Entwurf der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) liegt vor – ein Einblick
Der Entwurf des BMWi für eine Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit – VSVgV) liegt seit dem 22.03.2012 vor. Es sammelt sich bereits eine Flut an Überarbeitungsvorschlägen aus Unternehmen, Verbänden und weiteren interessierten Kreisen, die bis zum 10.04.2012 einzureichen waren. Der Vergabeblog wird diesen Prozess beobachten und die geneigten Leser in der gewohnten Weise am Nabel des Geschehens informieren. Unser Autor Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner hat den Entwurf ebenfalls unter die Lupe genommen und einige Aspekte herausgearbeitet, die sich von den bekannten Vergaberegeln der VOL bzw. VOB unterscheiden.
Anwendungsbereich
Der VSVgV-E gilt für Vergaben von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträgen, wobei für Liefer- und Dienstleistungsaufträge zunächst die gesamte Verordnung (§§ 1-47) und für Bauaufträge nur ein Teilbereich (§§ 1 bis 9 und 38 bis 47) Anwendung finden sollen. Bei Dienstleistungsaufträgen nach Anhang II der RL 2009/81/EG sollen allerdings nur § 15 (Leistungsbeschreibung) und § 35 (Bekanntmachung über die Auftragserteilung) anwendbar sein. Das System der vorrangigen und nachrangigen Dienstleistungen ist hier also noch enthalten. Zur Erinnerung: Die Kommission hat in ihren neuen Richtlinienvorschlägen zu SKR und VKR diese Unterscheidung aufgegeben. Eine Diskrepanz würde damit derzeit vor allem für die Rechtsberatungsleistungen folgen, die in der Praxis bei Vergaben im Sicherheits- und Verteidigungsbereich durchaus relevant werden könnten.
Es sei nochmals hervorzuheben, dass für öffentliche Auftraggeber die Prüfung des jeweiligen Anwendungsbereiches wesentlich ist, da dadurch das weitere Vergabeverfahren bestimmt wird. Die nachfolgende grafische Übersicht soll dies noch einmal verdeutlichen (zum Vergrößern Klicken):
Schwellenwerte
Der VSVgV-E enthält wie die SektVO bzgl. der Schwellenwerte eine Verweisung in die RL 2009/81/EG, so dass der deutsche Gesetzgeber bei Anpassungen der Schwellenwerte durch die Kommission keine Umsetzungsmaßnahmen mehr zu treffen braucht. Dies ist sinnvoll. Der Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungsaufträge beträgt derzeit 400.000 EUR netto und für Bauaufträge 5.000.000 EUR (siehe VO der Kommission vom 30. 11.2011 zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG, 2004/18/EG und 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren).
Schutz vor Verschlusssachen
§ 7 VSVgV-E regelt die Anforderungen an den Schutz von Verschlusssachen (VS) durch die Bewerber/Bieter und Unterauftragnehmer bei sog. Verschlusssachenaufträgen. Ein Verschlusssachenauftrag zeichnet sich in der Regel dadurch aus, dass bei dessen Erfüllung Verschlusssachen im Sinne des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes verwendet werden, vgl. § 99 Abs. 9 GWB. Dabei haben Auftraggeber in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen Maßnahmen, Anforderungen und Auflagen zu benennen, die erforderlich sind, um den Schutz von Verschlusssachen entsprechend des jeweiligen Geheimhaltungsgrades zu gewährleisten. § 7 Abs. 2 VSVgV-E benennt Mindestvoraussetzungen an die Bieter und differenziert dabei zwischen VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH und VS-VERTRAULICH oder höher. Im letzteren Fall muss der Bewerber/Bieter darlegen, ob und in welchem Umfang Sicherheitsbescheide bestehen. Grundsätzlich muss der Bewerber/Bieter jedoch erst zum Leistungsbeginn über die erforderlichen Sicherheitsbescheide verfügen, dies folgt aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 lit. b) VSVgV-E. Dies gilt jedoch nach Abs. 3 Satz 1 nicht, wenn dem Bewerber/Bieter für das Erstellen des Angebots bereits Zugang zu entsprechenden VS einzuräumen ist, was in der Regel der Fall sein wird, da die Leistungsbeschreibung in der Regel detaillierte Angaben zum Leistungsgegenstand enthält und damit hinsichtlich Inhalt, Zeit und Ort Angaben, die geheim zu halten sind.
