Vergabegesetz: NRW-Gesetzentwurf sieht verbindliche Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen und ökologischer Kriterien vor
Der aktuelle Gesetzesentwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung für ein Vergabe- und Tariftreuegesetz sieht die verbindliche Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen sowie ökologischer Kriterien vor, insbesondere durch eine Analyse der Lebenszykluskosten aller Neuanschaffungen. Der Gesetzentwurf ist mutig, von einem vergabespezifischen Mindestlohn bis zur Verpflichtung einer Frauenförderung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Damit ist NRW das erste Flächenland in Deutschland, dass diesen Weg geht.
Zweckbestimmung
§ 1 des Regierungsentwurfs macht klar, worum es geht:
Zweck dieses Gesetzes ist es, einen fairen Wettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot bei der Vergabe öffentlicher Aufträge unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Sozialverträglichkeit, Umweltschutz und Energieeffizienz sowie Qualität und Innovation der Angebote zu fördern und zu unterstützen.
Umweltschutz
Der Entwurf “verpflichtet” öffentliche Auftraggeber, bei der Vergabe von Aufträgen Kriterien des Umweltschutzes und der Energieeffizienz zu berücksichtigen. Dazu sind im Rahmen der Bedarfsanalyse neben den voraussichtlichen Anschaffungskosten auch die voraussichtlichen Betriebskosten über die Nutzungsdauer, insbesondere die Kosten für den Energieverbrauch, sowie die Entsorgungskosten zu berücksichtigen (Lebenszyklusprinzip).
Ausdehnung auf Auftragnehmer
Zwar spricht auch der Entwurf davon, dass die sozialen, umweltbezogenen oder innovative Aspekte “im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand” stehen müssen (§ 3 Abs. 4). Aber § 17 Abs. 5:
Im Rahmen der Eignungsprüfung soll der öffentliche Auftraggeber von den Bietern und Bewerbern zum Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit in geeigneten Fällen verlangen, dass das zu beauftragende Unternehmen bestimmte Normen für das Umweltmanagement erfüllt. Diese können bei umweltrelevanten öffentlichen Bau- und Dienstleistungsaufträgen in der Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen bestehen, die bei der Ausführung des Auftrags zur Anwendung kommen sollen.
Soziale Aspekte
Aufträge über Lieferleistungen aber auch für Waren, die im Rahmen der Erbringung von
Bau- oder Dienstleistungen verwendet werden, sollen nur an solche Auftragnehmer vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichtet haben, den Auftrag ausschließlich mit Waren auszuführen, die nachweislich oder gemäß einer entsprechenden Zusicherung unter Beachtung der ILO Kernarbeitsnormen gewonnen oder hergestellt worden sind. Hierzu sind von den Bietern entsprechende Nachweise oder Erklärungen zu verlangen.
Frauenförderung
Ab einem geschätzten Auftragswert ohne Umsatzsteuer von 50.000 Euro (Liefer- und Dienstleistungen) bzw. von 150.000 Euro (Bauleistungen) sollen Aufträge nur an solche Unternehmen vergeben werden, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, bei der Ausführung des Auftrags Maßnahmen zur Frauenförderung und zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im eigenen Unternehmen durchzuführen oder einzuleiten. Ausgenommen hiervon sind Unternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten (ohne Auszubildende).
8,62 Euro Mindestlohn
Sofern die Erbringung der Leistung dem Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes unterfällt und durch einen für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag oder eine nach den §§ 7 oder 11 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erlassene Rechtsverordnung hierfür ein bestimmtes Mindestentgelt vorgegeben ist, hat der Auftragnehmer sich zu verpflichten, seinen Arbeitnehmern dieses zu bezahlen. Ansonsten ist ein Mindeststundenentgelt von 8,62 Euro zu zahlen.
Kontrolle gefordert
In der konkreten Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs der Regierung sehen das CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung und das Bündnis für sozial-ökologische Beschaffung NRW, beides Zusammenschlüsse entwicklungs- und umweltpolitischer Gruppen und Gewerkschaften, noch an einigen Stellen Nachbesserungsbedarf: So gehen ihnen die Kontrollmöglichkeiten zur Einhaltung der ILO Kernarbeitsnormen nicht weit genug. Sie empfehlen, die strengeren Regelungen des Gesetzesentwurfes zu Nachweispflicht und Kontrolle im Bereich Tariftreue und Mindestlohn darauf anzuwenden. Zudem fordern Sie eine Servicestelle für Kommunen zur Unterstützung bei der Umstellung sowie Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für die Beschaffungsverantwortlichen.
Lob von verd.di
Für die Gewerkschaft ver.di NRW betont deren Justiziar, Peter Berg, dass die verbindliche Vorgabe der Mindestentgelte und Mindestarbeitsbedingungen sowie eines vergabespezifischen Mindestlohns in Höhe von 8,62 € sehr wichtige Schritte seien, um im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe Lohn- und Sozialdumping zu unterbinden, das Tarifvertragssystem zu stabilisieren und die Kassen der Sozialversicherung zu entlasten. Er begrüße auch, dass der Gesetzesentwurf darauf abzielt, Maßnahmen der Frauenförderung und die Beachtung des Gleichbehandlungsrechts in der Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe stärker zu verankern.
Missionsgedanke
Als vorbildhaft für alle anderen Bundesländer begrüßen die genannten entwicklungs- und umweltpolitischen Bündnisse den vom nordrhein-westfälischen Kabinett beschlossenen Regierungsentwurf zum Vergabegesetz. „Damit geht von dem bevölkerungsreichsten Bundesland ein deutliches politisches Signal aus“, so Veselina Vasileva von WEED (Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V.). WEED, eine der führenden NGO´s in Deutschland zu Themen der Entwicklungs-, Umwelt- und Weltwirtschaftspolitik, setzt sich seit 2007 für eine nachhaltige Beschaffung auf Bundes- und Landesebene ein.
Auch NRW sieht sich offenbar in der Rolle des Vorreiters. So heißt es in § 2 Abs. 6
Sollen öffentliche Aufträge gemeinsam mit Auftraggebern anderer Bundesländervergeben werden, ist mit diesen zwecks Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes eine Einigung anzustreben. Kommt diese nicht zustande, so kann von den Bestimmungen abgewichen werden.
Den Gesetzesentwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung für ein Vergabe- und Tariftreuegesetz finden Sie hier. Interessant auch die Begründung zum Gesetzentwurf ab Seite 27.