Standpunkt: „Die Unentgeltlichkeit der eVergabe für Bieter und Bewerber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nach der VOL/A 2009“
Von Michael Wankmüller, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
“Von Bewerbern und Bietern dürfen Entgelte für die Durchführung der Vergabe nicht erhoben werden”, formuliert die neue VOL/A für Vergabeverfahren unter wie oberhalb der EU-Schwellenwerte. Auf den ersten Blick eine eindeutige Regelung – jedenfalls für papiergebundenen Verfahren. Doch wert trägt die Kosten von komplexen eVergabelösungen? Der Gesetzgeber hat sich entschieden: Der Verursacher der Kosten, also der Auftraggeber.
Eine Klarstellung.
Die neue VOL/A
Kaum hatte die neue „Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A“ (VOL/A) im Dezember 2009 (Bundesanzeiger Nr. 196a vom 29. Dezember 2009) das Licht der Vergabewelt erblickt, rankte sich viel Lob aber auch Kritik um dieses neu gefasste Regelwerk des öffentlichen Einkaufs, das – nach dem Willen der Bundesregierung – mittelstandsfreundlicher und unbürokratischer werden und zu mehr Transparenz im Vergabeverfahren führen soll.
Tatsächlich ist diese neue VOL/A 2009 ein zentraler und besonders praxisrelevanter Baustein in der Reform des deutschen Vergaberechts, da sie erstmals keine Fortschreibung bisheriger Versionen darstellt, sondern auf einem vollkommen neuen Rohentwurf des federführenden Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) im Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Leistungen (DVAL) aufbaute.
Neue Regelungen für die eVergabe
Auch für den Bereich der elektronischen Vergabe öffentlicher Aufträge (eVergabe) wurden neue Regelungen aufgenommen, wie z.B. der Grundsatz der zentralen Veröffentlichungspflicht von Bekanntmachungen für nationale Vergaben nach dem Abschnitt 1 der VOL/A auf dem Dienstleistungsportal des Bundes www.bund.de (§12 Abs. 1, Satz 2) und die Möglichkeit der Durchführung des sog. Dynamischen elektronischen Verfahrens (§§ 5, 5 EG) – um nur einige zu nennen.
Nun gibt es aber auch eine Neuregelung, bei der man nicht unbedingt auf die Idee käme, dass sie die eVergabe tangiert. Das liegt daran, dass dieser Regelung das „Hinweisschild“ > digital oder elektronisch < nicht umhängt, gleichwohl ihre Auswirkungen vornehmlich den elektronischen Vergabeprozess betreffen. Insbesondere Betreiber von Plattformen zur Durchführung elektronischer Vergaben haben sehr schnell erkannt, dass – wie im Leben so oft – der „Teufel“ hier im Detail steckt.
Diese Regelung ist die des § 6 Abs. 2 und § 6 EG Abs. 3 VOL/A, die sowohl für Vergaben unterhalb als auch oberhalb der EU-Schwellenwerte bestimmt, dass
„von den Bewerbern und Bietern Entgelte für die Durchführung der Vergabeverfahren nicht erhoben werden dürfen.“
Ungleichbehandlung von herkömmlichen und elektronischen Vergaben
Auf den ersten Blick leuchtet es jedem ein, dass der öffentliche Auftraggeber als Normadressat der VOL/A im Rahmen seiner materiellen Bedarfsdeckung keinen „Finanzierungsbeitrag“ für die Beteiligung potentieller Lieferanten bzw. Leistungserbringer an seinem Einkaufsprozess verlangen darf. Das ist im herkömmlichen, papiergestütztem Vergabeverfahren auch bisher nie geschehen. Die Finanzierung der herkömmlichen behördlichen Beschaffungsorganisation (Vorhalten des Personals, Büromiete, Büro- und Nachrichtenkommunikation, Büro- und Geschäftsbedarfbedarf, Portokosten etc.) erfolgte stets aus den jeweiligen Kapiteln und Titeln der öffentlichen Haushalte.
Anders sieht es teilweise bei der elektronischen Auftragsvergabe aus, wenn Entgelte für die Nutzung komplexer eVergabelösungen von den Bietern und Bewerbern statt von den öffentlichen Auftraggebern gezahlt werden sollen.
