Hessen: Streit um Verlängerung der vergaberechtlichen Erleichterungen eskaliert

Bekanntermaßen haben die meisten Bundesländer die vergaberechtlichen Erleichterungen des Konjunkturpaketes II trotz brummender Konjunktur verlängert. Erst im Oktober letzten Jahres hatte der Bundesrechnungshof (BRH) diese Erleichterungen als “in keinem angemessenen Verhältnis zu ihren wenigen Vorteilen” bewertet (Vergabeblog berichtete exklusiv). Ungewohnt konfrontativ wird der Streit um die Verlängerung derweil im Hessischen Landtag ausgefochten: Die Landesregierung hat verlängert, einzig die Landtagsfraktion der GRÜNEN hält dagegen. Deren wirtschaftspolitischer Sprecher Kai Klose solle sich daher “lieber als Anti-Wirtschaftssprecher umbenennen”, fordert Jürgen Lenders, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. Zu Recht?

Pro oder contra Wirtschaft?

Sind nun die vergaberechtlichen Erleichterungen Fluch oder Segen? Die Landtagsfraktion der FDP hat sich entschieden: So schreibt gegenwärtig Jürgen Lenders auf deren Homepage:

“Der grüne Oppositionspolitiker Kai Klose, wirtschaftspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN, kämpft im Wirtschaftsausschusses des Hessischen Landtags gegen die Interessen des hessischen Handwerks, des Mittelstandes und der Kommunen […] Wir begrüßen es, dass Wirtschaftsminister Dieter Posch die für Handwerk, Kommunen und Mittelstand so erfolgreiche Anhebung der Vergabegrenzen beibehält.”

Weiter erklärt Lenders:

„Mit der Verlängerung ist es Kommunen möglich, kleinere Aufträge leichter und schneller zu vergeben. Das kommt vor allem ortsansässigen Mittelständlern zu Gute […] Die Evaluierung ist dabei eindeutig zu Gunsten der Beibehaltung ausgefallen.”

Welche Evaluierung eigentlich? Die des BRH kann nicht gemeint sein. Zumal dieser auch feststellte, das kein nennenswerter zeitlicher Gewinn bei der Auftragsvergabe festzustellen war. Der BRH hatte übrigens just Anfang Februar seine noch ausstehende Untersuchung derselben Angelegenheit für Bauleistungen und freiberuflichen Leistungen geliefert – und kam dabei zum gleichen Ergebnis:

“Die Auswertungen haben nicht den Nachweis erbringen können, dass die Vergabeerleichterungen geeignet sind, das Vergaberecht effizient und sinnvoll zu modernisieren. Weder beschleunigten die Vergabeerleichterungen die Bauvorhaben nachweisbar noch stellten sie Transparenz und Wettbewerb und den Einkauf zu wirtschaftlichen Preisen in gleicher Weise wie zuvor sicher. Vorteile der Vergabeerleichterungen waren während ihrer fast zweijährigen Anwendung kaum feststellbar. Stattdessen mussten deutliche Nachteile beim Wettbewerb, bei der Wirtschaftlichkeit sowie eine erhöhte Korruptions- und Manipulationsgefahr in Kauf genommen werden.”

Und auch die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International fordert die Bundesländer auf, zu alten Wertgrenzen bei der Auftragsvergabe zurückzukehren.

Besonderheit Hessen

Das der Streit gerade in Hessen so hoch kocht, ist kein Wunder. Diverse IT-Großaufträge des Landes in Millionenhöhe wurden in den letzten Jahren – inzwischen gutachterlich bestätigt – vergaberechtswidrig nicht ausgeschrieben. Klose hatte die Vorgänge damals öffentlich gemacht (Interview im Vergabeblog). Die Landesregierung gelobte Besserung, insb. durch einen 5-Punkte Plan, der die Vergabepraxis des Landes im IT-Bereich verbessern soll. Nun hatten diese Vorgänge nichts mit den vergaberechtlichen Erleichterungen des Konjunkturpaketes zu tun – eine gute Gelegenheit, die nun geänderte Marschrichtung zu demonstrieren, wurde durch die Verlängerung gleichwohl verpasst.

Deutsches VergabenetzwerkTatsächlich

…sollte man doch der FDP-Landtagsfraktion in Hessen in Erinnerung rufen, dass jeder Steuer-Euro – mit oder ohne Vergaberecht – nur einmal ausgegeben werden kann, und daher ein Mehr an Wettbewerb im Zweifel auch ein besseres Preis-/Leistungsverhältnis bedeutet. In anderen Konstellationen wird dies ja auch nicht bestritten. Die Schlussfolgerungen des BRH sind zudem eindeutig. Auch ist es kein redaktionelles Versehen, dass sich das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte ausgerechnet im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wiederfindet.

In Zeiten der konjunkturellen Schwäche, sprich Wegfalls privatwirtschaftlicher Nachfragemacht, kam es darauf an, diese durch staatliche Aufträge zu kompensieren, und das möglichst schnell. Diese Notwendigkeit besteht gegenwärtig nicht mehr. Deshalb hat auch das FDP-geführte Bundeswirtschaftsministerium die Ausnahmeregelung nicht verlängert. Zweifellos verfolgt die Hessen-FDP nicht das Ziel, der Vetternwirtschaft Vorschub zu leisten, sondern die Vergabe öffentlicher Aufträge einfacher zu machen. Und in der Tat mag das geltende Vergaberecht zersplittert, bürokratisch und praxisuntauglich sein. Dann sollte man den Finger aber eben auch genau dort in die Wunde legen, statt durch die Hintertür seinen Anwendungsbereich zu verkleinern. Sicher – irgendwer erhält durch die erhöhten Freigrenzen den Zuschlag “einfacher”. Aber ein Anderer dafür auch schwieriger.

Junk_MarcoDer Autor Marco Junk ist Rechtsanwalt und ehrenamtlicher Beisitzer der Vergabekammern des Bundes beim Bundeskartellamt. Er war bis 2011 als Bereichsleiter Vergaberecht beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) Mitglied im DVAL und im Beraterkreis eVergabe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Herr Junk leitet seit März 2011 die Online-Redaktion des Verlags C. H. Beck. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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