Der Auftraggeber entscheidet selbst, was er beschafft! (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 01.08.2012, VII-Verg 10/12 und OLG Naumburg, Beschluss v. 20.09.2012, 2 Verg 4/12)

EntscheidungDas OLG Düsseldorf setzt sich auch in diesem Jahr dezidiert mit den Möglichkeiten und Freiheiten des öffentlichen Auftraggebers zur Definition des Beschaffungsgegenstandes auseinander und leuchtet dabei das Spannungsfeld zwischen der Bestimmungsfreiheit einerseits und der Wettbewerbsöffnung andererseits weiter aus. Es knüpft dabei an seine Beschlüsse vom 09.09.2010, Verg 10/10, vom 17.02.2010, VII-Verg 42/09, vom 03.03.2010, VII-Verg 46/09 sowie zuletzt vom 27.06.2012, VII-Verg 7/12, an. Das OLG Naumburg schließt sich mit seinem Beschluss vom 20.09.2012, 2 Verg 4/12, dieser Rechtsprechung für einen bedeutsame Fallvariante an und lässt erkennen, dass das letzte Wort zu diesem Rechtskomplex noch nicht gesprochen, sondern dem Bundesgerichtshof vorbehalten sein dürfte.

1. Grundsatz der Bestimmungsfreiheit

Das OLG Düsseldorf betont zunächst abermals den Grundsatz, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden sei, und die Wahl seiner Bestimmungsfreiheit unterliegt. Diese sei dem Vergabeverfahren vorgelagert, denn das Vergaberecht regele nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung des gewählten Gegenstandes (Lieferung und/oder Leistung).

2. Einschränkungen der Bestimmungsfreiheit

a) bisherige Rechtsprechung des OLG Düsseldorf

Dieser Grundsatz unterliegt gemäß OLG Düsseldorf jedoch Einschränkungen durch die vergaberechtlichen Regelungen, insbesondere § 8 Abs. 7 VOL/A-EG sowie § 7 Abs. 8 VOB/A. Diese Normen beschreiben – so das OLG Düsseldorf – abschließend die für die Bestimmungsfreiheit bestehenden Beschränkungen. In früheren Beschlüssen (z. B. Beschluss vom 17.02.2010, Verg 42/09) hatte das OLG Düsseldorf weitergehend formuliert, dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nicht inhaltlich auf Vertretbarkeit, Nachvollziehbarkeit oder erst recht auf Richtigkeit, sondern nur daraufhin zu kontrollieren sei, ob sie auf sach- und auftragsbezogenen Gründen beruht. Das OLG Düsseldorf hatte damals ausdrücklich nur eine Negativabgrenzung dahingehend gefordert, dass der Auswahl- und Beschaffungsentscheidung des Auftraggebers keine sachfremden, willkürlichen oder diskriminierenden Erwägungen zugrunde liegen dürfen; eine weitergehende Überprüfung insbesondere auf sachliche Richtigkeit und Nachvollziehbarkeit der vom Auftraggeber genannten Gründe sei mit dem Bestimmungsrecht des Aufraggebers unvereinbar.

b) Beschluss vom 01.08.2012, VII-Verg 10/12

In dem aktuellen Beschluss vom 01.08.2012 finden sich ähnliche Aussagen, wobei das OLG Düsseldorf hier die Einschränkungen in Nuancen weitergehend zu fassen scheint, wenn es zur Einhaltung der vergaberechtlichen Grenzen des Bestimmungsrechts fordert, dass

· die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist,

· vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist,

· solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind

· und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.

Diese Merkmale ähneln zwar sehr weitgehend den vorzitierten Merkmalen aus dem Beschluss vom 17.02.2010, man meint hier jedoch etwas weitergehende Einschränkungen ausmachen zu können, als nun doch nachvollziehbare Gründe verlangt werden, die notfalls erwiesen werden können.

Mit dieser Verdeutlichung will das OLG Düsseldorf wohl einer Interpretation der eigenen Rechtsprechung entgegenwirken, wonach allein das Vorbringen von sachgerechten Gründen für die Festlegung auf einen bestimmten Beschaffungsgegenstand ausreichend ist, unabhängig von der tatsächlichen Plausibilität oder dem Vorhandensein dieser Gründe. Auftraggeber, die sich auf diese Rechtsprechung stützen wollen, sollten diese Nuancen beachten und die Vorbereitungen der Festlegung des Beschaffungsgegenstandes unter diesem Gesichtspunkt gewissenhaft durchführen und vor allem genau dokumentieren. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass das OLG Düsseldorf das Vorliegen der Grenzen der Bestimmungsfreiheit im Einzelfall regelmäßig ausführlich prüft und es nicht bei einer bloß schlagwortartigen Wiederholung der oben genannten Grundsätze belässt.

3. Keine Pflicht zur Markterforschung

Das OLG Düsseldorf hält in dem Beschluss jedoch unverändert an seiner Rechtsprechung fest, dass der Auftraggeber nicht verpflichtet ist, sich vor der Einleitung des Vergabeverfahrens einen möglichst breiten Überblick über die in Betracht kommenden Leistungen zu verschaffen. Der Auftraggeber muss nicht das objektiv geeignetste Produkt im Markt zu ermitteln, denn dies würde dazu führen, dass sich unter Umständen erst im Nachprüfungsverfahren herausstellt, welchen Gegenstand der Auftraggeber tatsächlich beschaffen muss. Bieter können daher nicht mit Erfolg beanspruchen, dem Auftraggeber eine andere Leistung mit anderen Beschaffungsmerkmalen und Eigenschaften als diejenigen, die von ihm in den Vergabeunterlagen festgelegt worden sind, anzudienen. Das OLG Düsseldorf weist in diesem Zusammenhang auf die in die abweichende Rechtsprechung des Thüringer OLG, Beschluss v. 26.06.2006, 9 Verg 2/06, sowie des OLG Celle, Beschluss v. 22.05.2008, 13 Verg 1/08, hin.

4. OLG Naumburg zur Bestimmungsfreiheit bei der Grundstücksbeschaffung

Das OLG Naumburg wendet diese Rechtsprechung in einem aktuellen Beschluss auf die Beschaffung von Grundstücken an. In diesem Fall umfasste der ausgeschriebene Auftrag die Planung und die Errichtung eines Verwaltungsgebäudes und die Finanzierung der Gesamtkosten des Vorhabens einschließlich des Grundstückserwerbs über einen Zeitraum von 25 Jahren. Das Bauvorhaben sollte auf einem bzw. auf mehreren im Eigentum des Auftragnehmers stehenden Grundstücken realisiert werden, wobei nach Zahlung der letzten von 300 gleichbleibenden monatlichen Raten durch den Auftraggeber das Eigentum auf diesen übergehen sollte.

Die Bieter mussten sich also zunächst ein geeignetes Grundstück – vom Auftraggeber vorgeschrieben war ein bestimmter Innenstadtbereich – für die Angebotsabgabe selbst sichern, um überhaupt ein Angebot abgeben zu können. Der Auftraggeber hatte in der Vergabevorbereitung vier geeignete Grundstücke in dem vorgeschriebenen Innenstadtbereich ausgemacht, die die Anforderungen erfüllen.

Das OLG Naumburg hat entschieden, dass das Bestimmungsrecht insbesondere die Freiheit des Auftraggebers umfasse, mit der Leistung auch die Grundstücksbeschaffung durch die Bieter bzw. den Auftragnehmer mit auszuschreiben. Im Vorfeld könne sich der Auftraggeber dabei auf eine Aufklärung der Frage beschränken, ob in dem von ihm begrenzten Bereich eine genügende Anzahl von Objekten vorhanden war, welche in Größe, Lage, Zuschnitt und Bebaubarkeit den funktionalen Anforderungen der Ausschreibung gerecht werden können. Denn für die Gewährleistung eines Wettbewerbs sei maßgeblich, ob der Auftraggeber mit mehreren Bewerbern rechnen kann und ob die interessierten Unternehmen mit Mitbewerbern rechnen müssen, so dass der erforderliche Anreiz besteht, ein wirtschaftliches Angebot zu unterbreiten. Insoweit hat der Auftraggeber eine Prognoseentscheidung zu treffen.

Daher kann von einem öffentlichen Auftraggeber nur gefordert werden, dass er unter Berücksichtigung der von ihm beabsichtigten Bestimmung des Beschaffungsbedarfs den Eingang mehrerer Bewerbungen oder Angebote – je nach Verfahrensart – für möglich erachtet. Das OLG Naumburg stellt in Anwendung des Rechtsgedankens des § 6a Abs. 4 VOB/A und des Art. 44 Abs. 3 UA 2 S. 2 und 3 der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) auf mindestens drei Objekte ab.

Der Auftraggeber muss nach OLG Naumburg aber weder die Eigentumsverhältnisse an den Grundstücken noch die Bewerbungs- oder Verkaufsbereitschaft der Eigentümer erkunden. Er muss auch nicht sicherstellen, dass den Bietern der Zugriff auf eines der vier Grundstücke tatsächlich offen steht. Um die Zugriffsmöglichkeit jedes Interessenten am Bauauftrag zu gewährleisten, hätte der Auftraggeber ein geeignetes Baugrundstück selbst erwerben und dem Auftragnehmer zur Verfügung stellen müssen. Hierin hätte jedoch ein anderer als der vom Auftraggeber gewählte Beschaffungsgegenstand gelegen. Dem Auftraggeber kam es gerade darauf an, weder mit der Grundstücksauswahl noch mit dessen Beschaffung noch mit der Finanzierung des Grunderwerbs belastet zu sein.

Allerdings wäre es nach OLG Naumburg mit dem Diskriminierungsverbot des § 97 GWB grundsätzlich nicht zu vereinbaren, wenn die Ausschreibung von Anfang an so angelegt gewesen wäre, dass objektiv nur ein Bieter die Kriterien erfüllen kann.

Der Beschluss wirft durchaus einige Fragen auf. Kann es wirklich auf die Frage ankommen, wieviele theoretisch geeignete Grundstücke existieren, wenn deren tatsächliche Verfügbarkeit nicht geklärt ist? Wenn von diesen Grundstücken tatsächlich nur eines verfügbar ist, etwa weil alle anderen Eigentümer nicht verkaufen wollen, warum soll dieser Fall dann anders zu beurteilen sein als wenn von vornherein nur ein Grundstück in Frage kommt? Und reicht ein verfügbares Grundstück nicht aus, um Wettbewerb auch zwischen verschiedenen Bietern sicherzustellen? Der Grundstückseigentümer könnte sich ja verpflichten, an den Ausschreibungsgewinner zu verkaufen. Muss der Auftraggeber in diesem Fall Vorvereinbarungen mit dem Grundstückseigentümer treffen? Hier schließen sich spannende Fragen an. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Rechtsprechung weiter entwickelt.

Eines ist jedoch schon abzusehen: Das OLG Naumburg sieht zwischen der genannten Rechtsprechung des OLG Celle und OLG Jena und derjenigen des OLG Düsseldorf, der es insoweit zuneigt, eine Divergenz, die zu einer Vorlage an den BGH führen muss (wenn auch mangels unterschiedlicher Ergebnisse nicht in dem entschiedenen Fall).

Deutsches Vergabenetzwerk5. Fazit

Die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers bleibt weiter im Fokus der vergaberechtlichen Entscheidungen. Der Auftraggeber kann sich insoweit auf nachvollziehbare objektive und sachgerechte auftragsbezogene für die Festlegung des Leistungsgegenstandes berufen, die sich ggf. erweisen lassen müssen. Die Bestimmungsfreiheit umfasst auch die Festlegung auf ein Beschaffungsmodell, das die Grundstücksbeschaffung durch den Auftragnehmer einschließt (OLG Naumburg, a. a. O.). Bei solchen Modellen muss der Auftraggeber jedoch die Sicherstellung des Wettbewerbs durch geeignete Maßnahmen im Auge behalten.