„Nachhaltigkeit kann für Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil sein“ – Interview mit Klaus-Peter Tiedtke, Direktor des Beschaffungsamtes des Bundesministeriums des Innern
Auch wenn es bereits zuvor rechtliche Möglichkeiten gab: Spätestens seit der Reform des GWB sind diese mit § 97 Abs. 4 auch in Gesetzesform gegossen. Marco Junk sprach mit Klaus-Peter Tiedtke, Direktor des Beschaffungsamts des Bundesministeriums des Innern, über politische Ziele bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die Bewertbarkeit von Nachhaltigkeit, Marktchancen für nachhaltige Unternehmen und über mehr Mut bei der Gesetzgebung.
Herr Tiedtke, auf den ersten Blick erscheint Ihre gegenwärtige Tätigkeit wenig „politisch“. Dabei kauft das Beschaffungsamt Waren und Dienstleistungen für 26 Bundesbehörden, vom Bund finanzierte Stiftungen und international tätige Organisationen ein – im Jahr 2009 für ein Gesamtvolumen von 961,3 Millionen Euro. Sollte diese Marktmacht auch dazu genutzt werden, politische steuernd auf Auftragnehmer und ihre Produkte/ Dienstleistungen einzuwirken?
Was die politischen Implikationen des strategischen Einkaufs betrifft, ist das Beschaffungsamt in einer Zwickmühle. Einerseits propagieren die Vergabekammern des Bundeskartellamtes und die höchstrichterliche Rechtsprechung in den letzten Jahren immer wieder, dass das Vergaberecht eben gerade nicht politischen Zwecken zu dienen hat, sondern der Wirtschaftlichkeit und dem Wettbewerb. Andererseits ist auch in den letzten Jahren zu beobachten, dass EU-Kommission und Bundesregierung mit politischen Impulsen immer drängender auf den öffentlichen Einkauf Einfluss nehmen. Ich nenne hier insbesondere die nachhaltige Beschaffung. Das BMWi sperrt sich, die Realisierung des politischen Willens im Vergaberecht möglich zu machen. Er hat zwar zaghafte Ansätze mit der Ergänzung des § 97 GWB gemacht, dass nun leistungsbezogene Kriterien zur Nachhaltigkeit aufgenommen werden können. Aber die Eignungskriterien sind nach wie vor starr.
Durch die Nuklerar-Katastrophe in Japan verstärkt sich der politische Fokus auf eine ökologische Wende. Wie sehr wird sich dieser Anspruch auf die Beschaffung der öffentlichen Hand auswirken?
Viele sind jetzt noch zu stark emotional bewegt, um schon in eine nüchterne rationale Bewertung der Geschehnisse einzutreten. Man wird aber noch dazu kommen, u.a. zu analysieren, inwieweit die Firma Tepco neben ihrer Leistungsfähigkeit, Atomstrom zu produzieren, auch die Eignung hatte, die damit verbundenen ökologischen und sozialen Risiken zu bewältigen.
Dies stützt meine These, dass es beim strategischen Einkauf, wenn er die Nachhaltigkeitskriterien wirksam erfüllen soll, längst nicht mehr ausreicht, nur auf produktbezogene Leistungskriterien abzustellen. Im Wettbewerb müssen endlich auch die Eignungskriterien skalierbar bewertet werden dürfen; dies ist derzeit vergaberechtlich verboten. Gegenwärtig darf die Eignung nur als Ja-Nein-Kriterium verwendet werden.
Mein Ziel ist es, dass die besten Firmen hinsichtlich der Eignungskriterien in einen Wettbewerb eintreten, damit wir neben best practice auch zu best skills kommen. Das lässt sich aber nur durch Ergänzung des Wettbewerbsrechts realisieren. Der BMWi ist dafür verantwortlich. Ich hoffe auf jemanden, der sich dort endlich der Sache annimmt.
Bereits seit der Novelle 2009 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen können zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen. Welche Erfahrungen haben sie bisher damit gemacht?
Seit der Gesetzesnovelle können zwar soziale und umweltbezogene Anforderungen in Ausschreibungen angewendet werden. Allerdings muss jedes Kriterium sachlich durch die Besonderheiten des Ausschreibungsgegenstandes gerechtfertigt sein. Ökologische Kriterien können durchaus in die Leistungsbeschreibungen aufgenommen werden – zum Beispiel, wenn energieeffiziente Computer bestellt werden.
Anders sieht es bei sozialen Anforderungen aus. Produkte sind oft das Ergebnis eines langen Produktionsprozesses mit einer Lieferkette von Zulieferern und Zu-Zulieferern. Die Herstellungsphase ist für uns oftmals ein schwarzes Loch: Wie sollen wir herausfinden, ob ein Knopf, der an einer Jacke der Bundespolizei hängt, nicht von Kindeshand angenäht wurde? Überprüfung von Kriterien müssen auch wirtschaftlich darstellbar sein. Hier ist zum einen der Gesetzgeber gefragt: In den Eignungskriterien, bei denen es auch um Zuverlässigkeit und Gesetzestreue geht, braucht es mehr Flexibilität in der Entscheidungsfindung. Zum anderen sind die Unternehmen gefragt, mehr Transparenz zu schaffen.