Unbestreitbar ist, dass die eVergabe Geld kostet und die Plattformbetreiber damit auch ihr Geld verdienen sollen. Der DVAL befasste sich in diesem Zusammenhang jedoch mit der Frage:
Wer soll das bezahlen?
Der öffentliche Auftraggeber, der die eVergabe einsetzt, um seinen Einkaufsprozess zu digitalisieren und damit Kosten zu sparen oder die potenziellen Auftragnehmer, die die eVergabe im Zuge der Vertragsanbahnung – jedoch ohne Vertragsabschlussgarantie – nutzen, u. U. sogar nutzen müssen?
Dabei muss zunächst das oberste Ziel der öffentlichen Auftragsvergabe im Auge behalten werden, nämlich die wirtschaftliche Deckung des öffentlichen Bedarfs. Dazu sind Angebote erforderlich, die möglichst in einem breiten, unbeschränkten Wettbewerb einzuholen sind. Von der Wirtschaft zu zahlende „Eintrittsgelder“ für die Teilhabe an diesen wettbewerblichen Verfahren führen eher zu einer Beschränkung des Wettbewerbs.
Kein Kostenersatz i.S.d. der §§ 8 Abs. 2, 9 EG Abs. 3 VOL/A
Es ist zwar richtig, dass im Rahmen Öffentlicher Ausschreibungen bzw. Offener Verfahren der öffentliche Auftraggeber bei direkter oder postalischer Übermittlung für die Vervielfältigung der Vergabeunterlagen „Kostenersatz“ fordern darf (§§ 8 Abs. 2, 9 EG Abs. 3 VOL/A), dies bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass bei elektronischer Übermittlung diese Kosten nicht gefordert werden dürfen. Warum auch, Vervielfältigungen fallen ja nicht an.
Der vereinzelt vorgebrachte Hinweis, dass bei der eVergabe zwar keine Vervielfältigungskosten im klassischen Sinne, aber immerhin Kosten entstehen, die die eVergabe erst ermöglichen und damit – in Analogie – auch auf die Bewerber und Bieter umlegbar sein dürften, versucht die Eindeutigkeit der Regelung zu relativieren. Hätte der Normgeber dies auch so gesehen, hätte er dies auch so zum Ausdruck gebracht. Abgesehen davon regelt diese Bestimmung nur die Kostenfrage in einem einzigen Schritt des Vergabeverfahrens, nämlich dem der herkömmlichen Übermittlung der Vergabeunterlagen und damit etwas anderes als §§ 6 Abs. 2 und 6 EG Abs. 3 VOL/A.
Relativierung der VOL/A 2006
Eine ähnliche Kostenregelung gab es bereits in § 20 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A 2006 und obwohl damals schon die Beschränkung auf die „Vervielfältigungskosten der Verdingungsunterlagen bei Öffentlichen Ausschreibungen und Offenen Verfahren“ eindeutig war, wurden offensichtlich unter diese Regelung in der Vergangenheit – je nach Geschäftsmodell der Betreiber – nicht nur die „Kosten“ als der „in Geldeinheiten ausgedrückte Werteinsatz von Gütern und Dienstleistungen zur betrieblichen Leistungserstellung“, sondern darüber hinaus auch die „Entgelte“, d.h. „die vertraglich vereinbarte Gegenleistung (+ Gewinn)“ für die Nutzung der ein oder anderen eVergabe-Plattform auf die Bewerber und Bieter umgelegt. Wenn man so will, eine schon damals praktizierte Relativierung der Bestimmung.
