Gesundheitsreform und Arzneimittelrabattverträge – Gleiches (Vergabe-)Recht für alle!

GesundheitDer aktuelle Gesetzesentwurf vom 29.06.2010 zur Reform der Arzneimittelversorgung („Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts in der gesetzlichen Krankenversicherung“, AMNOG) überträgt den Zivilgerichten die vergaberechtliche Kontrolle über den Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen auch in der zweiten Instanz. Strenge vergaberechtliche Regeln sollten daher schon im Vorfeld beachtet werden, das gilt insbesondere bei Verträgen über denselben Wirkstoff, die mit mehreren Herstellern geschlossen werden.

Der Hintergrund: vergaberechtliche Kontrolle der Arzneimittelrabattverträge

Arzneimittelrabattverträge sind keine Neuerfindung der Gesundheitsreform! Bereits jetzt können Krankenkassen mit Pharmaunternehmen Preisnachlässe vereinbaren. In so genannten Arzneimittelrabattverträgen vereinbaren sie gemäß § 130 a Absatz 8 SGB V mit Medikamentenherstellern Rabatte auf Listenpreise von nicht patentgeschützten Generika, die zu den gesetzlich vorgegebenen Abschlägen hinzukommen. Verordnet der Arzt dann lediglich einen Wirkstoff oder schließt er die Ersetzung nicht aus, gibt der Apotheker dem Patienten dann das Produkt des betreffenden Medikamentherstellers aus. Dieser genießt insoweit Exklusivität für die betreffende Krankenkasse. Sie sorgt so für die möglichst preisgünstige Beschaffung der verordneten Wirkstoffe.

Krankenkassen sind aber öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts und diese Verträge regeln für den Fall der Verordnung eines Wirkstoffs die preislichen Rahmenbedingungen zukünftiger Beschaffungen von entsprechenden Medikamenten zugunsten der Versicherten. Darum müssen Krankenkassen diese Verträge als Rahmenverträge in einem Vergabeverfahren ausschreiben und Pharmaunternehmen haben oberhalb der Schwellenwerte einen einklagbaren Anspruch auf Einhaltung der Vergaberegeln.

Neu: Die Vergabesenate der Oberlandesgerichte sollen zuständig sein

Bislang ist aber der Rechtsweg gespalten: die Vergabekammern sind nur in erster Instanz zuständig. Rechtsmittelinstanz sind die Landessozialgerichte, der Gesetzgeber hatte den vorangehenden Kompetenzstreit zwischen Zivil- und Sozialgerichtsbarkeit zu ihren Gunsten entschieden. Das soll sich mit dem AMNOG ändern! In Zukunft sollen die Vergabesenate der Oberlandesgerichte die Vergabekammerentscheidungen auch hier überprüfen.

Inhaltliche Risiken für Vergabeverfahren

Damit steht möglicherweise die teils wenig strenge Anwendung des Vergaberechts bei Rabattverträgen, zu der einige Sozialgerichte neigten, vor ihrem Ende. Betroffen sind vor allem Verträge mit mehreren Herstellern über denselben Wirkstoff. Grundsätzlich sind diese zwar zulässig. Für einen Bieter muss aber im Vorhinein erkennbar sein, nach welchen Regeln die Einzelaufträge erteilt werden. Das verlangt der vergaberechtliche Grundsatz der Transparenz und der Gleichbehandlung der Bieter. Es ist sehr zweifelhaft, ob die Vergabesenate der Oberlandesgerichte der Argumentation des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW, Beschl. v. 03.09.2009, Az.: L 21 KR 51/09 SFB) folgen werden, das die Auswahl allein der Einzelfallentscheidung des Apothekers überlassen will und das darauf verweist, dieser sei keine bloße „Ausgabestelle“. Vielmehr wird künftig wohl die Rechtsansicht vertreten, daß der Bieter bei Abschluss des Vertrags erkennen können muß, worauf er sich einlässt: Soll es beispielsweise einen „Mini-Wettbewerb“ geben? Gibt es ein rollierendes System?

Gleiches gilt in Bezug auf eine vertragliche Bestimmung, die den Auftraggeber berechtigt, einseitig das Ruhen des Vertrags anzuordnen, falls der rabattierte Apothekenverkaufspreis höher ist als drei austauschbare Standardarzneimittel. Der Bezug auf zukünftige Preise anderer Anbieter dürfte kaum den Anforderungen an die Kalkulierbarkeit genügen.

Vorwirkungen

Sollte das Gesetz wie geplant bereits am 1. Januar 2011 in Kraft treten, dann können diese Anforderungen im Ergebnis bereits für aktuelle Vergabeverfahren gelten, die vergaberechtlich angegriffen werden. Eine Übergangsfrist für vor dem Landessozialgericht anhängige Verfahren soll es nämlich nicht geben. Vielmehr sollen diese gemäß Artikel 2 Nr. 5 AMNOG in dem Stadium, in dem sie sich am Tag nach Verkündung des Gesetzes befinden, auf das zuständige Oberlandesgericht übergehen.

Krankenkassen ist daher zu empfehlen, sich bereits frühzeitig an der strengeren Spruchpraxis der Vergabekammern und – senate zu orientieren.

Pfarr_Bild Die Autorin, Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin für das öffentliche Wirtschaftsrecht aus Berlin. Sie ist im Schwerpunkt im Vergaberecht tätig und hat Beratungserfahrung in zwei renommierten Wirtschaftskanzleien gesammelt.