§ 97 Abs. 4 GWB
Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben. Für die Auftragsausführung können zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben. Andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist.
Sollten Bieter für entsprechende Nachhaltigkeits-Kriterien Eigenerklärungen abgeben oder braucht es entsprechende Zertifikate anerkannter Stellen?
Einfache Eigenerklärungen können für die Zukunft nicht ausreichen. Durch solche oft allgemeinen Verlautbarungen entsteht genau das, was wir verhindern möchten: Intransparenz. Es könnte vorkommen, dass es einer der Bieter darauf ankommen lässt und entgegen seiner Erklärung seine Lieferkette keineswegs kontrolliert. So könnten Nachtteile für diejenigen entstehen, die es ernst meinen mit der Nachhaltigkeit – und dadurch eine mögliche finanzielle Belastung tragen müssen. Wir brauchen also weitreichende und verbindliche Zertifikate, die in der Breite angenommen werden – wie etwa das Bio-Siegel im Lebensmittelbereich. Das wird eine große Herausforderung, denn bisher ist die Zertifikate-Landschaft noch zu zersplittert.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen könnten Probleme damit haben, ihre Produktion entsprechend umzustellen. Wie verträgt sich das mit der gewollten Förderung des Mittelstands?
Natürlich geht es auch darum, dass der Mittelstand weiter gefördert wird; und ob die Produktion wirklich stark umgestellt werden muss, ist sicher von Fall zu Fall verschieden. Fest steht: Wir brauchen mehr Klarheit in Sachen Nachhaltigkeit. Nur so können Befürchtungen abgebaut werden – gleichgültig, ob es kleine, mittlere oder große Unternehmen sind.
Ich rate dazu, das Thema unter positiven Vorzeichen zu sehen: Nachhaltigkeit ist ein Megatrend, und diejenigen, die sich darauf einstellen, werden langfristig Wettbewerbsvorteile genießen. Es lohnt sich, über Nachhaltigkeit nicht nur zu reden, sondern sie auch umzusetzen. Von unserer Seite aus suchen wir auch das Gespräch mit der Wirtschaft, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Zu welchen brauchbaren Ergebnissen so ein Gespräch führen kann, sieht man zum Beispiel an den gemeinsamen Leitfäden mit dem Umweltbundesamt und des Branchenverbandes BITKOM für die umweltfreundliche Beschaffung.
Aber wir sind nicht nur mit der Wirtschaft im Dialog: Das Forschungsinstitut für öffentliche Beschaffung in München untersucht aktuell, wie stark Nachhaltigkeitsaspekte den Markt beeinflussen. Wir sind Praxispartner dieser Studie und haben unter anderem Einblick in unsere Vergabeakten gewährt, damit die Wissenschaft der Frage nachgehen kann, wie Ausschreibungskriterien den Nachhaltigkeitsaspekt berücksichtigen und sich im gesamten Vergabeverfahren auswirken. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse und denke, dass das Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis sehr positiv für die Nachhaltigkeitsdebatte ist.
Die EU-Kommission hat vor einigen Wochen ein nicht unumstrittenes Grünbuch zur nachhaltigen Beschaffung vorgelegt. Konnten Sie sich dazu schon ein Bild machen?
Der Leitfaden „Social Buying“ ist für die nationalen Beschaffungsbehörden gedacht und hat das Ziel ein sozial verantwortliches Beschaffungswesen zu etablieren. Doch auch dieser Leitfaden stößt an Grenzen. Denn wer in Deutschland auf europäischer Ebene ausschreibt, hat sich an das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zu halten – und dort ist die Problematik der Leistungs- und Eignungskriterien gegeben.
Nichtsdestotrotz: Diese neue europäische Initiative findet in unserem Haus große Aufmerksamkeit, wir erarbeiten gerade unseren „Masterplan Nachhaltigkeit“ Sie sehen: Das Jahr 2011 und die Folgejahre werden noch einiges mit sich bringen.
Vielen Dank für das Interview!
Klaus-Peter Tiedtke wurde 1949 in Bremerhaven geboren. Nach Jura-Studium in Köln und Referendariat im OLG-Bezirk Düsseldorf wurde er 1978 beim Bundesverwaltungsamt in Köln eingestellt. Nach seiner Abordnung in das Bundesinnenministerium baute er die Aussiedlerabteilung des BVA auf. Er übernahm dann die Abteilung Sport- und Kulturförderung mit Sonderaufgaben „Aufbau-Ost“. 1992 war er am Aufbau der Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen beteiligt. Von dort ging er nach Nürnberg und gestaltete als Abteilungsleiter den Aufbau des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Umbau zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sowohl in der Zentralabteilung, als auch zuletzt in der Abteilung „Internationale Aufgaben, Migrationsforschung und –grundsatzangelegenheiten sowie Informations- und Kommunikationstechnik“. Nach Durchführung des BMI-Auftrags „Sonderprüfung Doping“, übernahm er am 1. August 2007 im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe die Funktion des Vizepräsidenten. Seit dem 1. November 2008 leitet er das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern.