Wie war das noch mit der Eignung und der Nachforderung von Nachweisen? – Ein komprimierter Überblick für die Vergabepraxis
Vermehrt wurde in letzter Zeit an uns herangetragen, dass es sowohl bei Auftraggebern als auch bei Bietern immer wieder zu Unsicherheiten bei dem Umgang mit Eignungsnachweisen kommt. Neben der zuweilen schwierigen Abgrenzung zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien hat sich die Verunsicherung durch die neuen Vergabe- und Vertragsordnungen verstärkt, welche nämlich nunmehr den Grundsatz der Eigenerklärung festschreiben und die Möglichkeit des Nachforderns von Nachweisen eröffnen. Da es zu diesen neuen Regeln kaum Entscheidungen der Vergabekammern gibt, haben wir unseren Autor Dr. Roderic Ortner gebeten, unseren Lesern und Leserinnen einige praktische Tipps mit auf den Weg zu geben.
Was ist Eignung?
Ein oberstes vergaberechtliches Prinzip besagt, dass Aufträge an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben werden. Dieses Prinzip steht in § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB und damit in unmittelbarer Gesellschaft zu den übrigen grundlegenden vergaberechtlichen Prinzipien, wie etwa dem Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatz. Auf Ebene der Vergabeordnungen VOB/A, VOL/A und VOF (je Ausgabe 2009) wird dieses Prinzip wiederholt und als „Eignung“ definiert; allerdings findet man dort die „Gesetzestreue“ nicht mehr, welche aber wohl ohnehin in der Zuverlässigkeit enthalten ist.
Geforderte Eignungsnachweise müssen „gerechtfertigt“ sein
Nach VOL/A und VOF dürfen von Unternehmen zum Nachweis der Eignung nur Unterlagen und Angaben gefordert werden, die durch den Gegenstand des Auftrags „gerechtfertigt“ sind (ähnlich bei VOB/A). „Gerechtfertigt“ sind nur solche Unterlagen und Angaben, welche im Hinblick auf den zu vergebenden Auftrag angemessen, d.h. verhältnismäßig sind. Dabei sind auch mittelständische Interessen zu berücksichtigen, dies folgt jedenfalls oberhalb der Schwellenwerte aus § 97 Abs. 3 Satz 1 GWB (diese Folge ist allerdings nicht unumstritten). Unverhältnismäßige Eignungsnachweise stellen einen Vergabefehler dar, den ein Bieter rügen kann.
Der Grundsatz der Eigenerklärungen und Abgrenzung zu Dritterklärungen
Seit 11. Juni 2010 sind nach allen Vergabeordnungen zur Überprüfung der Eignung grundsätzlich nur noch Eigenerklärungen zu verlangen. Damit sollen Einsparungen auf Bieter- und Auftraggeberseite erreicht werden. Die Forderung von anderen Nachweisen soll nun die Ausnahme bleiben und ist, wie bei jeder Ausnahme im Vergaberecht, zu begründen und zu dokumentieren.
Leider wird uns nicht verraten, was Eigenerklärungen genau sind. Hier wird man wohl zunächst feststellen können, dass Eigenerklärungen von Fremd- bzw. Dritterklärungen abzugrenzen sind. D.h., sämtliche Erklärungen, die der unmittelbaren Sphäre des Unternehmens entstammen, sind Eigenerklärungen, wie etwa die Wiedergabe von Referenzprojekten, Umsatzzahlen, Bilanzen. Dritterklärungen sind dagegen z.B. Registerauszüge oder Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die bei öffentlichen Stellen beantragt werden müssen, Zertifikate, Bankerklärung, Versicherungsnachweis.
Freilich kann von einem Unternehmen verlangt werden, dass es erkläre, dass es über eine bestimmte Zertifizierung (oder eine vergleichbare) und über eine Betriebshaftpflichtversicherung mit einer bestimmten Mindestdeckungssumme verfüge. Für den öffentlichen Auftraggeber bietet es sich an, dass er dieses Sammelsurium an Eigenerklärungen einmal für die Schublade vorformuliert, um in Vergabeverfahren die eingehenden Erklärungen besser vergleichen zu können und damit seinen Prüfaufwand insgesamt verringert.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Erfährt der Auftraggeber, etwa über die Medien, Umstände, die ernsthaft gegen die Eignung eines Unternehmens sprechen könnten, darf er sich selbstverständlich von diesem Unternehmen eine Dritterklärung vorlegen lassen, etwa eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts. Das Vergaberecht möchte nicht, dass ein ungeeignetes Unternehmen den Zuschlag erhält. Deshalb darf der Auftraggeber selbst noch während eines Nachprüfungsverfahrens die Eignung überprüfen, wenn sich neue, vom Auftraggeber zu belegende Anhaltspunkte ergeben, die gegen die Eignung sprechen. Wohl gemerkt: Es müssen sich neue Anhaltspunkte ergeben. Denn ein Unternehmen, welches einmal die Eignungsstufe erfolgreich durchlaufen hat, darf grundsätzlich nicht mehr hinsichtlich seiner Eignung geprüft werden. Aus diesem Grund dürfen Eignungs- und Zuschlagskriterien auch nicht vermengt werden. Die Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien, die vor allem bei persönlich geprägten Dienstleistungen schwierig ist (z.B. Einkauf von Moderatoren), soll hier nicht problematisiert werden, da hierzu bereits an anderer Stelle viel geschrieben wurde und zahlreiche Rechtsprechungsentscheidungen vorliegen.