§ 7 Abs. 3 Satz 2 VSVgV-E enthält folgende weitere Regelung:
„Kann zu diesem Zeitpunkt noch kein Sicherheitsbescheid durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie oder durch entsprechende Landesbehörden ausgestellt werden und wird beim Auftraggeber Zugang zu diesen Verschlusssachen gewährt, müssen Auftraggeber die eingesetzten Mitarbeiter des Unternehmens überprüfen und ermächtigen, bevor diesen Zugang gewährt wird.“
Dies bedeutet zunächst, dass selbst dann, wenn zur Angebotserstellung Einsicht in VS-VERTRAULICH oder höher zu nehmen ist und noch kein Sicherheitsbescheid vorliegt, Bewerber/Bieter gleichwohl eine Zugangsmöglichkeit haben, wenn der Auftraggeber sie hierzu „ermächtigt“. Nach dem Wortlaut „müssen“ Auftraggeber die Möglichkeit einer Einzelermächtigung prüfen. Dies könnte Auftraggeber, die nicht über das nötige Personal und Know-How verfügen, überfordern, so dass zu überlegen wäre, die Einzelermächtigung in das Ermessen der Auftraggeber zu legen.
Der Entwurf hat von seiner Lesart „die eingesetzten Mitarbeiter“ offenbar die Situation vor Augen, dass Mitarbeiter des Bieters beim Auftraggeber an der Pforte stehen und (noch) keinen Sicherheitsbescheid vorweisen können und gleichwohl hinein gelassen werden wollen, um zum Zwecke der Angebotserstellung in einem Sicherheitsbereich Unterlagen oder Räumlichkeiten o.ä. einzusehen. Diese Situation erscheint allerdings praxisfern, da die „einzusetzenden“ (und nicht „eingesetzten“) Mitarbeiter bereits im Vorfeld zu überprüfen und, bei positivem Ergebnis, zu ermächtigen sind. Die Vorschrift regelt allerdings nicht, an welche Voraussetzungen die Ermächtigung durch den Auftraggeber geknüpft ist. Sinnvollerweise hat sich der Auftraggeber am Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes sowie dem Geheimschutzhandbuch zu orientieren.
§ 7 Abs. 4 VSVgV-E regelt Folgendes:
„Auftraggeber können Unternehmen oder bereits feststehenden Unterauftragnehmern, die noch nicht in der Geheimschutzbetreuung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie oder entsprechender Landesbehörden sind oder deren Personal noch nicht überprüft und ermächtigt ist, zusätzliche Zeit gewähren, um diese Anforderungen zu erfüllen. In diesem Fall müssen Auftraggeber diese Möglichkeit und die Frist in der Bekanntmachung mitteilen. Von der Gewährung dieser zusätzlichen Zeit kann abgesehen werden, wenn dadurch erhebliche Nachteile für den Wettbewerb oder die wirtschaftliche Durchführung der Beschaffung durch den Auftraggeber wahrscheinlich sind“.
Die Regelung scheint missglückt und sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren richtig gestellt werden. Satz 1 „können“ scheint dem Auftraggeber ein Ermessen einzuräumen, ob dieser den Unternehmen mehr Zeit einräumt. Satz 3 enthält dann aber erneut eine „können“-Formulierung hinsichtlich der Ausnahme von Satz 1. Dogmatisch ließe sich jedoch ein solches Regel-Ausnahmeverhältnis, das sowohl für die Regel als auch für die Ausnahme ein Ermessen vorzusehen scheint, nicht begründen. In der Begründung zu § 7 Abs. 4 VSVgV-E heißt es „Liegen diese Voraussetzungen bei Unternehmen noch nicht vor, ist aus Gründen eines fairen Wettbewerbs diesen Unternehmen die notwendige Zeit für die Erfüllung der Anforderung zu gewähren“. Das BMWi wollte offenbar doch eine Verpflichtung formulieren, mehr Zeit einzuräumen. Damit würde das BMWi über die RL-Anforderung hinausgehen. Ein Ermessen in § 7 Abs. 4 Satz 3 VSVgV-E kann nicht ernsthaft gemeint gewesen sein. Denn sollten erhebliche Nachteile für den Wettbewerb oder die wirtschaftliche Durchführung der Beschaffung durch den Auftraggeber wahrscheinlich sein, darf es nicht im Ermessen des Auftraggebers liegen, gleichwohl den noch nicht sicherheitsüberprüften Unternehmen mehr Zeit einzuräumen.
Versorgungssicherheit
§ 8 VSVgV-E regelt im Detail mögliche vom Auftraggeber festzulegende Anforderungen an die Versorgungssicherheit. Das Thema Versorgungssicherheit wird im Vergabeblog noch genauer an anderer Stelle beleuchtet werden.
