EU-Kommission: Das „Goldene Buch“ zur eVergabe kommt
Man mag es kaum glauben: Noch eine Studie der EU-Kommission zum Öffentlichen Auftragswesen? Noch eine zur eVergabe? Die Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen hat am 7. Februar einen Auftrag im Wert von 606.657 EUR zur “Messung und Benchmarking im elektronischen Beschaffungswesen” vergeben (TED Dokument 2012/S 25-039715). Das Beste daran: Wir kennen Grünbücher und Weißbücher. Derer hatten wir gerade von EU-Seite genügend zum Vergaberecht. Das sieht wohl auch die Kommission so, weshalb wesentliches Ziel des Auftrags “die Erstellung eines Goldenen Buches” über das elektronische Beschaffungswesen ist. Der eVergabe ist spätestens dann wohl endgültig nicht mehr zu helfen.
eVergebens
Die Probleme, sprich – im Grunde nur – die mangelnde Akzeptanz, der eVergabe sind so alt wie diese selbst. Und eben deshalb auch so bekannt. Ein weiteres Buch dazu hat niemand vermisst. Schon gar kein goldenes.
Man erinnerst sich an die vollmundigen Ziele der Kommission, dass im Jahre 2010 “die eVergabe in allen Fällen möglich und in wenigstens der Hälfe der Fälle auch tatsächlich auf elektronischem Wege” erfolgen solle. Egal, wen man dazu auch fragt: Ende 2010 waren zumindest in Deutschland nach wie vor unter 5 % echter eVergabe zu verzeichnen. In unseren Nachbarländern dürfte es nicht besser aussehen, eher noch schlechter. Das weiß natürlich auch die Kommission und hat eben deshalb die Zielmarke von 2010 ohne große Worte auf 2014 verschoben. Ob das genügt?
Dabei ist der sich nach wie vor nicht einstellende Erfolg der eVergabe nur auf den ersten Blick technologischer Natur. Aus Bietersicht sind es die Vielzahl der verschiedenen Plattformen, die untereinander – übrigens aus gutem Grund, nämlich der Differenzierung im Wettbewerb – inkompatibel zueinander sind. Was zumindest für überregional tätige Bieter ein echtes Problem darstellt. Dabei nicht so sehr die Kostenfrage pro zu nutzender Plattform, sondern die administrativen Kosten, die mit jeder neuen Insellösung – der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie sei Dank – hinzukommen: Neue Software, neue Zertifikate, neue Schulungen, neue Anbindung an die bestehenden Systeme, etc.
xVergabe made in Germany
Bislang größter Lichtblick – EU-weit – im Tunnel der eVergabe ist das deutsche Projekt XVergabe unter Federführung des Beschaffungsamts des BMI. Ziel des 2007 im Rahmen der Standardisierungsinitiative XÖV als zentrales Vorhaben von Deutschland Online ins Leben gerufenen Projekts ist die Schaffung von eVergabe-Plattform übergreifenden Daten- und Austauschprozessstandards, Fernziel ein darauf basierender einheitlicher Bieterclient. Dieser soll es den Bietern mit nur einer Anwendung ermöglichen, alle eVergabe-Plattformen zu nutzen.
Erst im Dezember letzten Jahres konnten wichtige Meilensteine auf diesem Weg verabschiedet werden. Dieser Erfolg ist vor allem der Tatsache zu verdanken, dass alle beteiligten Lösungsanbieter trotz des zwischen diesen bestehenden Wettbewerbs die eigenen Interessen erst einmal hinten angestellt haben, und gemeinsam das vereinbarte Ziel des einheitlichen Bieterclients mittragen. Hoffentlich noch ein Stück weiter des Weges.
Los 1
Der nun von der Kommission vergebene Studienauftrag zur eVergabe ist in 2 Lose unterteilt.
Los 1 betrifft die Erstellung von Leistungsindikatoren für die eVergabe. Der Auftragnehmer soll dazu eine Übersicht über das elektronische Beschaffungswesen in den Mitgliedstaaten erstellen und eine Reihe von Indikatoren ermitteln, die sich aus den im Einsatz befindlichen Plattformen für das elektronische Beschaffungswesen ableiten lassen könnten. “Das Projekt”, so die Kommission, “ist der erste Schritt hin zur Schaffung einer Methodik für die Leistungsmessung im elektronischen Beschaffungswesen für die EU.” Das Ergebnis soll auch alternative Wege für den Aufbau eines EU-Berichtsverfahrens zur eVergabe enthalten.
So schön, so überflüssig. Primärer Indikator für den Erfolg der eVergabe ist die Anzahl der elektronisch abgegebenen Angebote. Ob darüber hinaus noch weitere Indikatoren notwendig sind, um den Ist-Stand und die weitere Entwicklung zu dokumentieren? Vielleicht dann, wenn wir eine echte, flächendeckende eVergabe haben. Also ab 2014? Erst die Pflicht, denn die Kür, möchte man der Kommission zurufen.
Der Zuschlag für Los 1 fiel auf “IDC Italia” aus Mailand, Italien.
Los 2
Das “goldene Buch zu eVergabe” (Zitat). Hier sollen Erfolgskriterien für eVergabe-Lösungen identifiziert werden. Diese, so die Kommission,
“sollen den Akteuren des elektronischen Beschaffungswesens als Referenz in Form einer Informationsquelle zu bewährten Praktiken für Lösungen in diesem Bereich dienen, wenn sie ihre eigenen Strategien festlegen oder überarbeiten”.
Die Kommission nennt beispielhaft “Zugänglichkeit, Benutzerfreundlichkeit und Offenheit für grenzüberschreitende Beteiligung”. Los 2 ging an PricewaterhouseCoopers (PWC) EU Services in Belgien.
Eulen nach Athen tragen. Man darf getrost davon ausgehen, dass die – zur Erinnerung – nicht steuerfinanzierten, privaten Betreiber von eVergabe-Plattformen bereits jetzt alles daran setzen, die Nutzerfreundlichkeit ihrer Lösungen unter jedwedem Gesichtspunkt zu maximieren. Ganz ohne Blaupause aus Brüssel. Und noch einmal: Die eVergabe krank nicht an den Unzulänglichkeiten der einzelnen Lösungen.
Was bleibt
Ist die Hoffnung, dass die Studienergebnisse aus Brüssel nicht am Ende gar den Weg in die nächste Novellierung der europäischen Vergaberichtlinien finden. Ausgeschlossen ist das keineswegs. So findet sich in den Ende letzten Jahres veröffentlichten Entwürfen der Kommission zur Novellierung der bestehenden Richtlinien, „eine Verpflichtung zur Übermittlung von Bekanntmachungen in elektronischer Form, zur elektronischen Verfügbarmachung der Auftragsunterlagen sowie zur Umstellung auf eine ausschließliche elektronische Kommunikation, insbesondere auf eine elektronische Einreichung („e-Submission“), bei sämtlichen Vergabeverfahren innerhalb eines Übergangszeitraums von zwei Jahren“. Vielleicht ist man in Deutschland mit XVergabe ja schneller als die Ergebnisse der Studie vorliegen werden. Die hierfür verausgabten rund 600.000 Euro wären dort allemal besser aufgehoben gewesen. Das goldene Buch kann man sich dann immer noch ins Regal stellen. Sieht zumindest bestimmt gut aus.
Der Autor Marco Junk ist Rechtsanwalt und war bis 2011 als Bereichsleiter Vergaberecht beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) Mitglied im DVAL und im Beraterkreis eVergabe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Er ist Herausgeber des Vergabeblog und leitet seit März 2011 die Online-Redaktion des Verlags C. H. Beck. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.