Serie Nebenangebote – von der Bekanntmachung bis zum Zuschlag, Teil 2: Mindestanforderungen
Im ersten Beitrag dieser Serie hatte ich Ihnen die Zulassung von Nebenangeboten in der Vergabebekanntmachung vorgestellt. Wie wir gesehen haben, ist die Zulassung von Nebenangeboten als solche noch relativ einfach zu handhaben, man darf sich – im Oberschwellenbereich – nur nicht von den Formulierungen der VOL/A und v. a. der VOB/A irreführen lassen. Deutlich unübersichtlicher wird die Rechtslage für den Auftraggeber, der mit seinem Wunsch, Nebenangebote zuzulassen, ernst machen will, und sich nun an die Überwindung der nächsten Hürde machen muss.
Diese Hürde heißt – bei Vergaben oberhalb der Schwellenwerte – „Mindestanforderungen“, was spätestens seit der Entscheidung des EuGH in der Sache „Traunfellner“ (Urteil vom 16.10.2003 – Rs. C-421/01) ein geflügeltes Wort im Zusammenhang mit der Zulassung von Nebenangeboten ist. Damals hatte der EuGH entschieden, dass in den Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen anzugeben sind, die die Änderungsvorschläge erfüllen müssen, und dass eine einfache Verweisung in den Verdingungsunterlagen auf eine nationale Rechtsvorschrift diesem Erfordernis nicht genügt. Wenn der Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen keine Angaben zu Mindestanforderungen macht, können folglich Nebenangebote selbst dann nicht berücksichtigt werden, wenn sie der Auftraggeber in der Bekanntmachung zugelassen hat.
Diese Entscheidung sorgte damals für allgemeinen Aufruhr in der deutschen Vergaberechtswelt, vergleichbar den aktuellen Beschlüssen zur Frage, ob Nebenangebote gewertet werden können, wenn der Preis das alleinige Wertungskriterium ist (hiermit wird sich der nächste Teil dieser Serie beschäftigen). Der Aufruhr ist mittlerweile spürbar abgeebbt, ohne dass man jedoch behaupten könnte, dass die Rechtsfragen, welche Folgerungen aus dem Urteil des EuGH zu ziehen sind, in der Praxis überzeugend und vor allem eindeutig gelöst wären. Vielmehr findet sich ein bunter Strauß an divergierenden, mitunter sich aus widersprechenden Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen zu der Frage, was das denn nun heißen soll: „Angabe von Mindestanforderungen an Nebenangebote“.
Aus dem Wortlaut der einschlägigen Normen – § 16a Abs. 3 VOB/A, § 9 EG Abs. 5 VOL/A und § 8 Abs. 1 SektVO – kann zur Beantwortung dieser Frage nichts wirklich Weiterführendes abgeleitet werden. Aus der Rechtsprechung lassen sich nur in groben Umrissen einige Kategorien ableiten, die für die Aufstellung von Mindestanforderungen beachtlich sind, und die ich Ihnen nachfolgend gerne zusammenfassen will:
1. Formale Mindestanforderungen reichen nicht aus
Zunächst ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 3 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG
„Lassen die öffentlichen Auftraggeber Varianten zu, so nennen sie in den Verdingungsunterlagen die Mindestanforderungen, die Varianten erfüllen müssen, und geben an, in welcher Art und Weise sie einzureichen sind.“
(ähnlich: Art. 36 Abs. 1 der Sektorenrichtlinie 2004/17/EG) ohne weiteres, dass sich Mindestanforderungen nicht auf Art und Weise der Einreichung von Nebenangeboten beschränken dürfen, denn das ist offensichtlich eine andere – von den Mindestanforderungen zu trennende – Voraussetzung.
Mindestanforderungen dürfen sich – soweit ist man sich überwiegend einig – daher m. a. W. nicht in formalen Anforderungen erschöpfen, wie sie z. B. in § 13 Abs. 3 VOB/A enthalten sind. Deswegen reichen z. B. folgende Anforderungen als Mindestanforderungen in diesem Sinne Vorgaben nicht aus:
- Nebenangebote sind auf gesonderter Anlage abzugeben und als solche zu kennzeichnen,
- Nebenangebote sind in Einzelpositionen aufzugliedern,
- Nebenangebote dürfen nur zusammen mit einem Hauptangebot abgegeben werden,
- Nebenangebote sind eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, etc.
