Vergabe von Rettungsdienstleistungen – Die Praxis orientiert sich an der Rechtsprechung des EuGH
Die Frage der Anwendbarkeit des europäischen Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beauftragung von Rettungsdienstleistungen ist in den vergangenen Jahren im Einzelnen umstritten gewesen. Die in Deutschland in dieser Hinsicht bestehende Rechtsunsicherheit lag insbesondere darin begründet, dass in einigen Bundesländern das so genannte Submissionsmodell und in anderen das so genannte Konzessionsmodell zur Anwendung kommt. Im Rahmen des Submissionsmodells halten die Leistungserbringer (zumeist Hilfsorganisationen wie die DRK, MHD, Johanniter etc.) das Benutzungsentgelt unmittelbar vom Leistungsträger (dem Kreis oder der kreisfreien Stadt), wohingegen im Konzessionsmodell die Leistungserbringer die Höhe der Benutzungsentgelte mit den Sozialversicherungsträgern vereinbaren. Eine gewisse Rechtssicherheit konnte erst eintreten, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu beiden Konstellationen jeweils grundlegende Entscheidungen gefällt hatte.
– Mit Urteil vom 29. April 2010 (Rs. C-160/08) hat der EuGH entschieden, dass bei der Vergabe von Aufträgen über öffentliche Notfall- und qualifizierte Krankentransportleistungen nach dem Submissionsmodell das europäische Vergaberecht Anwendung finden muss (siehe den Beitrag des Autors hier).
– Die Beauftragung von Rettungsdienstleistungen im Wege des Konzessionsmodells muss nach Auffassung des EuGH demgegenüber nicht im Wege förmlicher Vergabeverfahren erfolgen. Das hat der EuGH mit Urteil vom 10. März 2011 (Rs. C-274/09) entschieden (siehe den Beitrag des Autors hier).
Reaktion der Praxis
Die Praxis öffentlicher Auftraggeber bei der Beauftragung von Rettungsdienstleistungen scheint bislang im Wesentlichen der Rechtsprechung des EuGH zu folgen. Das bedeutet, dass bei der Vergabe von Aufträgen unter dem Submissionsmodell formstrenge Vergabeverfahren durchgeführt werden. Im Geltungsbereich des Konzessionsmodells unterliegen Auftraggeber keinen förmlichen Ausschreibungspflichten, führen aber in der Regel ein wettbewerbliches Verfahren durch.
Dementsprechend wurde beispielsweise am 2. Dezember 2011 im Supplement zum Amtsblatt der EU (TED Tenders Electronic Daily) eine „Wettbewerbsbekanntmachung“ des Rettungszweckverbands München (RZV) veröffentlicht. Aus dieser Bekanntmachung geht hervor, dass der RZV eine Dienstleistungskonzession zum Betrieb eines Verlegungsarzt-Fahrzeugs am Standort München vergeben will.
Ob für die Vergabe einer solchen Dienstleistungskonzession eine europaweite Bekanntmachung zu erfolgen hat, muss im jeweiligen Einzelfall entschieden werden. Dies hängt von Gegenstand und Volumen der zu beauftragenden Konzession ab. Eine Verpflichtung öffentlicher Auftraggeber, die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen stets europaweit bekannt zu machen, lässt sich jedenfalls nicht feststellen.
Aus der genannten Wettbewerbsbekanntmachung geht zunächst hervor, dass der RZV den Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf das Verfahren Rechnung trägt. Dies beginnt bei der Art des gewählten Dokuments, einer „Wettbewerbsbekanntmachung“ anstelle einer „Auftragsbekanntmachung“, die bei förmlichen Vergabeverfahren gefordert ist. Des Weiteren wird der Wettbewerb durch den Auftraggeber folgendermaßen bezeichnet:
„Auswahlentscheidung über Dienstleistungskonzessionen zum Betrieb eines Verlegungsarzt-Einsatzfahrzeugs (VEF)“
Der RZV beabsichtigt,
„die Auswahlentscheidung transparent und nach objektiven Kriterien vorzunehmen. Für die Entscheidung sind insbesondere eine effektive Leistungserbringung sowie wirtschaftliches und sparsames Verhalten maßgeblich […]“
Da auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen das europäische Vergaberecht nicht unmittelbar Anwendung findet, ist in der Wettbewerbsbekanntmachung des RZV zutreffend nicht etwa die Vergabekammer Südbayern als zuständige Stelle für Rechtsbehelfs-/Nachprüfungsverfahren angegeben, sondern das Verwaltungsgericht München. Ob bei der Beauftragung von Dienstleistungskonzessionen im Bereich des Rettungsdienstwesens die Verwaltungsgerichte oder die Zivilgerichte für eine Überprüfung des Verfahrens bzw. Geltendmachung von Sekundärrechtsschutz zuständig sind, dürfte sich nach der Rechtsnatur des abzuschließenden Vertrags richten. Da der RZV mit dem oder den künftigen Konzessionsnehmern öffentlich-rechtliche Verträge abschließen will, dürfte insoweit auch die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts begründet sein (vgl. auch OLG München, Beschluss vom 30.06.2011 – Verg 5/09).
