EuGH: Kein automatischer Ausschluss bei Mehrfachbeteiligung
Ein zentrales Grundprinzip bei öffentlichen Vergabeverfahren ist der Geheimwettbewerb. Die Angebote der Bieter sollen frei von preislichen Vorabsprachen und sonstigen strategischen Ausrichtungen auf Konkurrenzangebote erstellt werden, so dass sie im unverfälschten Wettbewerb zueinander stehen. Aus diesem Grund darf ein Bieter sein Angebot nicht in Kenntnis der wesentlichen Kalkulationsgrundlagen eines konkurrierenden Angebots abgeben. Die mehrfache Beteiligung eines Bieters an derselben Ausschreibung – zum Beispiel als Alleinbieter und als Mitglied einer Bietergemeinschaft – ist damit in der Regel unzulässig. Eine vergaberechtliche Regelung, die den Ausschluss von Angeboten aus derartigen Mehrfachbeteiligungen automatisch festlegt, ist jedoch unverhältnismäßig. Dies betonte der EuGH in seinem Urteil vom 23.12.2009 (C-376/08 – „Serrantoni v. Comune di Milano).
Gegenstand des Vorlageverfahrens „Serrantoni v. Comune di Milano“ war eine italienische Vorschrift, die es Mitgliedern eines sog. festen Konsortiums (eine zum Zwecke der gemeinsamen Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen gegründete, dauerhafte Bietergemeinschaft) untersagte, sich neben dem Konsortium zugleich als Einzelbieter an der selben Ausschreibung zu beteiligen. Diese Regelung galt ausnahmslos und führte bei Verstoß zu einem automatischen Ausschluss sowohl des Angebotes des Konsortiums als auch des einzelbietenden Mitglieds.
Der EuGH stellt hierzu fest, dass der mit der Vorschrift verfolgte Zweck, kollusives Zusammenwirken von Bietern zum Schutz des unverfälschten Wettbewerbes zu unterbinden, ein grundsätzlich legitimes Ziel darstelle. Mit ihrer automatischen Ausschlussanordnung enthält die Vorschrift jedoch „(…) eine unwiderlegliche Vermutung einer gegenseitigen Einflussnahme (…) ohne dass dem Konsortium oder betroffenen Unternehmen ermöglicht würde, nachzuweisen, dass ihre Angebote völlig unabhängig voneinander formuliert worden sind und folglich eine Gefahr einer Beeinflussung des Wettbewerbs unter Bietern nicht besteht.“ (EuGH, a.a.O. Rn. 38) Damit gehe die Vorschrift über das hinaus, was zur Erreichung des – für sich legitimen – Ziels erforderlich sei.
Die deutsche Vergaberechtsprechung zum Umgang mit Mehrfachbeteiligungen geht mit dieser Rechtsprechung des EuGH weitgehend konform. Zwar wird gerade im Falle einer Doppelbewerbung als Bieter und Mitglied einer Bietergemeinschaft in der Regel von einem unzulässigen Maß an Kenntnis und Einflussmöglichkeit eines Bieters auf mehrere Angebote ausgegangen (so z.B.: OLG Celle, Beschluss v. 13.12.2007- 13 Verg 10/07; OLG Naumburg, Beschluss v. 30.07.2004 – 1 Verg 10/04). Auch die deutsche Rechtsprechung erkennt allerdings an, dass dem betroffenen Bieter (bzw. den betroffenen Bietern) grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet sein muss, den Gegenbeweis anzutreten. Bei der klassischen Form der Bietergemeinschaft, in welcher die beteiligten Unternehmen mit dem Angebot ein gemeinsames wirtschaftliches Ziel verfolgen und das Angebot in der Regel auch gemeinsam zeichnen, wird dieser jedoch schwer zu erbringen sein. Zudem sollte der Gegenbeweis bereits mit Angebotsabgabe lückenlos vorliegen. Der öffentliche Auftraggeber ist nämlich nur verpflichtet, den Gegenbeweis zuzulassen, nicht aber, ihn bei bestehendem „bösen Anschein“ einer wettbewerbsverfälschenden Bieterkonstellation selbst einzuholen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 09.04.2008 – Verg 2/08). Mehr fordert auch der EuGH vom öffentliche Auftraggeber nicht.