2. Inhaltliche, aber unkonkrete Mindestanforderungen reichen nicht aus
Mindestanforderungen an Nebenangebote müssen vielmehr inhaltlicher Natur sein. Das bedeutet zunächst einmal, dass sich die Vorgaben an die
- Leistung selbst (was beschafft wird – Nebenangebote in diesem Bereich sind meistens technischer Natur – daher „technische Nebenangebote“) oder
- Leistungsmodalitäten (wie es beschafft wird, z. B. Termine, Zahlungsfristen, Begleitumstände – Nebenangebote in diesem Bereich sind meistens wirtschaftlicher bzw. kaufmännischer Natur – daher „kaufmännische Nebenangebote“)
richten müssen. Auf die teilweise vertretene Meinung, dass nur für technische Nebenangebote, nicht aber für kaufmännische Nebenangebote Mindestanforderungen zu definieren wären, sollten sich Auftraggeber im Übrigen nicht verlassen, denn eine solche Unterscheidung findet sich weder in den Richtlinien noch in der VOL/A, VOB/A oder SektVO.Diese inhaltlichen Anforderungen müssen ausreichend konkret formuliert sein. Auch insoweit ist es wieder leichter, klarzustellen, was nicht ausreichend konkret ist:
- Nicht ausreichend ist die bloße Anforderung, dass Nebenangebote gleichwertig sein müssen, oder alle Leistungen umfassen müssen, die zu einer einwandfreien Ausführung der Bauleistung erforderlich sind, oder dass sie den Anforderungen der Vergabeunterlagen genügen müssen.
- Nicht ausreichend ist wohl auch die Anforderung, dass die Qualitätsstandards für Hauptangebote von Nebenangeboten nicht unterschritten werden dürfen, soweit sie nicht durch weitere Anforderungen präzisiert wird, vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.05.2010,VII-Verg 4/10.
- Bedenken hat die Rechtsprechung auch hinsichtlich anderer (zu) allgemeiner Formulierungen wie z. B.:
„Nebenangebote sind zugelassen hinsichtlich geänderter Bauausführung in technischer Alternative, soweit nicht der Gesamteindruck aus Entwurf, Planung und durch mit der Leistungsbeschreibung festgelegter Merkmale und Standards zum Nachteil verändert wird. Die durch Planung und Ausschreibungsunterlagen hinsichtlich Konstruktion, Qualität, Nutzungsdauer, etc, auch durch die Auswahl der Baustoffe, Geräte, Verfahren, etc. definierten Anforderungen sind als Mindestanforderungen anzusehen.“ (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.12.2008, VII-Verg 51/08)
Bieter sollen durch die Mindestanforderungen in die Lage versetzt werden, klar zu erkennen (Stichwort Transparenz), was als Nebenangebot zugelassen ist. Sie sollen weder den Aufwand der Nebenangebotserstellung umsonst betreiben müssen, weil sie nicht erkennen konnten, dass ihr Nebenangebot von zwingenden Vorgaben des Auftraggebers abweicht. Noch sollen sie aufgrund mangelnder Kenntnis oder gar Fehlvorstellungen von den Anforderungen des AG an Nebenangebote dazu veranlasst werden, von der Abgabe von Nebenangeboten in der Annahme, diese seien (so) nicht zugelassen, Abstand zu nehmen.
3. Mindestanforderungen durch inhaltliche Positiv- oder Negativkriterien reichen aus
Mindestanforderungen müssen also inhaltlich, klar und konkret sein. Auf der anderen Seite soll der Auftraggeber nach der Rechtsprechung aber nicht gezwungen sein, sich im Voraus auf jede denkbare Variante einzustellen oder gar für jede Position der Leistungsbeschreibung Mindestanforderungen aufzustellen. Das wäre unter Praktikabilitätsgesichtspunkten wohl auch gar nicht möglich. Die Rechtsprechung lässt es daher oftmals genügen, dass der Auftraggeber mit inhaltlichen Positiv- oder Negativkriterien den Rahmen absteckt, innerhalb dessen sich die Nebenangebote bewegen müssen.