Problematisch bei der beabsichtigten Vergabe des RZV könnte zum einen das so genannte „Hilfsorganisationenprivileg“ sein, das in Bayern in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 i.v.m. Art. 13 Abs. 2 BayRDG niedergelegt ist, z.T. aber auch in anderen Bundesländern Berücksichtigung finden muss. Zum anderen dürfte es auch bei einem wettbewerblichen Verfahren erforderlich sein, sämtliche „Auswahlkriterien“ vorab bekannt zu geben (vgl. Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht vom 29.04.2000, Abl. EG 2000 Nr. C 121/2, Ziff. 3.1.2, S. 7), um die vom EuGH geforderte Verfahrenstransparenz, die Gleichbehandlung aller Wettbewerbsteilnehmer sowie einen unbeeinflussten Wettbewerb herzustellen. Für die Entscheidung des RVZ sollen ausweislich der Wettbewerbsbekanntmachung allerdings „insbesondere“ eine effektive Leistungserbringung sowie wirtschaftliches und sparsames Verhalten maßgebend sein, so dass offenbar noch weitere Aspekte als die ausdrücklich genannten für die Auswahlentscheidung herangezogen werden können.
Grundsätze bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen
Der EuGH verlangt nämlich für den Abschluss von Dienstleistungskonzessionsverträgen, dass auch hier die Grundregeln des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) im Allgemeinen (d.h. die Grundsätze des europäischen Primärrechts) und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Besonderen (Grundsatz der Gleichbehandlung) zu beachten sind und dass die Nachprüfung ermöglicht wird, ob die Verfahren unparteiisch durchgeführt wurden (EuGH, Urteil vom 13.04.2010, Rs. C-91/08; EuGH, Urteil vom 15.10.2009, Rs. C-196/08). Nach der Rechtsauffassung des EuGH kann dies auch bedeuten, dass für die Vergabe einer Dienstleistungskonzession eine europaweite Bekanntmachung erforderlich ist.
Für öffentliche Auftraggeber bedeutet dies, dass für die Beauftragung von Dienstleistungskonzessionen zwar keine förmlichen Ausschreibungspflichten zu beachten sind, aber die Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens erforderlich ist, das ähnlich wie eine förmliche Ausschreibung auszugestalten ist. Die Absicht der Vergabe muss daher öffentlich bekannt gegeben werden (Sicherstellung eines angemessenen Grads an Öffentlichkeit, Publizität) und die Auswahl des Konzessionsnehmers hat transparent und diskriminierungsfrei (Beachtung der Transparenzpflicht sowie des Gleichbehandlungsgrundsatzes) zu erfolgen.
Zu beachten ist außerdem, dass die Europäische Kommission am 20. Dezember 2011 ihren Entwurf der überarbeiteten EU-Vergaberichtlinien vorgestellt hat. Im Zuge dieser Überarbeitung der Vergabekoordinierungs- und Sektorenkoordinierungsrichtlinie hat die Kommission auch einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Konzessionsvergabe vorgelegt.
Fazit und Ausblick
Eine Pflicht zur Anwendung des europäischen Vergaberechts und somit zur Durchführung förmlicher Vergabeverfahren besteht bei der Beauftragung von Rettungsdienstleistungen nur, wenn die Leistungserbringer das Benutzungsentgelt unmittelbar vom Leistungsträger erhalten (Submissionsmodell). In den Bundesländern, in denen gesetzlich das Konzessionsmodell vorgesehen ist (Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz), ist derzeit eine förmliche Ausschreibung demgegenüber nicht erforderlich. Da jedoch auch bei der Beauftragung einer Dienstleistungskonzession europarechtliche Vorgaben zu beachten sind, sollte von den Leistungsträgern gleichwohl ein wettbewerbliches und diskriminierungsfreies Auswahl- oder Bieterverfahren durchgeführt werden. Ob sich das so genannte „Hilfsorganisationenprivileg“ zumindest bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen noch aufrechterhalten lässt, bleibt abzuwarten.
Unabhängig davon, ob die Beauftragung von Rettungsdienstleistungen im Submissionsmodell oder unter dem Konzessionsmodell erfolgt, erscheint derzeit eine „Flucht in die Rekommunalisierung“ nicht angeraten. Zum einen zeigen Untersuchungen in einzelnen deutschen Bundesländern, dass die Leistungserbringung in kommunaler Regie häufig teurer kommt als die Beauftragung von Hilfsorganisationen. Daher sollte – um Kosten zu sparen und eine wirtschaftliche Leistungserbringung zu gewährleisten – in der Regel eine „intelligente Ausschreibung“ durchgeführt werden. Abzuwarten bleibt außerdem die weitere Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene, da seit dem 20. Dezember 2011 ein Vorschlag der EU-Kommission über eine Richtlinie für die Vergabe von Konzessionen vorliegt.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Dort berät und vertritt er insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Unternehmen, in allen Fragen des Vergaberechts, ein Schwerpunkt liegt hierbei im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.