Der vermeintliche Widerspruch in § 7 Abs. 2 VOL/A-EG
Verwirrend erscheint § 7 Abs. 2 VOL/A-EG. Dort steht: „In finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht kann von den Unternehmen zum Nachweis seiner Leistungsfähigkeit in der Regel Folgendes verlangt werden: a) Vorlage von Bankauskünften (…)“
Dies scheint auf den ersten Blick in Widerspruch zu dem Grundsatz der Eigenerklärungen zu sprechen; die Formulierung ist daher verunglückt. Es handelt sich in § 7 Abs. 2 VOL/A-EG jedoch lediglich um eine abstrakte Aufzählung derjenigen Nachweise, die zur Überprüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit verlangt werden können. Diese Aufzählung enthält sowohl „Eigenerklärungen“ als auch „Dritterklärungen“. Die Frage, ob der Auftraggeber Dritterklärungen verlangen kann, ist jedoch im Vorfeld zu beantworten. In der Praxis werden Nachweise nach § 7 Abs. 2 lit. a) bis c) VOL/A-EG die Ausnahme bleiben.
Eignungsprüfung und Zeitpunkt der Bekanntgabe der Eignungsnachweise
Wann wird die Eignung geprüft? Im Offenen Verfahren bzw. bei der Öffentlichen Ausschreibung erfolgt die Eignungsprüfung auf der 2. Wertungsstufe. Beim Nicht Offenen Verfahren bzw. bei der Beschränkten Ausschreibung und beim Verhandlungsverfahren bzw. bei der Freihändigen Vergabe mit Teilnahmewettbewerb erfolgt die Eignungsprüfung im Teilnahmewettbewerb.
Unabhängig von dem Ausschreibungsverfahren gilt, dass im Fall einer öffentlichen Bekanntmachung die zur Überprüfung der Eignung geforderten Nachweise und Erklärungen bereits in der Bekanntmachung abschließend genannt werden müssen. Nachträglich sind lediglich Konkretisierungen der bereits genannten Nachweisforderungen möglich. Der Auftraggeber darf aber etwa keinen vermeintlich vergessenen weiteren Nachweis nachfordern und zwar unabhängig davon, ob es sich bei dem Nachweis um ein Mindestkriterium oder um ein Bewertungskriterium handelt (umstritten). Die Auftraggeber sollten daher besonders sorgfältig bei der Formulierung der Eignungsnachweise sein.
Spannungsverhältnis „Kein Mehr an Eignung“ und Abschichtungsmöglichkeit
Letzteres gilt vor allem dann, wenn die Eignungsnachweise gewichtet werden. Es gilt zwar der Grundsatz „Kein Mehr an Eignung“ und eine Gewichtung scheint diesem Grundsatz zu widersprechen. Bei einem Teilnahmewettbewerb erlaubt das Gesetz jedoch eine Reduzierung der auszuwählenden Bewerber auf mindestens fünf bzw. drei (je nach Verfahren). Das bedeutet, dass ein Bewerber, der geeignet ist, gleichwohl nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert werden könnte, schlicht deshalb, da das Gesetz dem Auftraggeber ein „Abschichten“ erlaubt, vgl. etwa § 3 Abs. 5 VOL/A-EG.
Wann wird ein Nachfordern „können“ zu einem „müssen“?
Die neuen Vergabeordnungen sehen vor, dass Erklärungen und Nachweise nachgefordert werden können (bzw. müssen bzgl. Mindestkriterien bei VOB/A). „Können“ heißt, dass der Auftraggeber ein Ermessen hat, ob er nachfordert. Die Frage stellt sich nun, wann sein Ermessen derart reduziert ist, dass er nachfordern „muss“.
Nachfristsetzung und Ermessensreduzierung
Streng dem Wortlaut darf nur einmal nachgefordert werden, d.h. einmal eine Nachfrist gesetzt werden. Danach ist ein Nachfordern nicht mehr möglich. Das erscheint auch sinnvoll, da ein Bieter, der nachreichen darf, stets gegenüber den von Anfang an „korrekten“ Bietern einen zeitlichen Vorsprung erhält. Die Nachforderungsfrist sollte daher möglichst kurz sein, m.E. nicht länger als eine Woche.
Ermessensreduzierung aufgrund Gleichbehandlungsgrundsatz
Sicherlich und unstreitig liegt eine Ermessensreduzierung vor, wenn der Auftraggeber bei einem Bewerber einen bestimmten Nachweis X nachfordert, nicht aber von einem anderen Bewerber. Gilt dies aber auch, wenn er zwar von allen Bewerbern die vergessenen Nachweise X nachfordert, nicht aber die teilweise ebenfalls vergessenen Nachweise Y? Beispiel: Der Auftraggeber verlangt von zwei Bewerbern die Eigenerklärung zur Zuverlässigkeit nach, nicht aber vom dritten Bewerber, den er ausschließt. Denn dieser dritte Bewerber hatte außerdem keine Eigenerklärung zur finanziellen Leistungsfähigkeit beigefügt. Es stellt sich also die Frage nach dem „Alles oder nichts“. Muss der Auftraggeber, wenn er irgend einen Nachweis nachfordert, dann auch alle Nachweise nachfordern, die nicht eingereicht wurden? Die Frage ist noch nicht abschließend geklärt, ich tendiere dazu, dass je nach konkretem Einzelfall bei Vorliegen eines sachlichen Grundes, der zu dokumentieren wäre, ein teilweises Nachfordern zulässig ist.
Beispiel: Angenommen, der Auftraggeber verlangt sowohl Eignungsnachweise nach Mindestkriterien, z.B. die Vorlage eines Datenschutzkonzepts als auch nach Bewertungskriterien, z.B. die Vorlage von Referenzen, wobei jede Referenz mit bis zu drei Punkten bewertet wird. In diesem Fall erscheint es zulässig, dass der Auftraggeber nur die Nachweise nachfordert, deren Vorlage zwingend war (also als Mindestkriterium gekennzeichnet waren), nicht jedoch die Nachweise, die bewertet werden. Denn angenommen, ein Bieter A reicht eine Referenz ein, die der Aufraggeber mit 2 Punkten bewertet. Bieter B hat keine Referenz beigefügt. Wenn nun B aufgefordert würde, noch Referenzen nachzureichen, würde er gegenüber A bevorzugt, zumindest in zeitlicher Hinsicht bei der Zusammenstellung und Beschreibung der Referenz(en). Aber auch diese Konstellation ist bislang nicht abschließend geklärt.
Ermessensreduzierung aufgrund Wettbewerbsgrundsatz
Eine Ermessensreduzierung kommt m.E. auch dann in Betracht, wenn etwa nur drei Teilnahmeanträge/Angebote vorliegen und bei einem ein bestimmter Nachweis fehlt. Wenn der Auftraggeber nun diesen Bewerber/Bieter ausschlösse, ohne den Nachweis nachgefordert zu haben, würde der Wettbewerb unangemessen beschränkt. Aus diesem Grund muss der Auftraggeber in einer solchen Konstellation den Nachweis nachfordern. Wenn der Nachweis dann immer noch nicht erbracht wird, wäre mit den beiden verbleibenden Bietern weiterzumachen, der Auftraggeber hätte dann jedenfalls versucht, den Wettbewerb möglichst lange offen zu halten. Entscheidungen hierzu liegen aber, soweit ersichtlich, noch nicht vor.
Liste der Nachweise
Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang daran, dass der Auftraggeber nach VOL/A sämtliche Nachweise, die er verlangt, in einer abschließenden Liste zusammenstellen muss. Hierbei handelt es sich wohl um ein Gebot, auf welches sich ein Bieter berufen kann. Das bedeutet: Fehlt eine solche Liste und wird ein Bieter ausgeschlossen und kann dieser Bieter belegen, dass er den Nachweis, der an versteckter Stelle gefordert wurde, eingereicht hätte, wenn es eine solche Liste gegeben hätte, ist nicht auszuschließen, dass eine Vergabekammer anordnet, dass das Vergabeverfahren insoweit wiederholt wird.
Der Autor Dr. Roderic Ortner ist Rechtsanwalt der Sozietät BHO Legal, Köln, München. Er ist spezialisiert auf nationales und europäisches Kartell- und Vergaberecht, hier insbesondere auf Vergabeverfahren und Vertragsgestaltung für Forschungsprojekte der Sicherheits-, Verteidigungs- und Raumfahrtindustrie. Mehr Informationen zum Autor finden Sie finden Sie im Autorenverzeichnis.