Dass die Anforderungen an die Konkretisierung von Mindestanforderungen durch die Rechtsprechung beim Abstecken dieses Rahmens nicht allzu hoch sind, erkennt man z. B. daran, dass nachfolgende Bestimmung als ausreichend konkrete Mindestanforderung angesehen wurde, vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.12.2009, VII-Verg 30/09:
„Der Änderungsvorschlag/das Nebenangebot muss den Konstruktionsprinzipien und den vom Auftraggeber vorgesehenen Planungsvorgaben entsprechen.“
Dieses Beispiel illustriert auch, wie schwierig – und damit auch wenig rechtssicher – die Abgrenzung zwischen zu allgemeinen und gerade noch ausreichend konkreten Mindestanforderungen ist. Denn die vorstehend zitierte Mindestanforderung ist jedenfalls nicht wesentlich konkreter oder klarer als die oben unter Ziffer 3 im letzten Aufzählungspunkt zitierte, die noch auf Bedenken hinsichtlich ihrer Bestimmtheit gestoßen war.
Zur Festlegung von Mindestanforderungen soll es auch ausreichend sein, in der Ausschreibung auf allgemein zugängliche Richtlinien, Erlasse, Regelwerke zu verweisen, wenn diese sachlich-technische Anforderungen enthalten, vgl. z. B. OLG München, Beschluss vom 10.12.2009, Verg 16/09. Im Interesse der Transparenz sollte der Auftraggeber die Verweisung so transparent und präzise wie möglich gestalten, damit die Bieter erkennen können, welcher Inhalt der in Bezug genommenen Unterlage tatsächlich die Mindestanforderungen konstituiert. Ein Verweis auf zu allgemeine Unterlagen wäre wiederum wirkungslos, vgl. EuGH, Urteil vom 16.10.2003 – Rs. C-421/01.
4. Fazit
Bei Vergaben oberhalb der Schwellenwerte sollten Auftraggeber im Falle der Zulassung von Nebenangeboten sorgfältig abwägen, welche Mindestanforderungen sie an Nebenangebote stellen wollen und diese klar und konkret formulieren. Hier gilt es die Balance zu halten zwischen zu weitgehenden und damit u. U. den einengenden Mindestanforderungen einerseits, die die Möglichkeit zur Erstellung wirtschaftlicher Nebenangebote beschneiden, und nichtssagenden Allgemeinplätzen andererseits, die u. U. von der Rechtsprechung als zu unkonkret und damit wirkungslos betrachtet würden und ggf. den Bietern keine verlässliche Richtschnur bieten, wie Nebenangebote ausgestaltet werden können und wie nicht. Bei Verweisen auf Regelwerke, Runderlasse oder sonstige Unterlagen außerhalb der Vergabeunterlagen sollten Auftraggeber ebenfalls darauf achten, dass sie klarstellen, in welcher Hinsicht sich aus diesen Unterlagen die Mindestanforderungen ergeben.
Auf Vergaben unterhalb der Schwellenwerte werden die Anforderungen an die Formulierung von Mindestanforderungen an Nebenangebote derzeit noch nicht übertragen, auch wenn das Transparenzgebot dort natürlich auch gilt.
Im 3. Beitrag der Serie wird Ihnen von unserer Autorin Frau Dr. Pfarr das Thema Nebenangebote und Zuschlagskriterien vorgestellt. Im 4. und voraussichtlich letzten Teil berichte ich dann noch zur Wertung von Nebenangeboten. Bis dahin alles Gute!
Der Autor Dr. Mathias Mantler ist Rechtsanwalt der Sozietät Kaufmann Lutz Rechtsanwaltsgesellschaft mbh, München. Er berät öffentliche Auftraggeber, Bieter und Bewerber in allen vergaberechtlichen Fragestellungen und Vergabeverfahren zu PPP-Projekten, Bau- und Infrastrukturvorhaben sowie Lieferungen und Dienstleistungen. Dr. Mantler unterrichtet das Vergaberecht im Rahmen von Masterstudiengängen an der TU München sowie der Hochschule Augsburg. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.