Berlin: 1 Jahr neues Vergabegesetz – mehr Theorie als praktische Umsetzung
Am 22. Juli vergangenen Jahres trat das neue Berliner Vergabegesetz in Kraft. Rund 5 Mrd. Euro gibt das Land Berlin jährlich für Bau-, Liefer- und Dienstleistungen aus. Mit dem Gesetz sollte eine ökologische und soziale Produktion dieser Bedarfe gesichert werden. Zum Geburtstag kritisieren die im FAIRgabe-Bündnis vertretenen Gewerkschaften, umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen aus Berlin die mangelhafte Umsetzung als auch Unterstützung durch die Berliner Senatsverwaltung – ein Blick in aktuelle Ausschreibungen zeige, dass das Gesetz bis kaum Umsetzung finde. Besonders schön: Zulässige Eigenerklärungen über den Nichtnachweis sozialer Standards.
Beschaffer überfordert
So seien nach Auffassung des FAIRgabe-Bündnisses Beschaffer ohne gezielte Schulungen mit den neuen Kriterien regelmäßig überfordert, zumal die Vergabestellen personell kaum in der Lage seien, zusätzliche Aufgaben zu bewältigen. Auch die Berliner Senatsverwaltung leiste nur unzureichende Hilfe: In einem Rundschreiben zu ILO Kernarbeitsnormen seien vereinzelte Rechercheempfehlungen bereits veraltet gewesen.
Eigenerklärung über Nicht-Nachweis
Als Nachweis für die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen werde den Vergabestellen von der Berliner Senatsverwaltung die von Unternehmen zu unterzeichnende „Eigenerklärung zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen“ (hier als PDF) empfohlen. Der Knackpunkt: Es wird gerade nicht erklärt, dass die Standards eingehalten werden, sondern, dass man deren Einhaltung eben nicht garantieren kann:
“Ich erkläre/Wir erklären, dass
die Vorlage eines Nachweises darüber, dass die vertraglich vereinbarte Lieferung der Ware gemäß § 8 Abs. 2 Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz nicht unter Missachtung der in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards gewonnen oder hergestellt worden sind, nicht möglich ist. Trotz intensiven Bemühens konnten diesbezügliche Zertifikate nicht ermittelt werden.”
Kontrollgruppe nach wie vor nicht besetzt
Um festzustellen, ob soziale und ökologische Vorgaben eingehalten werden, wollte der Senat eine Kontrollgruppe einrichten. Bei Verstößen müssen Unternehmen mit Geldstrafen bis hin zu einer fristlosen Kündigung des Auftrags rechnen.
Dazu Doro Zinke, Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg: “Angesichts solcher Schlupflöcher [wie der Eigenerklärung] ist es nicht verwunderlich, dass auch die angekündigte Kontrollgruppe bis dato fehlt. Die Abgeordneten hatten – anders als vom Senat ursprünglich vorgesehen – die verbindliche Einrichtung einer Kontrollkommission gefordert und beschlossen. Mit welcher Besetzung und ab wann diese aktiv werden soll, ist jedoch noch völlig unklar.”
Angesichts dieser Bilanz fordert das Berliner FAIRgabe-Bündnis in einer aktuellen Pressemitteilung “die Konzentration von Aufmerksamkeit und Ressourcen auf die praktische Umsetzung des neuen Vergabegesetzes”.