Minuspreise bei öffentlichen Ausschreibungen – Die Umsatzsteuerproblematik wird bislang übersehen (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.12.2010 – VII-Verg 33/10)

Entscheidung Minuspreise sind aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers doch eigentlich eine Annehmlichkeit. Er muss für die betreffende Leistungsposition nichts bezahlen, sondern er erhält vielmehr eine Gutschrift. Das erscheint ganz logisch, und es kann zumindest rechnerisch relativ einfach gehandhabt werden.

Aber es ist wie so häufig: Das Recht, und speziell das Vergaberecht, kennt so seine eigenen Regeln, die das Leben wieder kompliziert machen können. Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 22.12.2010 – VII-Verg 33/10) hat sich im Interesse der Stärkung des Wettbewerbs zu der Frage der Wertbarkeit von Minuspreisen jüngst positiv geäußert. Indes: Nicht nur das Vergaberecht steht dem entgegen, sondern es wurde wohl auch die dabei entstehende Umsatzsteuerproblematik übersehen.

Wo sind Minuspreise überhaupt von Bedeutung?

Minuspreise – oder auch: negative Einheitspreise – erlangen typischerweise dann eine Bedeutung, wenn Materialien wie z.B. Kupferleitungen, Altholz oder Mutterboden ausgebaut werden, jedoch die Erlöse aus der Weiterverwendung die vom Unternehmer zu berechnende Vergütung übersteigen. Dies führt dann in der Praxis dazu, dass der Unternehmer dem öffentlichen Auftraggeber eine Gutschrift anbietet, anstatt dass er ihm einen Preis für seine Leistung berechnet.

Wo liegt das vergaberechtliche Problem?

Zunächst einmal ist mit der Verwendung von Minuspreisen schon aus vergaberechtlicher Sicht eine Änderung der Vergabeunterlagen (Verdingungsunterlagen) zu konstatieren. Der Düsseldorfer Vergabesenat argumentiert formal damit, dass die Ausschlussgründe nach der VOB/A abschließend sind. Das ist richtig. Das ist aber nicht das Problem. Das Problem ist, dass die im Wege von negativen Einheitspreisen angebotene Gutschrift eine Änderung der Verdingungsunterlagen darstellt. Abgefragt wird eine vergütungspflichtige Werkleistung in Ausschreibungen nach der VOB/A oder z.B. ein Kaufgegenstand in Vergabeverfahren nach der VOL/A. Offeriert der Bieter hier jedoch seinerseits eine Vergütung, so wird aus der abgefragten Leistung eine Mischleistung und damit unweigerlich ein veränderter Vertrag, der u.a. Elemente eines Ankaufs und Tauschs enthält. Weder auf der Basis der VOB/A 2006, noch auf der Grundlage der VOB/A 2009, die beide den zwingenden Ausschlussgrund „Änderungen an den Vergabeunterlagen“ kennen, kann man hier noch zu einer Wertung des Angebotes gelangen. Diese Sachlage hat die VK Arnsberg in der Ausgangsinstanz (Beschl. v. 6. 7. 2010, VK 07/10) völlig zutreffend gesehen und konsequent in Richtung einer zwingenden Ausschlussbedürftigkeit entschieden.

Im Übrigen stellt auch eine Auspreisung einer Position mit „Null“ („0,00 €“) nicht nur eine fehlende Preisangabe dar (die auf Basis der VOB/A-VOL/A 2009 ggf. nachgeholt werden könnte), sondern eine Änderung an den Vergabeunterlagen, die eben gerade nicht mehr geheilt werden kann. Das Angebot ist zwingend auszuschließen, weil z.B. aus dem Einkauf einer Leistung eine Schenkung wird. Es ist daran zu erinnern, dass im Vergaberecht jede kleinste Abweichung auch nur in einer einzigen Position ein absolutes Hindernis für das weitere Verbleiben in der Wertung darstellt (vgl. dazu bereits: Noch, „Transparente Preiskalkulation – Alle Leistungspositionen sind mit Preisen zu versehen, sonst droht Ausschluss des eigenen Angebotes“, VergabeNavigator 3/2010, S. 31, 32). Bei dieser Gelegenheit: Warum diskutiert man denn sonst über symbolische Bepreisungen von „1ct“ oder „1 €“? Dies hat doch seinen maßgeblichen Grund gerade in der Vermeidung einer aus auch anderen Rechtsgründen nicht wirksamen „Auspreisung“ mit „0 €“. „0 €“ sind schlicht und einfach keine Gegenleistung.

