Serie Nebenangebote – von der Bekanntmachung bis zum Zuschlag, Teil 3: Konzeption der Wertungskriterien, insbesondere Streit um das Preiskriterium

EntscheidungAuftraggeber, die Nebenangebote zulassen, ermöglichen so innovative Angebote, die in bestimmten Punkten von der Leistungsbeschreibung abweichen. Gegenwärtig ist umstritten, wie dann diese Leistung zu bewerten ist. Die Frage betrifft die Wahl der Zuschlagskriterien. Hier lohnt es sich, Inhalt und Konsequenzen der vertretenen Ansichten zu kennen und bei der Konzeption zu berücksichtigen. Dieser Beitrag gibt einen Überblick.

Stand der Kontroverse

Einer zunächst sehr stark vertretenen Ansicht zufolge darf der Auftraggeber Nebenangebote nicht allein nach dem Zuschlagskriterium „Preis“ bewerten. Er darf also nicht den Zuschlag auf das billigste Angebot erteilen, sondern muss auch weitere, qualitative Merkmale berücksichtigen. Diese Ansicht hat das OLG Düsseldorf geprägt und sich dabei auf Bestimmungen der europäischen Vergaberichtlinien berufen. Diese regeln einerseits die rechtlichen Rahmenbedingungen für Nebenangebote (in Art. 24 RL/2004/18 EG und Art. 36 RL/2004/17 EG heißen diese „Varianten“), zum anderen definieren sie den Begriff der Zuschlagskriterien (Art. 53 Abs. 1 RL 2004/18/EG und Art. 55 RL 2004/17/EG).

Aus einer Zusammenschau beider Vorschriften leitet das OLG Düsseldorf ab, dass Nebenangebote nur dann zulässig sind, wenn der Zuschlag nach dem Kriterium des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ – und eben nicht nur des niedrigsten Preises – vergeben wird. Dieser Auffassung folgten einige Vergabekammern (vgl. grundlegend OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2010, Az: Verg 61 / 09, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.03.2010, Az.: Verg 61/09, ebenso: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.10.2010, Az.: VII-Verg 39/10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.03.2011, Az.: Verg 52/10 und nachfolgend: VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 08.10.2010, Az.: VK-SH 13/10; VK Brandenburg, Beschluss vom 08.11.2010, Az.: VK 51/10).

Das OLG Schleswig vertritt die entgegen gesetzte Auffassung und hält Nebenangebote auch dann für zulässig, wenn allein der niedrigste Preis über den Zuschlag entscheiden soll, da das Kriterium „Preis“ seiner Ansicht nach von dem Kriterium des wirtschaftlichsten Angebot umfasst ist. Anders als das OLG Düsseldorf sieht es im deutschen Recht keinen Widerspruch zu den Vergaberichtlinien und auch kein Umsetzungsdefizit (OLG Schleswig, Beschluss v. 15.04.2011, Az.: 1 Verg 10/10, bei Vergabeblog kommentiert von Herrn Dr. Seidel)

Da aber beide Gerichte weder eine Vorlage zum EuGH, noch eine Divergenzvorlage an den BGH für notwendig hielten, ist die Rechtslage derzeit nicht geklärt.

Europarechtliche Dimension

Die rechtliche Unsicherheit könnte größer nicht sein, weil die Vergaberichtlinien auch keine Rechtsfolge bestimmen und auch das OLG Düsseldorf offen lässt, ob Nebenangebote ggf. unzulässig sein sollen und nicht gewertet werden dürfen oder ob das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.03.2011, Az.: Verg 52/10).

Man könnte dieses Rechtsprechungsdefizit schon als Argument dafür sehen, dass die Vergaberichtlinien ein entsprechendes Verbot auch gerade nicht bezwecken. Im Gegensatz dazu sieht nämlich Art. 24 Abs. 2 und 4 RL 2004/18/EG bei der Abgabe nicht zugelassener Nebenangebote oder von Nebenangeboten, welche die Mindestanforderungen nicht erfüllen, explizit vor, dass sie nicht zu berücksichtigen sind. Zumindest aber steht diese fehlende eindeutige Rechtsfolge einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinie im deutschen Recht prinzipiell entgegen. Da hier also die Auslegung der Vergaberichtlinien im Mittelpunkt steht, wäre eine Vorlage zur Vorabentscheidung an den EuGH gem. Art. 267 AEUV auch vorzugswürdig gegenüber einer Divergenzvorlage an den BGH, der letztlich nicht über die Auslegung europäischer Richtlinien entscheiden kann.

Aus- und Umwege der Rechtsprechung

Solange diese Frage nicht abschließend und höchst richterlich geklärt ist, ist damit zu rechnen, dass Vergabekammern und -senate eine klare Positionierung vermeiden werden. Erste Tendenzen sind insoweit bereits zu beobachten. Die Folge sind Entscheidungen, die plötzlich Einzelheiten klären dazu,

– ob auch mehrere Hauptangebote abgegeben werden können (so z. B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. 03.2011, Az. Verg 52/10, bei Vergabeblog durch Herrn Dr. Soudry kommentiert),

– ob Nebenangebote in Hauptangebote umgedeutet werden dürfen (OLG Saarbrücken, 27.04.2011, Az.: 1 Verg 5/10),

– ob und unter welchen Voraussetzungen auf die Prüfung einer Gleichwertigkeit von Nebenangeboten verzichtet werden kann (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 27.04.2011, Az.: 1 Verg 5/10) und

– welche Anforderungen an die Gleichwertigkeitsprüfung bei Nebenangeboten zu stellen sind (OLG Brandenburg, Beschluss vom Beschluss vom 17.05.2011, Az.: Verg W 16/10).

Was tun?

Für öffentliche Auftraggeber ist diese Rechtslage höchst unbefriedigend, ihnen bleibt im Interesse einer rechtssicheren Vergabe kaum anderes übrig, als vorzugsweise auch alternative Gestaltungsformen in Betracht ziehen, um Bietern Spielraum für neuartige Lösungen zu lassen. Dabei lässt sich dort, wo eine funktionale Ausschreibung gewählt wird, auf Nebenangebote ganz verzichten.

Darüber hinaus lässt sich das Problem im Einzelfall auch dadurch vermeiden, dass Bieter statt einem Haupt- und einem Nebenangebot mehrere Hauptangebote abgeben können, die nur hinsichtlich der Leitfabrikate und der vorgegebenen technischen Spezifikationen abweichen. In anderen Fällen lässt sich über die Bestimmung weiterer Zuschlagskriterien nachdenken. Dabei kann die Aufnahme weiterer Kriterien – so zum Zweck der nachhaltigen Beschaffung – sogar geboten sein, so etwa seit dem In-Kraft-Treten der Änderungen der Vergabeverordnung (VgV) am 12. Mai 2011 (im Vergabeblog kommentiert durch Herrn Münch) im Bereich der Fahrzeugbeschaffung.

Da allerdings die Zuschlagskriterien mit dem jeweiligen Auftragsgegenstand zusammen hängen und durch ihn gerechtfertigt sein müssen, sollte dies in jedem Einzelfall gesondert geprüft und entschieden werden, denn im Grundsatz gilt: je komplexer die Wertungskriterien, desto größer ist der Aufwand bei der Angebotswertung und desto breiter ist letztlich auch die potentielle Angriffsfläche für nachprüfungsfreudige Bieter.

Im 4. Teil der Serie wird Ihnen Herr Dr. Mantler die wesentlichen Punkte zur Wertung von Nebenangeboten darstellen.

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.

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