EuGH stellt 13 Jahre nach Vertragsschluss Vergaberechtswidrigkeit fest
Wie heisst es doch: Die Zeit heilt alle Wunden. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21.01.2010 – Rs. C-17/09) gilt dies allerdings nicht für Vergaberechtsfehler. 13 Jahre nach Abschluss des Vertrages über die Entsorgung von Biomüll und Grünabfällen zwischen der Stadt Bonn und der Müllverwertung Bonn GmbH stellt der EuGH fest: Die Vergabe war europarechtswidrig. Der Auftrag hätte nicht ohne die Durchführung eines Vergabeverfahrens mit öffentlicher Ausschreibung erteilt werden dürfen und ist daher umgehend zu beenden.
Dabei ist ohne rechtlichen Belang, dass die Beschwerde erst zehn Jahre nach Vertragsschluss eingereicht worden sei und der Beschwerdeführer seit langem von diesem Vertrag und dessen Mängeln gewusst habe.
Ebenso unbeachtlich ist, dass der Beschwerdeführer kein nationales Nachprüfungsverfahren eingeleitet habe. Zur Begründung führt der EuGH aus, dass sich die nationalen Überprüfungsverfahren und die Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG sowohl hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits als auch hinsichtlich ihrer Zielsetzung voneinander unterscheiden. Während das nationale Nachprüfungsverfahren dem Schutz der nichtberücksichtigten Bieter dient, stellt das Vertragsverletzungsverfahren die im Allgemeininteresse liegende Beachtung des Gemeinschaftsrechts sicher. Daher widerspricht es auch nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wird, obwohl eine Überprüfung durch die nationalen Vergabekammern nicht mehr möglich ist.
Für die Vergaberechtspraxis lassen sich zwei Folgerungen aus der Entscheidung des EuGH ableiten: Zum einen ist eine Vergabe noch lange nicht „in trockenen Tüchern“, nur weil deren Überprüfung durch eine Vergabekammer bzw. Oberlandesgericht nicht mehr möglich ist. Das Damoklesschwert „Vertragsverletzungsverfahren“ schwebt weiterhin über dem Beschaffungsvorhaben. Zum anderen kann die Missachtung der Vergabevorschriften für den öffentlichen Auftraggeber eine kostspielige Angelegenheit werden. Denn hat der EuGH erst einmal die Rechtswidrigkeit einer Vergabe festgestellt, hilft auch der Grundsatz „pacta sunt servanda“ (= Verträge sind einzuhalten) nicht weiter. Der Vertrag muss beendet werden – koste es, was es wolle (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 – Rs. C-503/04).