„Die meisten Bieter sind mit der eVergabe unzufrieden, weil sie diese nur so selten nutzen können und deshalb keinen Mehrwert darin sehen, sondern einen Mehraufwand“ – Interview mit Carsten Prokop, Vergabe 24

ProkopDie Vergabe24 GmbH (ehem. ausschreibungs-abc-GmbH) gehört zu den großen Playern im eVergabe-Markt. Vergabeblog sprach mit Carsten Prokop, Geschäftsführer für den Bereich Marketing, Vertrieb und PR, über die Gründe für die immer noch schleppende Akzeptanz bei Bietern wie Beschaffern, mögliche Lösungen durch das Projekt xVergabe und die Frage, ob eVergabe gemäß neuer VOL/A kostenlos sein müsse.

Vergabeblog: Ursprünglich hatte es sich die EU-Kommission in ihrem EU-Aktionsplan i2010 einmal zum Ziel gesetzt, dass die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge bis Ende 2009 in allen Fällen möglich und in mindestens der Hälfte der Fälle auch tatsächlich angewandt werden soll. Wie weit wurde das Ziel verfehlt?

Carsten Prokop: Sehr weit. Es existieren zwar keine verlässlichen statistischen Informationen. Aber man wird nach allen Erfahrungsberichten und Veröffentlichungen der Branche davon ausgehen können, dass die elektronische Vergabe nach wie vor nur gering verbreitet ist. Die elektronische Angebotsabgabe dürfte deutschlandweit allenfalls im niedrigen zweistelligen Prozentbereich zugelassen sein. Die tatsächliche Nutzung der eVergabe fällt dementsprechend noch geringer aus.

Vergabeblog: War das Zweckoptimismus der EU oder hinken nur wir Deutschen mit der Umsetzung so weit hinterher?

Carsten Prokop: Aktionspläne beinhalten meist Zweckoptimismus, auch dieser. Deutschland hinkt aber nicht hinterher, die Einführung der elektronischen Vergabe ist auch in den anderen europäischen Staaten eine Mammutaufgabe. Insgesamt sehe ich uns im vorderen Mittelfeld; das macht die Situation aber nicht besser.

Vergabeblog: Was sind Ihrer Meinung nach die maßgeblichen Gründe dafür? Sind die Vergabestellen so technikscheu? Schließlich funktioniert eProcurement im B2B-Umfeld doch auch.

Carsten Prokop: Den Vergabestellen wird gern unterstellt, technikscheu zu sein. Das ist aber nicht richtig. Verwaltungsmitarbeiter stehen neuen Technologien meist genauso offen oder auch skeptisch gegenüber, wie Angestellte in privaten Unternehmen. Das Hauptproblem besteht eher darin, dass in Verwaltungen strukturelle oder organisatorische Veränderungen weit schwieriger umzusetzen sind, als in der Privatwirtschaft. Die eVergabe wird ja nicht eingeführt, weil dies gerade modern ist. Vielmehr soll mit ihrer Hilfe die Qualität der Beschaffung erhöht werden, um so Prozesskosten zu sparen und bessere Leistungen einzukaufen. Bei der Einführung von eVergabe-Systemen sind deshalb in der Regel die Abläufe innerhalb der Beschaffungsstellen und oft behördenübergreifend zu hinterfragen und neu zu definieren, es werden Zuständigkeiten verändert, Kompetenzen gebündelt etc. Ein solcher Kraftakt verlangt eine entsprechenden Motivation und Durchhaltevermögen. Eine gesetzliche Pflicht zur Einführung von eVergabe-Systemen, die dabei helfen könnte, gibt es leider nicht. Die Einsparung von Prozesskosten ist für viele Vergabestellen aufgrund unzureichender betriebswirtschaftlicher Kennzahlen aber schwer nachvollziehbar und für viele kleine Beschaffungsstellen ohnehin kaum relevant. Es ist deshalb innerhalb der Verwaltung recht schwierig zu begründen, weshalb jetzt in eVergabe-Systeme investiert werden sollte. Und anders als der Eigentümer eines Privatunternehmens, der dieses finanziert, hat der Steuerzahler als Finanzier der Öffentlichen Hand keine Möglichkeit, kostensenkende Umstrukturierungen in Verwaltungen unmittelbar anzuweisen. Die Einführung von eVergabe-Systemen verlangt daher den unbedingten Willen der oberen Entscheidungsebene, die Prozesse innerhalb der Verwaltung zu konsolidieren und nachhaltig zu optimieren. Der Inhaber eines Privatunternehmens hat diesen Willen zwangsläufig, da er den Wettbewerb und die Insolvenz fürchtet. Das sieht bei der öffentlichen Hand etwas anders aus.