Unterauftragsvergabe
Im Sicherheits- und Verteidigungsbereich haben Unteraufträge erhebliche praktische Relevanz, da häufig Gesamtlösungen eingekauft werden und Bewerber/Bieter dadurch in der Regel Systemhäuser sein werden, welche wiederum auf das Know-how mittelständischer Unternehmen angewiesen sind. Der Richtliniengeber hat in diesem Bereich in Art. 21 der RL 2009/81/EG den Mitgliedstaaten mehrere Umsetzungspielräume eingeräumt. Die nachfolgende Grafik zeichnet diese Spielräume noch einmal nach und verdeutlicht, wie der BMWi-Entwurf diese umgesetzt hat (zum Vergrößern Klicken):
Das BMWi hat sich in § 9 Abs. 3 Nr. 1 VSVgV-E dazu entschieden, es in das Ermessen des Auftraggebers zu legen, ob dieser den Auftragnehmer verpflichtet, einen Teil des Auftrags an Dritte weiter zu vergeben. Beteiligte Interessen hatten im Gegensatz dazu gefordert, die Unterauftragsvergabe als gesetzliche Pflicht auszugestalten. Im Fall der Unterauftragsvergabe muss der Höchstprozentsatz angemessen sein und darf jedenfalls 30 % des Auftragswerts nicht überschreiten. Weiterhin bestimmt § 9 Abs. 3 Nr. 1 VSVgV-E, diesmal als gesetzliche Verpflichtung, dass die Bieter in ihrem Angebot angeben müssen, welchen Teil oder welche Teile ihres Angebots sie durch Unteraufträge zu vergeben beabsichtigen, um die Wertspanne zu erfüllen.
Die §§ 38 bis 42 enthalten detaillierte Regelungen zur Unterauftragsvergabe, u.a. die Pflicht einer Bekanntmachung, welche Angaben nach Anhang V der RL 2009/81/EG enthalten muss (zum Vergrößern Klicken):
Das Formular unter simap ist hier abzurufen.
Es liegt allerdings nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 VSVgV-E im Ermessen des Auftraggebers, vom Auftragnehmer zu verlangen, die Bestimmungen der §§ 38 bis 42 auf alle oder bestimmte Unteraufträge anzuwenden, die diese an Dritte zu vergeben beabsichtigen. Auch hier hätte das BMWi die Anwendung der (formalisierten) Regelungen zur Unterauftragsvergabe als gesetzliche Pflicht vorsehen können.
Unabhängig davon gilt die gesetzliche Pflicht der Berücksichtigung mittelständischer Interessen in § 97 Abs. 3 GWB, d.h. insbesondere der Grundsatz der Aufteilung des Auftrags in Lose.
Hervorzuheben ist noch folgende Regelung in § 9 Abs. 5 VSVgV-E, welche auf Art. 21 Abs. 5 RL 2009/81/EG basiert:
„Auftraggeber dürfen einen vom Bieter oder Auftragnehmer ausgewählten Unterauftragnehmer nur auf Grundlage der Kriterien ablehnen, die für den Hauptauftrag gelten und in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen angegeben wurden. Lehnen Auftraggeber einen Unterauftragnehmer ab, müssen sie dies gegenüber dem betroffenen Bieter oder dem Auftragnehmer schriftlich begründen und darlegen, warum der Unterauftragnehmer ihres Erachtens die für den Hauptauftrag vorgegebenen Kriterien nicht erfüllt.“
Berücksichtigung der VOL/B
Nach § 10 Abs. 3 VSVgV-E sind die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen (VOL/B) grundsätzlich zum Vertragsgegenstand zu machen; dies entspricht der VOL-Regelung. Da es sich bei Aufträgen im Sicherheits- und Verteidigungsbereich oft um komplexe Verträge handelt, sind allerdings Zweifel geboten, ob die VOL/B die grundsätzlich passende Vertragsgrundlage bildet.
Nach § 11 Abs. 1 VSVgV-E erfolgt die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im nicht offenen Verfahren oder im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. In begründeten Ausnahmefällen ist ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb oder ein wettbewerblicher Dialog zulässig.
Rahmenvereinbarung
Nach § 14 Abs. 6 VSVgV-E darf die Laufzeit von Rahmenvereinbarungen sieben Jahre nicht überschreiten. Dies gilt nicht in Sonderfällen, in denen aufgrund der zu erwartenden Nutzungsdauer gelieferter Güter, Anlagen oder Systeme und den durch einen Wechsel des Unternehmens entstehenden technischen Schwierigkeiten eine längere Laufzeit gerechtfertigt ist.
Bekanntmachung
Für die Bekanntmachung ist ein gesondertes Formular zu verwenden, dieses ist unter simap hier abzurufen.
Der Autor Dr. Roderic Ortner ist Rechtsanwalt der Sozietät BHO Legal, Köln, München. Er ist spezialisiert auf nationales und europäisches Kartell- und Vergaberecht, hier insbesondere auf Vergabeverfahren und Vertragsgestaltung für Forschungsprojekte der Sicherheits-, Verteidigungs- und Raumfahrtindustrie. Mehr Informationen zum Autor finden Sie im Autorenverzeichnis.