Aktuelle Rechtsprechung zur Rüge im Überblick – Teil 3: Rüge noch im Nachprüfungsverfahren; Rüge im Unterschwellenbereich
So mancher Vergaberechtsverstoß des öffentlichen Auftraggebers zeigt sich erst nachdem ein Nachprüfungsverfahren bereits eingeleitet wurde. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob auch noch im Nachprüfungsverfahren selbst gerügt werden muss. Mit dieser Thematik und der Pflicht zur Rüge im Unterschwellenbereich beschäftigt sich der dritte und letzte Teil des Beitrags zur aktuellen Rechtsprechung.
Rügen im Nachprüfungsverfahren?
Das OLG Brandenburg hatte sich in diesem Zusammenhang mit folgendem Sachverhalt auseinanderzusetzen (Beschluss vom 10.01.2012 – Verg W 18/11): Ein Bieter hatte im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer erfahren, dass der Auftraggeber die Vergabeunterlagen in Zusammenarbeit mit dem für den Zuschlag vorgesehenen Bieter verfasst hatte. Dennoch führte er diesen Sachverhalt nicht in das laufende Nachprüfungsverfahren ein. Erst nachdem der Nachprüfungsantrag durch die Vergabekammer zurückgewiesen worden war, machte der Bieter den Vergaberechtsverstoß im Beschwerdeverfahren vor dem OLG Brandenburg geltend.
Zu spät!!! Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann der Vortrag nicht mehr berücksichtigt werden. Zur Begründung wird ausgeführt, dass in derartigen Konstellationen eine Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zwar nicht erforderlich ist. Gleichwohl hätte der Vergaberechtsverstoß unverzüglich, mithin im laufenden Vergabekammerverfahren geltend gemacht werden müssen. Das OLG Brandenburg leitet dies aus § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ab.
Das OLG Frankfurt vertritt im Ergebnis die gleiche Auffassung (Beschluss vom 13.12.2011 – 11 Verg 8/11). In dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall ergab sich der Vergaberechtsverstoß aus dem Vergabevermerk. Dieser war dem Antragsteller zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung übersandt worden. Die daraus ersichtlichen Vergaberechtsverstöße wurden allerdings erst nach der mündlichen Verhandlung schriftlich vorgetragen. Dies ist nach Auffassung des OLG Frankfurt zu spät. Der entsprechende Vortrag müsse daher unberücksichtigt bleiben. Aufgrund der Verfahrensförderungspflicht der Verfahrensbeteiligten gemäß § 113 Abs. 2 GWB sind Vergaberechtsverstöße, die nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens bekannt werden, so umgehend in das Verfahren einzuführen, dass keine Verzögerung des Verfahrens eintritt. Einer ausdrücklichen Beanstandung gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber bedarf es hingegen nicht.
Auch wenn die dogmatische Begründung des OLG Brandenburg fragwürdig erscheint, zeigen die Entscheidungen jedoch eines: Auch nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens hat ein „taktieren“ mit Vergaberechtsverstößen unbedingt zu unterbleiben. Treten im laufenden Nachprüfungsverfahren weitere Vergaberechtsverstöße zu Tage, so sind diese unverzüglich in das Verfahren einzuführen. Bieter sollten dies unbedingt berücksichtigen.
Rüge unterhalb der Schwellenwerte
Abschließend sei auf die Entscheidung des LG Berlin vom 05.12.2011 verwiesen (52 O 254/11). Danach ist auch bei Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte eine Rüge gegenüber der Vergabestelle vor Einlegung eines Rechtsmittels, wie zum Beispiel der einstweiligen Verfügung, erforderlich. Auftraggebern müsse auch im Rahmen nationaler Vergabeverfahren die Möglichkeit eingeräumt werden, Vergaberechtsverstöße frühzeitig abstellen zu können.
Daher gilt: Auch unterhalb der Schwellenwerte müssen erkannte Vergaberechtsverstöße rechtzeitig beanstandet werden.
Der Autor Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt bei der Sozietät Scharlemann Rechtsanwälte in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber. Mehr informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.