Wichtig ist es daher, den Umstellungsaufwand für die Vergabestellen gering zu halten. Das lässt sich insbesondere für kleinere und mittlere Vergabestellen am besten durch eine schrittweise Einführung der eVergabe umsetzen, wie sie von Vergabe24 seit Jahren angeboten wird.

Vergabeblog: Von Seiten der Bieter wird ja vor allem die Vielzahl unterschiedlicher und dabei inkompatibler eVergabe-Lösungen in Bund, Ländern und Kommunen als Hinderungsgrund angeführt. Webbasierte Lösungen, Client-Lösungen, fehlender Schnittstellen – das Projekt XVergabe soll Abhilfe schaffen – ist das realistisch? Und falls ja, wann?

Carsten Prokop: Ich glaube nicht, dass die Vielzahl unterschiedlicher inkompatibler eVergabelösungen der wirkliche Hinderungsgrund für die fehlende Akzeptanz der eVergabe ist. Schließlich kommen auch im B2B-Umfeld verschiedenste eProcurement-Lösungen zum Einsatz, und es funktioniert trotzdem gut. Natürlich leiden bundesweit aufgestellte Unternehmen an der Technikvielfalt, weil sie bei vielen Vergabestellen Angebote abgeben möchten. Der Großteil der Bieter, insbesondere die Handwerksbetriebe, bedient jedoch einen regionalen Markt und hat es dort oft mit nur einer oder wenigen eVergabe-Lösungen zu tun. Nach unseren Erfahrungen sind die meisten Bieter mit der eVergabe unzufrieden, weil sie diese nur so selten nutzen können und deshalb keinen Mehrwert darin sehen, sondern einen Mehraufwand.

Unabhängig davon halte ich das Projekt XVergabe für wichtig und für geeignet, bestehende technische Hürden weiter abzubauen. Vergabe24 arbeitet hieran auch aktiv mit. Wenn sich die Branche auf Standards einigen kann, erleichtert das natürlich die weitere technische Entwicklung. Ich bin aber skeptisch, ob das Projekt unmittelbar zu einem Durchbruch führt. Es wird sich eher dahingehend auswirken, dass die Geschwindigkeit bei der Softwareentwicklung anzieht.

Vergabeblog: Hat denn die Politik damit genug getan, ihrem ja nicht mehr ganz so jungen Kind eVergabe auf die Beine zu helfen? Die „Pflicht zur eVergabe“ erinnert eher an „schau, wie Du damit zurecht kommst, lieber Bieter“.

Carsten Prokop: Ich bin stets vorsichtig damit, Forderungen an die Politik zu stellen. Außer vielleicht mit der Forderung, sich zurückzuhalten. Die Politik neigt leider dazu, unbefriedigenden Entwicklungen mit Aktionismus zu begegnen. Und die dabei getroffenen Entscheidungen sind nicht immer sachgerecht. Wie ich schon sagte, leidet die Einführung der eVergabe an einem Problem, das der öffentlichen Verwaltung immanent ist. Die Politik kann daran nichts grundsätzlich ändern. Wenn Sie aber schon die „Pflicht zur eVergabe“ ansprechen, möchte ich anmerken, dass diese schlicht in die falsche Richtung zielt. Wenn allein die Vergabestelle festlegen darf, in welcher Form der Bieter sein Angebot abzugeben hat, führt das eher zu Frust bei den Bietern, als zu Begeisterung für die eVergabe. Würden hingegen alle öffentlichen Auftraggeber ab einem bestimmten Zeitpunkt gesetzlich verpflichtet, elektronische Angebote zu akzeptieren, kämen wir in sehr viel größeren Schritten voran. Derzeit besteht aber noch nicht einmal eine Rechtspflicht der Vergabestellen, die Ausschreibung elektronisch bekanntzumachen oder die Vergabeunterlagen elektronisch bereitzustellen. In diese Richtung sollte die Politik m.E. aktiv werden.

Vergabeblog: Neue VOL/A: Dort heisst es in § 6 Abs. 2 bzw. § 6 EG, „von den Bewerbern und Bietern dürfen Entgelte für die Durchführung der Vergabeverfahren nicht erhoben werden.“ Die Regelung zielt ausdrücklich auf die eVergabe ab. Gut gemeint, möchte man meinen – Sie arbeiten also demnächst unentgeltlich?

Carsten Prokop: Nein, natürlich nicht. Ich kann dem Text der VOL/A auch nicht entnehmen, dass diese Regelung auf die eVergabe abzielt. Aber selbst wenn dies so wäre, berührt dies unser Geschäftsmodell nicht. Der neue § 6 Abs. 2 wiederholt nur die Selbstverständlichkeit, dass der öffentliche Auftraggeber von dem Bieter bzw. Bewerber kein Entgelt dafür verlangen kann, dass er sich an dem Verfahren beteiligt. Das war auch bisher so, weshalb die Regelung überflüssig ist. Unser Geschäftsmodell beinhaltet Produkte und Dienstleistungen, die interessierten Unternehmen den Zugang zu öffentlichen Auftragsinformationen erleichtern und den Bietern bei der Angebotsabgabe unterstützen. Das sind Mehrwertdienste, die auch künftig niemand verschenken muss. Im Übrigen richtet sich die VOL/A an die Vergabestellen, nicht an private Plattformbetreiber.

Vergabeblog: Vergabe24 ist einer der großen Player im eVergabe- Business. Den gesamten Markt teilen sich in Deutschland gegenwärtig eine handvoll Unternehmen. Erwarten Sie eine weitere Konsolidierung oder wird es in Zukunft mehr Anbieter geben, die elektronische Vergabe für die öffentliche Hand anbieten?

Carsten Prokop: Da die Branche nur wenige Unternehmen umfasst, ist das Potenzial für Konsolidierungen natürlich gering. Ich rechne dennoch damit, dass sich die Zahl der Anbieter in den nächsten drei bis fünf Jahren nochmals leicht verringert. Neue Anbieter sehe ich nicht, wobei man damit immer rechnen muss. Der Markteinstieg ist angesichts der recht mühsamen Geschäftsentwicklung aber sehr schwer. Wer da keinen langen Atem hat, wird selbst mit einem guten Produkt scheitern und viel Geld verlieren.

Vergabeblog: Noch mal neue VOL/A: Gem. des neuen § 12  Abs. 1 VOL/A 2009 haben künftig die Vergabestellen die Bekanntmachungen, sofern sie diese elektronisch publizieren, auch auf bund.de bekannt zu machen. Offen ist noch, in welchem Umfang das geschehen soll. Tritt bund.de damit nicht in Wettbewerb zu den kommerziellen Anbietern wie z.B. Vergabe24?

Carsten Prokop: Zum Teil schon. Die kommerziellen Plattformen leisten aber deutlich mehr als nur die Bekanntmachungsinformation, die bund.de anbietet. Bei uns erhält der Bieter Vergabeunterlagen und kann elektronische Angebote abgeben. Außerdem ist die Auftragsrecherche bei den privaten Plattformbetreibern für die Bieter deutlich komfortabler und die Informationen sind umfangreicher. Ich glaube daher, dass bund.de unser Geschäft nicht beeinflussen wird. Ich bezweifle aber, dass die Neuregelung in der VOL/A für die Bieter einen solchen Nutzen bringt, der den betriebenen Aufwand rechtfertigt. Das sollte man in einigen Jahren noch einmal kritisch hinterfragen. Im Moment verschlingt die bund.de Plattform in erster Linie Steuergelder.

Vergabeblog: Zum guten Schluss: Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, um der eVergabe endlich die von allen Beteiligten gewünschte Akzeptanz und Verbreitung zu ermöglichen? Oder brauchen wir nur abwarten, bis der Markt es von alleine geregelt hat?

Carsten Prokop: Wer viel Geduld hat, kann auf den Markt warten. Alle anderen sollten die Bedeutung und den hohen Wert einer Optimierung der Einkaufsprozesse bei der öffentlichen Hand immer wieder bei den entsprechenden Entscheidungsträgern hervorheben, so dass dies bei den öffentlichen Auftraggebern zur Chefsache wird. Denn wie gesagt ist die Einführung von eVergabe-Systemen ein aufwändiger Prozess, der entsprechenden politischen Willen und Durchsetzungskraft bedarf. Die Bieter nutzen die eVergabe von selbst, sobald eine kritische Masse der für sie relevanten Vergabestellen dies umgesetzt hat.

Vielen Dank für das Interview!

Carsten Prokop war seit 1998 als Rechtsanwalt schwerpunktmäßig im Wettbewerbs- und Kartellrecht tätig, bis er 2006 als Mitglied des Vorstands der SDV AG die Verantwortung für den Geschäftsbereich „Sächsischer Ausschreibungsdienst“ übernahm. Seit 2007 unterstützt er auch die Vergabe24 GmbH (ehem. ausschreibungs-abc-GmbH) als Geschäftsführer für den Bereich Marketing, Vertrieb und PR. Die Etablierung der eVergabe bei kleinen und mittleren Vergabestellen sieht er als größte Herausforderung der nächsten Jahre, für die er mit dem Leistungsangebot des Portals „Vergabe24“ entscheidendes beitragen will.