verkürzt. Als Begründung gaben die Ingenieure gegenüber der Untersuchungskommission an, dass „es optisch nicht gut ausgesehen hätte, diese Probleme auf mehreren Bildschirmseiten zu präsentieren“.

Solche Folgen hat man als Zuhörer bzw. Zuschauer vergaberechtlicher Vorträge gewiss eher selten zu fürchten. Und trotzdem: Es geht auch anders. Behandeln Sie Ihr Publikum doch einmal nicht wie im juristischen Repetitorium. Gewiss, der Zuhörer soll auch etwas lernen. Aber man muss deshalb die Informationen so verdichtet aufbereiten, als würde er am nächsten Tag darüber eine Klausur schreiben müssen? Wo ist der fesselnde, mitunter bewegende Vortrag? (Der wird neudeutsch gerne als „Keynote“ schon von der Begrifflichkeit her abgesetzt, damit auch der Letzte weiß, jetzt kommen mal keine Folien). Bewegte Wörter auf Folien sind für bewegende Worte kein Ersatz. Ebensowenig wie selbst gute gemachte Folien kein Ersatz sind für einen guten Redner. Oder mag der wahre Grund der Folieninvasion gar darin begündet sein, dass Redner und Folienbauer personenverschieden sind?

Nichts ist so mächtig wie die Deutsche Sprache. Wenn Sie das nächste Mal gefragt werden, „wann können Sie mir Ihre Folien senden?“, dann antworten Sie doch mal, dass es keine gibt.

columbia

(Sicher, der Vergleich ist überzogen: Auszug aus der offiziellen PowerPoint-Präsentation zur Bewertung der Risiken im Vorfeld des Columbia-Absturzes. Bis zu fünf Einrückebenen, die den Betrachter völlig verwirren. Die unscheinbare unterste Zeile wäre tatsächlich die wichtigste gewesen: Sie besagt, dass angenommen wird, dass das – am Ende für den Verlust der Raumfähre verantwortliche – Stück Schaumisolierung vermutlich 1920 cubic-inches groß war, die Tests zur Bewertung des Risikos aber nur bis zu einer Größe von 3 cubic-inches durchgeführt wurden – mithin vollkommen irrelevant waren! Quelle: http://www.edwardtufte.com)