OLG Düsseldorf bestätigt noch einmal: Rechtsschutz im Unterschwellenbereich ist nicht auf Vorsatz und Willkürakte beschränkt (Beschluss v. 19.10.2011 – 27 W 1/11)
Das OLG Düsseldorf bleibt seiner Linie treu: auch bei Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte sollen Bieter die Möglichkeit haben, prozessuale Schritte gegen den öffentlichen Auftraggeber einzuleiten. Dabei soll der Rechtsschutz nicht auf vorsätzliches Handeln und Willkürakte beschränkt sein; vielmehr soll die Verletzung von vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten ausreichen können, um einen Rechtsschutz zu begründen. Damit bestätigt das OLG Düsseldorf seine Rechtsauffassung aus dem Beschluss vom 13.01.2010.
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb Trockenbauarbeiten zu einem Auftragsvolumen unterhalb des EU-Schwellenwertes für eine Schule im “Offenen Verfahren“ unter Verweis auf die VOB/A aus. Der Antragsteller forderte die Vergabeunterlagen an und rügte verschiedene Mängel an den Unterlagen, denen nach Auffassung des Antragstellers auch im weiteren Verlauf nicht abgeholfen wurde. Nachdem der Auftraggeber eine weitere Bearbeitung der Vergabeunterlagen ablehnte, beantragte der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz auf Unterlassung des beabsichtigten Zuschlages auf das Angebot eines Mitbieters.
Die Entscheidung
Bevor das OLG Düsseldorf in der Sache entscheidet, stellt es sogleich klar, dass einem Bieter bei Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich der einstweilige Rechtsschutz vor den Zivilgerichten grundsätzlich offen steht. Den Bietern sollen insbesondere dann Unterlassungsansprüche zustehen können, wenn der Auftraggeber die Anwendung von Vergabevorschriften bestimmt hat und gegen diese verstößt. Ein solcher Verstoß kann nach Auffassung des OLG Düsseldorf auch in der Verwendung vergaberechtswidriger Vergabeunterlagen liegen, etwa wenn die Leistungsbeschreibung nicht eindeutig und erschöpfend ist oder sich widersprüchliche Angaben in den Unterlagen befinden. Als Begründung verweist das OLG Düsseldorf – wie in seiner Entscheidung vom 31.01.2010 – auf das Bestehen eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses zwischen den Bietern und dem öffentlichen Auftraggeber im laufenden Vergabeverfahren. Dieses Vertrauensverhältnis verpflichtet den Auftraggeber zur Einhaltung von Rücksichtsnahmepflichten, welche auch die Einhaltung der Vergabevorschriften umfassen, denen sich der Auftraggeber – gleich aus welche Gründen – selbst unterworfen hat. Die vom Gericht begehrte einstweilige Anordnung kann allerdings – so das OLG Düsseldorf – nur auf Unterlassung des Vertragsabschlusses (d.h. der Zuschlagserteilung) lauten (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.09.2010 – 2 W 37/10).
Im konkreten Fall wies das OLG Düsseldorf den Antrag jedoch zurück. Nach Auffassung des Gerichts war es dem Antragsteller nicht gelungen, die behauptete Vergaberechtswidrigkeit der Vergabeunterlagen nachzuweisen.
Zusammenfassung
Die Voraussetzungen für einen Rechtsschutz im Unterschwellenbereich lassen sich anhand der jüngsten Rechtsprechung des OLG Düsseldorf damit wie folgt zusammen fassen:
– Im Unterschwellenbereich sind die Zivilgerichte zur Entscheidung zuständig.
– Statthafte Verfahrensart ist der einstweilige Rechtsschutz. Dieser Rechtsweg ist jedoch nur bis zur Zuschlagserteilung eröffnet.
– Bei Durchführung eines Vergabeverfahrens entsteht ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und den sich beteiligenden Bietern.
– Das vorvertragliche Vertrauensverhältnis begründet Rücksichtsnahmepflichten des öffentlichen Auftraggebers gegenüber den Bietern.
– Verstößt der öffentliche Auftraggeber gegen seine Rücksichtsnahmepflichten, kann der betroffene Bieter hiergegen im einstweiligen Rechtsschutz vorgehen. Dabei ist der Rechtsschutz nicht auf vorsätzliches oder willkürliches Handeln des Auftraggebers beschränkt.
– Zu den Rücksichtsnahmepflichten gehört auch die Erstellung vergaberechtskonformer Vergabeunterlagen.
– Der antragstellende Bieter muss die Verletzung von Rücksichtnahmepflichten glaubhaft machen können. Ihn trifft insoweit die Beweislast.
– Der Rechtsschutz ist auf die Untersagung der beabsichtigten Zuschlagserteilung beschränkt.
Praxishinweis
Auch wenn sich also – federführend durch das OLG Düsseldorf – ein Voraussetzungskatalog für einen zulässigen Rechtsschutz im Unterschwellenbereich herauskristallisiert, ist dieser nach wie vor von erheblichen Einschränkungen und Unsicherheiten begleitet. So endet die Rechtsschutzmöglichkeit mit Zuschlagserteilung und zwar auch dann, wenn das Unternehmen erst nach Zuschlagserteilung überhaupt von der Vergabe erfährt. Zudem haben sowohl das OLG Düsseldorf als auch das OLG Stuttgart in den genannten Entscheidungen den Rechtsschutz im Unterschwellenbereich zwar theoretisch bestätigt: in allen drei genannten Entscheidungen wurde der Antrag letztlich jedoch zurückgewiesen. Eine dem Antrag stattgebende Entscheidung lässt noch auf sich warten.
Schließlich ist offenbar auch nicht allen Zivilgerichten die neueste Entwicklung in der OLG-Rechtsprechung zum Umfang des Rechtsschutzes bei Unterschwellenvergaben bekannt. Das LG Koblenz hat z.B. in seinem Beschluss vom 18.01.2011 (10 O 9/11) einen Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz mit der Begründung zurückgewiesen, dass zu dem behaupteten Verstoß weder vorsätzliches noch willkürliches Handeln vorgetragen wurde und ein darüber hinaus gehender Rechtsschutz nicht bestehe. Die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf wurde mit keinem Wort erwähnt.
Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht („Bitkom Consult“) zuständig. Sie ist zudem Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler und berät und unterstützt Unternehmen der ITK-Branche sowie die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.