Tellerrand: „Wie die Universität Rostock die Rechtswissenschaft neu definiert“

Empty white plate isolated Fortan wollen wir im Vergabeblog ab und an auch abseits des unmittelbaren vergabe(rechtlichen) Bezugs über den eigenen Tellerrand schauen und Ihnen Informationen liefern, die jedenfalls mittelbar von Interesse sind. Dementsprechend lautet diese neue Beitragskategorie im Vergabeblog auch “Tellerrand”.

Den Auftakt bildet dieser Beitrag, dessen Titel deswegen in Anführungszeichen steht, weil er genau so von der Uni Rostock verwendet wird. Diese startet zum Wintersemester 2010/2011 mit dem neuen Bachelorstudiengang „Good Governance” eine Juristenausbildung ohne Staatsexamen. Bemerkenswert: Man will damit “den universitären Anspruch an die Juristenausbildung erhöhen“. So so.

Wie es auf der Homepage der Universität heisst, könnte der neue Studiengang “die Juristenausbildung in Deutschland revolutionieren”. Tatsächlich definiert sich die bisherige Praxis der universitären Juristenausbildung vor allem am 1. Staatsexamen. Dieses ist Beweis vorhandener Kenntnisse und Aushängeschild der deutschen Rechtwissenschaft. Für die Studenten ist es vor allem die alles entscheidende Eintrittskarte ins Berufsleben.

Der Bologna-Prozess zwinge dazu, auch im Fach Jura qualifizierte Bachelor- und Masterabschlüsse anbieten zu können, so Prof. Dr. Jörg Benedict, verantwortlich für die Koordinierung des neuen LL.B. (Legum Baccalaureus) an der Universität Rostock. Die genaue Bezeichnung des Fachs lautet LL.B. Wirtschaft, Gesellschaft, Recht – Good Governance. “Entscheidend ist nicht der Name des Abschlusses, sondern der Inhalt, für den er steht“, so Benedict.

Interessanter jedoch: „Wir wollen den universitären Anspruch an die Juristenausbildung erhöhen“, konstatiert der Dekan der Juristischen Fakultät, Prof. Dr. Wolfgang März. Es ginge, so die Universität in einer Mitteilung “um den Anspruch an die Bildung, das Wissen und die Kompetenzen derer, die später in Unternehmen, Staat, Gesellschaft und Politik Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen werden.” Dies, so war doch jedenfalls bislang die herrschende Meinung, stellt nichts so sicher wie die alt her gediente Juristenausbildung. Sind wir bei der Besetzung von Spitzenpositionen, die ja vor allem auf Seite der öffentlichen Hand immer noch weit überwiegend von Juristen eingenommen werden, also einem error in persona aufgesessen?

Der neue Studiengang ist in drei aufeinander aufbauenden Teilen strukturiert: 1. einen Grundlagenblock (Juristisches Propädeutikum), 2. einen Elementarblock (Juristische Elementarlehre) und 3. einen Spezialisierungsblock (Juristische Spezialisierung). Der Grundlagenblock ist interdisziplinär ausgerichtet, die Rechtswissenschaft “wird in den universalen Kontext ihrer geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagen eingebettet und von dieser Basis aus das geltende positive Recht in seinen wesentlichen Grundzügen und seinem System in der auf vier Semester angelegten Juristischen Elementarlehre vermittelt”, so die Universität. Die Studierenden sollen für die Zusammenhänge von ökonomischen, gesellschaftspolitischen und juristischen Fragestellungen sensibilisiert werden.

Brauchen wir eine Reform der Juristenausbildung, und wenn ja, eine solche? Fehlt es der bisherigen Leitungsebene der Verwaltung an interdisziplinärem Wissen? Wird nun in Rostock die neue Leitungsebene heranwachsen? Dafür hatte man ja einmal die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ins Leben gerufen, die einen ähnlichen interdisziplinarischen Ansatz, wohlgemerkt als Aufbaustudiengang, anbietet.

“Zu einem wirklichen Verständnis des Rechts als Voraussetzung für seine gerechte Anwendung und seine konstruktive Fortbildung ist ein Verständnis auch der sozialen, ethischen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen erforderlich“, sagt Benedict. Gut, das klingt einleuchtend. Über den Tellerrand schauen eben. Die Erinnerung an die eigene Ausbildung und damit Geschichte von (seinerzeit angeblich) “Deutschlands jüngster Richterin”, die leider nicht wusste, was ein Kotflügel ist, ist noch wach. Da braucht man gar nicht so weit schauen und nach sozialen, ökonomischen und politischen Implikationen zu fragen.

Und trotzdem: Ein Mangel dieser Art lässt sich nicht nur ohne eine grundlegende Reform der Juristenausbildung kompensieren, sondern, falls vorhanden, vor Besetzung einer Stelle auch erkennen. Sollte man, statt die Ausbildung Deutscher Juristen auf das fragwürdige Niveau anderer EU-Mitgliedsländer einzuplanieren, nicht vielmehr dann, wenn nicht die juristische Fachkompetenz im Vordergrund steht, besser gleich die Stelle fachnäher besetzen? Der Chef des Forstamts muss ja nicht zwangsläufig ein Jurist sein, sondern ab und an auch einmal ein Förster. Es sei denn natürlich, man folgt der Annahme, die Sachkompetenz ende sowieso beim Referatsleiter. Dem möchte ich aber widersprechen.

Was meinen Sie, liebe Leser? Und was meinen Sie grundsätzlich dazu, wenn wir künftig im Vergabeblog auch ab und an „über den Tellerrand“ schauen? In Rostock haben sich immerhin schon 100 Studierende für den neuen Studiengang eingeschrieben.

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