Ritzenhoff, Lukas: Das Beihilfe- und Vergaberecht in der Krise (Rezension)

9783832974268Schriften zum Vergaberecht, Band 11 – Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden 2012, 245 Seiten, ISBN 978-3-8329-7426-8, 64 €

Die Arbeit von Ritzenhoff trägt einen zweideutigen Titel: Nicht die Krise des Beihilfe- und Vergaberechts, sondern deren Anwendung in der Finanzkrise bildet den Gegenstand der Untersuchung. Angesichts der rasanten Entwicklungen, die die beiden Rechtsgebiete seit 2008 genommen haben, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Literatur der aufgeworfenen Fragen annimmt. Ritzenhoff hat dies mit seinem Werk in beeindruckender Weise getan.

Die Untersuchung steigt ein mit einer Bestandsaufnahme zu Entstehen und Auswirkungen der in den USA begonnenen Finanzmarktkrise, die längst zu einer europäischen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise geworden ist. Anschaulich beleuchtet der Verfasser die Ursachen der Krise und das Handeln der maßgeblichen Akteure. Sodann führt er den Leser zu den beiden Säulen seiner Untersuchung, dem Beihilfe- und dem Vergaberecht, und stellt die unterschiedliche Wirkweisen und Ansätze der Rechtsgebiete dar (vgl. hierzu auch instruktiv Ehrike, in: Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Band 3, Beihilfen- und Vergaberecht, München 2011, S. 53 ff.).

Beihilferecht als Instrument der Krisenbewältigung

In dem ersten großen Kapitel widmet sich Ritzenhoff zunächst einer tiefgreifenden Darstellung des Beihilferechts, das er als Instrument der Krisenbewältigung identifiziert. Er stellt die Maßnahmen des Beihilferechts im Detail dar, wobei stets auf einer ersten Stufe zwischen Finanz- und Realwirtschaft und auf einer zweiten zwischen den jeweiligen Mitteilungen bzw. Maßnahmen der EU-Kommission und der Bundesrepublik Deutschland entschieden wird.

Im Detail untersucht der Verfasser, ob die EU-Kommission und die Bundesrepublik Deutschland das Beihilferecht rechtmäßig anwenden. Den Rückgriff auf Art. 107 Abs. 3 lit. b), 2. Alt. AEUV als Rechtsgrundlage für die Beihilfegewährungen in der Krise ordnet er als rechtmäßig ein. Kritisch beleuchtet er hingegen die Beliebigkeit des Begriffs der „Systemrelevanz“ von Wirtschaftsakteuren, die in den Genuss staatlicher Beihilfen kommen sollten und plädiert für greifbare Auslegungskriterien. Sehr aufschlussreich sind die Ausführungen auf S. 97 ff. zum Rechtsschutz gegen Entscheidung der EU-Kommission und dessen systemimmanenten Schwächen.

Das Kapitel schließt mit einem Ausblick für eine verbesserte Handhabung des Beihilferechts in der Zukunft. Die Ausführungen zu einer möglichen verstärkten Verfolgung außerökonomischer, insbesondere ökologischer Ziele muss man nicht teilen, lesenswert sind sie allemal. Derselbe Glaubensstreit zu den Aufgaben und Funktionen des Rechts sowie den Maßstäben, an denen sich staatliches Handeln messen lassen muss, wird derzeit im Vergaberecht geführt – auch hier mit offenem Ausgang, wenngleich sich das Gewicht mit Blick auf die neuen Richtlinienvorschläge der EU-Kommission deutlich in Richtung „mehr vergabefremde Zwecke“ verschoben hat.

Vergaberecht in der Krise?

Dem anderen Instrument der Krisenbewältigung, dem Vergaberecht, widmet sich das anschließende große Kapitel der Untersuchung. Nach einer ausführlichen Darstellung der Fristen und der Möglichkeit ihrer Verkürzung sowie der einzelnen Verfahrensarten, untersucht Ritzenhoff insbesondere die Maßnahmen des Konjunkturpakets II auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem europäischen Primärrecht und nationalem Verfassungs- und Haushaltsrecht. Im Ergebnis hält er die vergaberechtlichen Maßnahmen für nicht mit den Grundfreiheiten des AEUV vereinbar. Mit Blick auf das nationale Recht sieht er zudem die erhöhte Gefahr von Verstößen gegen das Verfassungs-, das Beihilfe- und das Haushaltsrecht.

Die Ausführungen zum Unterschwellen-Rechtsschutz stehen stellvertretend für die sorgfältige Arbeitsweise von Ritzenhoff: Nach erschöpfender Auswertung von Rechtsprechung und Literatur wirft er zu Recht einen kritischen Blick auf die derzeitige Ausgestaltung des Rechtsschutzes außerhalb des Anwendungsbereichs des GWB und stellt in Frage, ob die Vorgaben der EU-Kommission aus ihrer Mitteilung vom 23.06.2006 derzeit erfüllt sind.

Auf S. 193 kommt Ritzenhoff sinnigerweise doch noch einmal auf die andere Lesart seines Werktitels zurück, wenn er die Sperrigkeit und Ineffizienz des geltenden Vergaberechts anspricht.

Wie schon in der beihilferechtlichen Untersuchung wendet sich der Verfasser schließlich möglichen Verbesserungen des Vergaberechts für die Zukunft zu und nimmt hierbei gewinnbringend Anleihen bei anderen Staaten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Die Vorschläge gehen vor allem in Richtung einer Vereinfachung des Vergaberechts. Hier wird naheliegend die SektVO in den Blick genommen.

Ein Ausbau des Unterschwellen-Rechtsschutzes soll zu einer verstärkten Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften beitragen. Die derzeit vieldiskutierte Frage, ob der Bund über ausreichende Gesetzgebungskompetenzen für eine umfassende Regelung des Unterschwellen-Rechtsschutzes verfügt, wird im Ergebnis bejaht (anders Burgi, in: NVwZ 2011, 1217 ff.). Abschließend geht der Verfasser, abermals mit kritischem Augenmaß, auf die Möglichkeit der Interimsvergabe in besonderen Notsituationen ein.

Deutsches VergabenetzwerkPrädikat: Empfehlenswert

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Werk jedem mit dem Beihilfe- und Vergaberecht befassten Praktiker und Wissenschaftler wärmstens zu empfehlen ist. Dies nicht nur, weil die Arbeit mit Detailfreude glänzt und die beachtliche Fülle der Literatur vollständig ausgeschöpft hat, so dass sie einen veritablen Fundus an Materialien enthält. Ihr gelingt auch das Kunststück, die komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge und Wirkweisen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise anschaulich zu vermitteln!

Soudry_DanielDer Rezensent Dr. Daniel Soudry, LL.M., ist Rechtsanwalt in der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK in Düsseldorf. Er berät Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Außerdem betreut er Projekte der öffentlichen Hand. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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