Tariftreueklauseln in öffentlichen Ausschreibungen – was ist erlaubt?
In der Vergangenheit hat die öffentliche Hand immer wieder versucht, mit gutem Beispiel voranzugehen und von ihren Auftragnehmern die Zahlung von Tariflöhnen an ihre Mitarbeiter zu fordern. Die dafür in den Ausschreibungsunterlagen aufgestellten Tariftreueklauseln wurden jedoch stets als vergaberechtswidrig verworfen. Mit der GWB-Novelle 2009 sind nunmehr gesetzliche Voraussetzungen dafür geschaffen worden, unter bestimmten Voraussetzungen die Einforderung der Tariftreue in öffentlichen Vergabeverfahren zuzulassen.
Bisherige Rechtslage
Bislang galt, dass Tarifbedingungen weder in der Eignungsprüfung noch im Vertrag selbst zum Gegenstand öffentlicher Ausschreibungsverfahren gemacht werden durften. Das OLG Düsseldorf hatte im Rahmen der Eignungsprüfung entschieden, dass die Tariftreue eine „nicht ohne weiteres schon im gewöhnlichen Prüfungskanon der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit zu bewertende Anforderung an die Eignung“ darstelle (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.07.2009 – Verg 18/09) und es daher gemäß § 97 Abs. 4 GWB S.3 GWB (a.F.) einer gesetzlichen Regelung bedürfe. Gesetzliche Tariftreuepflichten in verschiedenen Landesvergabegesetzen scheiterten wiederum daran, dass die Vergabegesetze nur die öffentliche Hand verpflichteten und es somit an der – vom Europarecht geforderten – Allgemeinverbindlichkeit fehle (EuGH, Urteil vom 03.04.2008, Rs. C-346/06, „Rüffert“).
Vergaberechtsnovelle 2009: Tariftreue als Eignungskriterium
Mit der GWB-Novelle 2009 hatte sich der Gesetzgeber unter anderem vorgenommen, die Berücksichtigung sozialer Aspekte – und damit auch tariflicher Bedingungen – in europaweiten öffentlichen Ausschreibungen zu ermöglichen*. Zu diesem Zweck wurde in § 97 Abs. 4 GWB als Eignungskriterium die „Gesetzestreue“ neu hinzugefügt. In der Gesetzesbegründung wird hierzu klargestellt, dass gerade auch Tariftreuebedingungen unter das Erfordernis der Gesetzestreue fallen, sofern der betroffene Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde (Gesetzesbegründung zur GWB-Novelle 2009, BT-Drs. 16/10117, S. 16). Die Vergabekammern des Bundes haben daraufhin die bisherige Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur Unzulässigkeit von Tariftreueklauseln in der Eignungsprüfung für überholt erklärt (zuletzt: 2 VK Bund, Beschluss vom 29.12.2009 – VK 2-207/09 m.w.N.).
Beschränkungen durch das AEntG
Die erforderliche Allgemeinverbindlichkeit erhält ein Tarifvertrag über die Verfahren des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG). Die Möglichkeit einer Einbindung von Tariftreueklauseln in der Eignungsprüfung besteht daher auch nur für die im AEntG ausdrücklich genannten Branchen, d.h. vornehmlich für die Baubranche. Inhaltlich beschränkt sich die Allgemeinverbindlichkeit zudem auf die Mindestbedingungen der tariflichen Vereinbarungen.
Beispiel einer zulässigen Tariftreueklausel
Die 3 VK Bund hat folgende Klausel für zulässig erklärt:
„Ich verpflichte mich, im Auftragsfall die in meinem Unternehmen eingesetzten Arbeitnehmer nicht unter den für sie jeweils geltenden Mindestentgelt-Regelungen auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) zu entlohnen und alle weiteren aus dem AEntG folgenden Pflichten eines Auftraggebers zur Gewährung von Arbeitsbedingungen zu erfüllen.“
(vgl. 3 VK Bund, Beschluss vom 09.09.2009 – VK 3 -163/09)
Tariftreueklauseln im Vertrag
Die Pflicht zur Einhaltung von Tarifmindestbedingungen kann unter bestimmten Voraussetzungen auch im ausgeschriebenen Vertrag selbst verankert werden. Gemäß § 97 Abs. 4 S.2 GWB n.F. können die öffentlichen Auftraggeber bei der Auftragsvergabe „zusätzliche Anforderungen“ stellen, „die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen“. Der öffentlichen Hand soll es damit möglich sein, von den Unternehmen bei der Auftragsausführung ein bestimmtes Verhalten zu verlangen, auch wenn diese sich am Markt ansonsten anders verhalten (vgl. Gesetzesbegründung zur GWB-Novelle 2009, BT-Drs. 16/10117, S. 16). Erforderlich soll dabei ein sachlicher Zusammenhang zum Auftragsgegenstand sein, der allerdings bereits dann vorliegen soll, wenn die Forderung nicht an die allgemeine Unternehmens- und Geschäftspolitik anknüpft. Eine Allgemeinverbindlichkeit der aufgestellten sozialen Anforderungen wird nicht verlangt.
Der Vorteil einer vertraglichen Verankerung der Tariftreueklausel besteht damit darin, dass sie keiner branchenspezifischen Beschränkung des AEntG unterliegt. In der Wirkung ist die vertragliche Klausel jedoch begrenzter als eine entsprechende Klausel in der Eignungsprüfung, da sie nur die konkret in den Auftrag einbezogenen Mitarbeiter umfassen und die allgemeine Unternehmenspolitik nicht beeinflussen darf. Unter welchen Voraussetzungen eine vertragliche Tariftreueklausel danach zulässig wäre, wurde von den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen bislang noch nicht entschieden.
Fazit
Handelt es sich um eine – europaweite – öffentliche Auftragsvergabe für die im AEntG genannten Branchen, kann die Vergabestelle in der Eignungsprüfung die Abgabe einer Tariftreueerklärung fordern, sofern diese unter den Vorbehalt einer Allgemeinverbindlichkeit nach den Verfahren des AEntG gestellt wird.
Für andere Branchen besteht nach dem Willen des Gesetzgebers die Möglichkeit, eine entsprechende Tarifbindung im konkreten Auftrag vorzusehen. Die Tariftreueverpflichtung ist allerdings auf die zur Auftragserfüllung eingesetzten Mitarbeiter zu beschränken und darf sich auf die allgemeine Unternehmenspolitik des Unternehmens nicht auswirken. Welche konkreten Voraussetzungen dabei zu erfüllen sind, ist noch nicht geklärt.
* Da die GWB-Novelle lediglich europaweite Ausschreibungen umfasst und in den Neufassungen der VOB/A bzw. der VOL/A vergleichbare Modifikationen nicht vorgenommen wurden, gelten die folgenden Ausführungen nur für europaweite Verfahren.
Mehr Informationen über die Autorin Julie Wiehler, LL.M., finden Sie im Autorenverzeichnis.