Das Verbot von Minuspreisen bzw. deren eingeschränkte Zulassung für bestimmte Ordnungsziffern gemäß den in der angegriffenen Ausschreibung verwendeten „HVA B-StB-Bewerbungsbedingungen“ stellt entgegen der rechtlichen Wertung des OLG Düsseldorf auch keine unzulässige Beschneidung der unternehmerischen Kalkulationsfreiheit dar. Die Intention des Vergabesenates, mit dieser Entscheidung „pro Minuspreise“ die unternehmerische Freiheit und damit den Wettbewerb zu stärken, in allen Ehren: Es ist jedoch nach hier vertretener Auffassung rechtlich nicht zulässig, solche Erwägungen über zwingende Ausschlussgründe der Vergabe- und Vertragsordnung zu stellen. Eine Änderung an den Vergabe- und Vertragsunterlagen ist gerade umgekehrt im Interesse des fairen Wettbewerbs unter den Bietern aus gutem Grund nicht zu akzeptieren.

Wo liegt nun das umsatzsteuerrechtliche Problem?

Zu den vergaberechtlichen Hemmnissen der Wertbarkeit eines Angebotes mit Minuspreisen kommt das umsatzsteuerrechtliche Problem hinzu. Es ist, das Ergebnis vorwegnehmend, festzustellen, dass diese Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in nicht wenigen Fallkonstellationen den Bietern eine Umsatzsteuerverkürzung erlaubt. Von einer unreflektierten Anwendung dieser Rechtsprechung kann daher nur gewarnt werden.

Bei der Übernahme und Entsorgung werthaltiger Stoffe bzw. Abfälle kann umsatzsteuerlich unter gewissen Voraussetzungen nicht nur eine einzige Leistung vorliegen, sondern ein tauschähnlicher Vorgang zweier entgegengesetzter Leistungen. Liegt nicht nur eine, sondern liegen umsatzsteuerlich zwei Leistungen vor, so dürfen diese Entgelte für sie nicht miteinander verrechnet („saldiert“) werden. Vielmehr ist die Umsatzsteuerpflicht jeder der beiden Leistungen gesondert zu beurteilen und daher auch für jede von ihnen gesondert ein Entgelt – ggf. zuzüglich Umsatzsteuer – auszuweisen (Abschnitt 10.5 Abs. 2 des Anwendungserlasses zur Umsatzsteuer v. 01.10.2010 [UStAE] sowie das BMF-Schreiben vom 01.12.2008, BStBl. I 2008, 992). Da die öffentlich-rechtlichen Auftraggeber auch in vielen Entsorgungsbereichen nicht umsatzsteuerpflichtig tätig sind, wohl aber der anbietende Unternehmer, hat dies zur Konsequenz, dass infolge der Saldierung der ausgetauschten Leistungen die Umsatzsteuer falsch berechnet, sprich verkürzt, wird. Besteht also in einem konkreten Ausschreibungssachverhalt diese Möglichkeit (und das wird recht häufig der Fall sein), so würde der öffentliche Auftraggeber mit der Zulassung und Wertung von Minuspreisen Verstöße gegen das Umsatzsteuerrecht zulassen, was in ersichtlichem Maße den auch in diesem Punkt unzutreffenden Charakter der Entscheidung des OLG Düsseldorf unterstreicht.

Der Autor, Dr. Rainer Noch, ist Rechtsanwalt bei Böck Oppler Hering, München. Er berät und vertritt insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Bieter und Verbände, in allen Fragen des Ausschreibungsrechts, speziell auch im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.

Weiterführendes: Kurzaufsatz von Hoffmann-Klein/Noch („Entsorgung weiterverwertbarer Materialien als umsatzsteuerpflichtge Leistung – Was bedeutet das für die öffentlichen Auftraggeber? Ein Problemaufriss“) im Informationsdienst Vergabe Spezial, Heft 01/2011, S. 2, das Ende Januar erscheint (www.vergabe-spezial.de).