OLG Düsseldorf zur Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote (Beschluss v. 09.03.2011 – VII-Verg 52/10)

Art. 24 RL 2004/18/EG; § 21 Nr. 3 S. 2 VOB/A 2006; §§ 13 Abs. 3 S. 2, 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. f), Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VOB/A 2009

EntscheidungBieter dürfen in einem Vergabeverfahren mehrere Hauptangebote abgeben. Die irrtümliche Bezeichnung als Nebenangebote schadet nicht. Dies hat das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 09.03.2011 (VII-Verg 52/10) klargestellt und damit eine lange Zeit ungeklärte Frage beantwortet.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Errichtung eines „Verblendmauerwerks“ nach der VOB/A 2006 aus. Für den Klinkerstein wurde ein Leitfabrikat genannt. Fabrikate gleichwertiger Art waren zugelassen. Der Antragsteller gab ein Hauptangebot ab. Außerdem reichte er zwei weitere als „Nebenangebote“ bezeichnete Angebote ein. Mit dem Nebenangebot 1 bot er das Leitfabrikat an. Das Nebenangebot 2 enthielt einen anderen, als gleichwertig bezeichneten Klinker. Rechnerisch lag das Hauptangebot auf Platz 1. Es folgten die Nebenangebote 2 und 1.

Das Hauptangebot wurde ausgeschlossen. Denn der angebotene Klinker erfüllte nicht die gestellten Anforderungen. Auch die Nebenangebote wurden ausgeschlossen. Sie hätten die Mindestanforderungen nicht erfüllt. Den Ausschluss des Hauptangebots nahm der Antragsteller hin. Einen Ausschluss der Nebenangebote wollte er dagegen nicht akzeptieren und reichte einen Nachprüfungsantrag ein. Mit Erfolg.

Keine reine Preiswertung von Nebenangeboten

Zunächst bekräftigt das OLG Düsseldorf nochmals seine Auffassung, wonach Nebenangebote dann nicht zugelassen werden dürfen, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium ist (vgl. zur Gegenmeinung des OLG Schleswig den Beitrag von Dr. Jan Seidel vom 12.05.2011). Zur Begründung verweist das OLG Düsseldorf auf den eindeutigen Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG (entspricht Art. 36. Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG):

„Bei Aufträgen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werden, können die öffentlichen Auftraggeber es zulassen, dass die Bieter Varianten vorlegen.“

Für Aufträge, die ausschließlich nach dem Kriterium des günstigsten Preises vergeben werden, sieht die Richtlinie die Möglichkeiten von Varianten hingegen nicht vor.

Sodann stellt der Vergabesenat fest, dass hier zwar ebenfalls der Preis alleiniges Zuschlagskriterium war. Dennoch durften die so genannten Nebenangebote nicht ausgeschlossen werden. Denn diese waren in Wahrheit Hauptangebote. Der Antragsteller hatte sie nur falsch bezeichnet.

Wille des Bieters entscheidend

Für das so genannte Nebenangebot 1 folgt das schon daraus, dass der Antragsteller das Leitfabrikat selbst angeboten hat. Das sogenannte Nebenangebot 2 war ebenfalls ein Hauptangebot, so der Vergabesenat. Hier hat der Antragsteller eine „gleichwertige Alternative“ angeboten. Dies impliziert, dass er erkennbar ein gleichwertiges Produkt anbieten will. Allein auf diesen Willen kommt es an. Ob das angebotene Fabrikat tatsächlich gleichwertig ist, ist Gegenstand der technischen Angebotsprüfung.

Die Abgrenzung zwischen Haupt- und Nebenangeboten formuliert der Senat eindrücklich wie folgt:

„Nebenangebote offerieren die Leistung anders als in der Leistungsbeschreibung nachgefragt. Ein Nebenangebot liegt nur vor, wenn Gegenstand des Angebots ein von der geforderten Leistung abweichender Bietervorschlag ist.“

Dagegen

„…liegt ein Hauptangebot vor, wenn der Bieter erkennbar ein gleichwertiges Produkt anbieten will, d.h. wenn im Angebot die Gleichwertigkeit des angebotenen mit dem Leitfabrikat behauptet wird.“

Gleichwertige Produkte sind also gerade keine Varianten im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG.

Mehrere Hauptangebote zulässig – Falschbezeichnung unschädlich

Im Ergebnis hatte der Antragsteller also drei Hauptangebote eingereicht. Nach Ansicht des Vergabesenats bestehen dagegen aber keine Bedenken. Zum einen enthält das Vergaberecht kein Verbot mehrerer Hauptangebote. Zum anderen werden Auftraggeber nach Ansicht des Vergabesenats dadurch nicht überlastet. Denn bei Nebenangeboten müssen sie auch mehrere Angebote desselben Bieters prüfen.

Ein zweites Hauptangebot kann auch nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil der Bieter es irrtümlich als Nebenangebot bezeichnet hat. Zwar müssen Nebenangebote nach § 21 Nr. 3 S. 2 VOB/A (entspricht § 13 Abs. 3 S. 2 VOB/A 2009) „auf besonderer Anlage gemacht und als solche deutlich gekennzeichnet werden“.

Anders als die VOB/A 2006 schreibt § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) VOB/A 2009 jetzt sogar den zwingenden Ausschluss von Nebenangeboten vor, die dieser Form nicht genügen. Allerdings betrifft die hier vorliegende Konstellation den umgekehrten Fall eines falsch bezeichneten Hauptangebots. Für den Ausschluss eines solchen besteht keine vergaberechtliche Grundlage. Denn es ist unzulässig, neue Ausschlusstatbestände zu schaffen, so das OLG Düsseldorf.

Keine Missbrauchsgefahr

Das Argument der Missbrauchsgefahr lässt der Vergabesenat schließlich ebenfalls nicht gelten. Er sieht zwar die von der VOB/A 2009 eröffnete Möglichkeit, dass Bieter mehrere Hauptangebote einreichen, wobei jedem der Angebote geforderte Nachweise fehlen. Nach Angebotsöffnung kann ein Bieter dann in Kenntnis der Angebote seiner Mitbewerber entscheiden, für welches seiner Angebote er die nachgeforderten Nachweise beibringt (§ 16 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VOB/A 2009). Die anderen Angebote kann er durch Nichtvorlage der Nachweise „verfallen“ lassen. Allerdings ist dies als Konsequenz der gewollten Nachforderungspflicht hinzunehmen. Außerdem besteht diese Möglichkeit genauso bei der Einreichung eines Hauptangebots und mehrerer Nebenangebote.

Fazit

Nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf können Auftraggeber ihren Aufwand der Angebotsprüfung nicht mehr dadurch begrenzen, dass sie keine Nebenangebote zulassen. Reicht ein Bieter mehrere Angebote ein, die nach seinem Willen gleichwertig sein sollen, muss sich die Vergabestelle auf Ebene der technischen Angebotsprüfung inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen. Wie gezeigt, dürfen vermeintliche Nebenangebote, die sich als Hauptangebote herausstellen, auch nicht wegen mangelnder Kennzeichnung ausgeschlossen werden.

Der Autor Dr. Daniel Soudry, LL.M., ist Rechtsanwalt in der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK in Düsseldorf. Er berät Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Außerdem betreut er Projekte der öffentlichen Hand. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
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