VK Bund: Wann liegt eine wirksame Rüge per E-Mail vor? (VK Bund, Beschluss v. 5.11.2012 – Verg 3- 120/12)
Die Erhebung einer Rüge ist formlos möglich und auch inhaltlich keinen besonders strengen Anforderungen unterworfen. Allerdings muss die Rüge so verfasst und auch verschickt werden, dass der Empfänger erkennen kann, dass es sich tatsächlich um eine mit rechtlichen Wirkungen beabsichtigte Rüge handelt. Welche Voraussetzungen dabei im Falle einer Rüge per E-Mail einzuhalten sind, stellte die VK Bund in ihrem Beschluss vom 11.05.2012 fest. Dabei hat der Bieter, so die VK Bund, im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens insbesondere auch den Zugang der E-Mail nachzuweisen.
I. Sachverhalt
Der Antragsteller hatte sich an einem Vergabeverfahren beteiligt, welches von einer Vergabestelle im Auftrage einer öffentlichen Einrichtung durchgeführt wurde. In den Ausschreibungsunterlagen war die Vergabestelle als alleiniger Ansprechpartner für das Ausschreibungsverfahren unter Angabe von Adresse und Kontaktperson benannt. Nachdem die Vergabestelle dem Antragsteller mitgeteilt hatte, dass sie den Zuschlag auf ein Konkurrenzangebot zu erteilen beabsichtige, schrieb der Antragsteller dem Geschäftsführer der öffentlichen Einrichtung eine E-Mail, in welcher er diesen um “privates Feedback“ zur Zuschlagsentscheidung bat, „um etwas gegenseitig besseres Verständnis zu bekommen, was die offiziellen Wege und Schritte danach verkürzen könnte“. Der Geschäftsführer der öffentlichen Einrichtung leitete die E-Mail an die Vergabestelle weiter und forderte den Antragsteller zugleich auf, sich mit seinem Anliegen an die Vergabestelle zu wenden. Zwischen den Parteien blieb streitig, ob der Antragsteller daraufhin noch eine Rüge per E-Mail an die Vergabestelle geschickt hat.
II. Entscheidung
Die VK Bund wies den Nachprüfungsantrag zurück, da es nach ihrer Auffassung an einer wirksamen Rüge gefehlt hat. Die an den Geschäftsführer der öffentlichen Einrichtung gerichtete E-Mail entsprach aus zwei Gründen nicht den Anforderungen an eine Rüge im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB: So war die E-Mail bereits nicht an den richtigen Adressaten gerichtet, welcher sich unzweifelhaft aus den Ausschreibungsunterlagen ergab. Zudem war die E-Mail ausdrücklich als „privat“ bezeichnet. Damit, so die VK Bund, „bringt die ASt zum Ausdruck, dass die E-Mail noch keine rechtlichen Wirkungen entfalten soll.“ Aus diesem Grund habe die E-Mail auch dann keine Rügewirkungen entfaltet, als sie der Vergabestelle weitergeleitet wurde.
Der Zugang einer zweiten E-Mail an die Vergabestelle konnte von dem Antragsteller nicht nachgewiesen und somit in dem Nachprüfungsverfahren nicht berücksichtigt werden. Zwar kenne, so die VK Bund,
„das Nachprüfungsverfahren (…) keine prozessuale Darlegungs- und Beweislast, da dies nicht mit dem Untersuchungsgrundsatz des § 110 Abs. 1 GWB zu vereinbaren ist. Die materielle Beweislast kommt jedoch dann zum Tragen, wenn die Aufklärungsbemühungen der Vergabekammer mit keiner zureichenden Gewissheit zu tragfähigen Festlegungen gelangt. (…) Den Nachteil der Nichterweislichkeit einer Tatsache hat zu tragen, wer sich auf einen ihm günstigen Normtatbestand beruft. Der Zugang einer Rüge ist daher in einer solchen Situation grundsätzlich durch den Antragsteller zu beweisen. (…) Eine E-Mail geht erst dann dem Empfänger zu, wenn sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist (s. OLG München, Beschluss vom 15. März 2012, Verg 2/12).“
Da dem Antragsteller dieser Nachweis nicht gelang, kam die VK Bund zu seinen Lasten zu dem Ergebnis, dass eine entsprechende Rüge der Vergabestelle nicht zugegangen war. Auf den Nachweis der Vergabestelle, eine derartige E-Mail nicht erhalten zu haben, kam es damit nicht mehr an.
Sobald der Bieter sich als Opfer eines Vergabestoßes wähnt, muss der diesen Verstoß unverzüglich rügen. Beim Erstellen einer Rüge ist daher regelmäßig große Eile geboten. Zugleich ist dem Bieter häufig daran gelegen, trotz des empfundenen Verstoßes das Klima zum Auftraggeber nicht gleich komplett zu vergiften. Beiden Umständen trägt das Vergaberecht insoweit Rechnung, als bei einer Rüge weder besondere Formerfordernisse noch strenge inhaltliche Vorgaben zu beachten sind. Gleichwohl zeigt die VK Bund ein weiteres Mal, dass jede Rüge mit Umsicht formuliert und verschickt werden muss:
· Inhaltlich ist es dem rügenden Bieter durchaus erlaubt, einen verbindlichen Tonfall zu wählen; für den Empfänger muss jedoch trotzdem eindeutig erkennbar sein, dass der Bieter es mit seinem Vorbringen Ernst meint und rechtliche Folgen daran zu knüpfen beabsichtigt. Auch wenn nicht zwingend erforderlich, sollte das Wort „Rüge“ zumindest im Betreff des Schreibens vorkommen. Auch muss das Schreiben den vermeintlichen Vergabeverstoß jedenfalls laienhaft benennen (vgl. hierzu weiter unseren Vergabeblog-Beitrag zu den inhaltlichen Anforderungen an eine Rüge von Dr. Christian David Wagner).
· Die Rüge ist an die in den Ausschreibungsunterlagen als empfangszuständig angegebene Vergabestelle und – soweit benannt – an den dort angegeben Ansprechpartner zu schicken. Die Vergabestelle und die hinter dem Auftrag stehende Einrichtung sind dabei nicht immer identisch.
· Aus Gründen der besseren Beweisbarkeit sollte eine Rüge, wenn möglich, zumindest auch per Fax verschickt und der Faxbericht abgerufen werden. Bei einer Rüge per Mail sollte eine Lesebestätigung angefordert und aufgehoben werden.
Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht („Bitkom Consult“) zuständig. Sie ist zudem Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler und berät und unterstützt Unternehmen der ITK-Branche sowie die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.