VK Bund: Ausschreibungspflicht auch bei Arzneimittelrabattverträgen „mit jedermann“ (VK 3 – 62/11)
Die Vergabe von Arzneimittelrabattverträgen erfolgt mittlerweile durchweg im Wege europaweiter Vergabeverfahren. Zwar haben einige gesetzliche Krankenkassen zunächst argumentiert, sie seien nicht an das Vergaberecht gebunden. Doch das erwies sich vor Vergabekammern und Gerichten als nicht haltbar und ist lange her. Vor kurzem unternahm eine einzelne gesetzliche Krankenkasse einen erneuten Anlauf gegen die Ausschreibungspflicht. Sie sagte zu, mit jedem interessierten Unternehmen einen Rabattvertrag zu schließen und ausdrücklich keine Auswahlentscheidung zu treffen. Damit sei die Durchführung eines Vergabeverfahrens nicht erforderlich.
Vertragsschluss mit allen interessierten Unternehmen
Im April 2011 erhielten diverse Hersteller generischer Arzneimittel Post von einer gesetzlichen Krankenkasse. Den verdutzten Unternehmen wurde der Abschluss eines Arzneimittelrabattvertrags angeboten – und zwar ohne europaweite Bekanntmachung und sonstige vergaberechtliche Förmelei. Allerdings auch ohne Wettbewerb, denn der Vertrag werde grundsätzlich mit jedem Interessierten geschlossen und die Konditionen, inklusive der Rabatte, seien fest vorgegeben und von den Herstellern nicht beeinflussbar.
Gegen diese Verfahrensweise gingen mehrere Unternehmen mit Nachprüfungsanträgen vor. Sie sahen ihre Bieterrechte vor allem durch die einseitige Festlegung der Preise verletzt.
Öffentlicher Auftrag erfordert keine Exklusivität
Vor der Vergabekammer des Bundes verteidigte sich der Auftraggeber vor allem damit, dass es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB handele. Hierfür sei ein Mindestmaß an Exklusivität erforderlich. Es sei aber das erklärte Ziel, mit möglichst vielen Herstellern einen Vertrag zu schließen und damit eine Veränderung der Marktsituation gerade zu verhindern. Jeder habe die Möglichkeit, einen Vertrag zu erhalten.
Die Vergabekammer des Bundes hat das nicht überzeugt (VK 3 – 62/11). Sie entschied, Arzneimittelrabattverträge seien zwar keine öffentlichen Aufträge, stünden diesen jedoch als Rahmenverträge gemäß § 4 Abs. 1 EG VOL/A gleich und seien daher entsprechend den Vorgaben der Vergaberechtkoordinierungsrichtlinie den Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge unterstellt.
Weder das Europarecht noch dessen nationale Umsetzung enthalte Anhaltspunkte dafür, dass öffentliche Aufträge oder Rahmenverträge Exklusivcharakter haben müssten. Erfolge keine Auswahlentscheidung, so stelle dies nicht den öffentlichen Auftrag in Frage, sondern die Rechtmäßigkeit der zu beurteilenden Vergabe.
Die Vergabekammer hielt damit an ihrer bereits zuvor im Bereich der Hilfsmittel geäußerten Auffassung fest (VK 3 – 193/09), obwohl diese durch das seinerzeit noch zuständige LSG Essen nicht bestätigt worden war (Landessozialgericht NRW, L 21 KR 69/09 SFB).
Kein Preisdiktat durch den öffentlichen Auftraggeber
In der einseitigen Vorgabe der Rabattsätze sah die Vergabekammer eine Verletzung des Wettbewerbsgrundsatzes. Den interessierten Unternehmen werde jede Kalkulationsmöglichkeit genommen, Bieter im reinen Wortsinn gebe es nicht. Vor allem sei aber zu beanstanden, dass dem gewährten Rabatt kein Vorteil in Form einer höheren Abgabemenge in der Apotheke gegenüberstehe. Wenn jedes Unternehmen einen Rabattvertrag erhalte, könne ein solcher Mengenzuwachs für den einzelnen Vertragspartner nicht erzeugt werden und der Rabatt werde bei wirtschaftlicher Betrachtung ohne Gegenleistung gewährt. Hierin liege ein Missbrauch des Instruments des Rahmenvertrags.
Der Auftraggeber wurde verpflichtet, den Auftrag bei fortbestehender Beschaffungsabsicht im Wege eines ordnungsgemäßen europaweiten Vergabeverfahrens zu vergeben.
Ausblick
Mit den aufgeworfenen Rechtsfragen wird sich jetzt das OLG Düsseldorf befassen müssen, das infolge einer gesetzlichen Neuregelung seit Jahresbeginn wieder für Nachprüfungsverfahren im Bereich der Arzneimittelrabattverträge zuständig ist. Es darf mit Spannung erwartet werden, ob sich das Gericht der Auffassung des LSG Essen zur Frage der Exklusivität anschließt.
Der Autor Dr. Karsten Lisch ist Rechtsanwalt der Sozietät Osborne Clarke, Köln. Er betreut Mandanten aus den Bereichen Informationstechnologie und Gesundheitswesen in Vergabeverfahren. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.