Verursacherprinzip
In diesem Zusammenhang nicht unbedeutend ist das Verursacherprinzip. Es sind ja nicht die Bewerber und Bieter, die diese Kosten verursachen, sondern die öffentlichen Auftraggeber, die sich in Ausübung ihrer Verpflichtungen zur Durchführung transparenter und diskriminierungsfreier Vergabeverfahren der eVergabe bedienen. Die Bewerber und Bieter müssen – sofern sie nicht auf papiergestützte Teilnahmeanträge und Angebote ausweichen können – die eVergabe nutzen, wenn sie einen öffentlichen Auftrag erhalten wollen. Diese Ausweichmöglichkeit dürfte auch im Zuge der politisch forcierten vollelektronischen Vergabe durch schrittweise Zulassung ausschließlich elektronischer Angebote stetig abnehmen (Stichwort: Stufenplan des BMWi und der Spitzenverbände der Deutschen Wirtschaft BDI, DIHK und ZDH vom Juni 2007).
Die jetzige Neuregelung differenziert und schafft Klarheit, indem einerseits berücksichtigt wird, dass eVergabe-Systeme und deren Betreibung Geld kostet, andererseits diese Kosten (+ Gewinn) jedoch nicht von den Bewerbern und Bietern, sondern – im Umkehrschluss – von den öffentlichen Auftraggebern zu tragen sind.
Klare politische Zielsetzung
Man war sich im BMWi und DVAL darüber im Klaren, dass von dieser Regelung das ein oder andere Geschäftsmodell kommerzieller Plattformbetreiber beeinträchtigt werden könnte. Die Diskussionen im Zusammenhang mit der Einführung der eVergabe auf Bundesebene bereits in den Jahren 2001 – 2004, die die Möglichkeit der Finanzierung durch Kostenumlegung auf die Bewerber und Bieter anfangs auch in Betracht zog, die aus den genannten Gründen jedoch verworfen wurde sowie die Gefahr der sich in der Praxis abzeichnenden Ungleichbehandlung zu herkömmlichen Vergabeverfahren führte im DVAL zu der jetzigen Neuregelung.
Entgelte für Mehrwertleistungen nicht erfasst
Die Beschränkung dieser Regelung auf Bewerber und Bieter bringt allerdings auch zum Ausdruck, dass sich die an öffentlichen Aufträgen interessierten Unternehmen zumindest in der Phase des Teilnahmewettbewerbs befinden müssen, um von dieser sie begünstigenden Regelung profitieren zu können. Nehmen diese Unternehmen freiwillig Unterstützungsleistungen von Plattformbetreibern z. B im Rahmen der Recherche nach Bekanntmachungen in Anspruch (sog. Mehrwertleistungen), können für diese Leistungen als Gegenleistung natürlich Entgelte von ihnen verlangt werden. Im herkömmlichen Verfahren käme auch niemand auf die Idee, dass die Abonnements von Tageszeitungen und Fachzeitschriften, in denen Ausschreibungen bekannt gemacht und von den interessierten Unternehmen erworben werden, von den öffentlichen Auftraggebern zu zahlen sind.
EU-Richtlinie 2004/18/EG
Last but not least sei darauf hingewiesen, dass das Prinzip dieser Regelung auch von der EU-Kommission gestützt wird, die im Erwägungsgrund 35 der Richtlinie 2004/18/EG zum Ausdruck bringt,
„dass sie es für angebracht hält, die elektronischen Mittel mit den klassischen Mitteln zur Kommunikation und zum Informationsaustausch gleichzusetzen.“
Die Umlegung von Kosten des elektronischen Vergabeprozesses auf die Bieter und Bewerber würde somit zu einer Ungleichbehandlung führen.
Der Autor, Dipl. Verwaltungswirt Michael Wankmüller, war bis 1989 Mitarbeiter in verschiedenen Vergabereferaten im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB). Er wechselte 1990 in die Verbindungsstelle des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) beim BWB, wo er u.a. für Fragen des Wettbewerbs bei zentralen Beschaffungen der Bundeswehr zuständig war. 1998 wechselte er in das Vergaberechtsreferat im BMWi, wo er bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im vergangenen Jahr mit Fragen der Rechtsetzung im öffentlichen Auftragswesen für den Liefer- und Dienstleistungsbereich befasst war. Hier war Wankmüller insb. zuständig für Fragen der elektronischen Auftragsvergabe, den Aspekten der innovativen und umweltfreundlichen Beschaffung und zuletzt maßgeblich mit der Reform der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A 2009 (VOL/A – 2009) betraut.