Strategische Partnerschaften und Rekommunalisierung der Netze – zum Beschluss des OLG Düsseldorf vom 04.02.2013 – Verg 31/12

EntscheidungEbenso wie in dem bereits im Vergabeblog besprochenen Beschluss des OLG Düsseldorf vom 09.01.2013 (VII-Verg 26/12) ging es auch im vorliegenden Fall um die Beteiligung eines strategischen Partners an einer Gemeindewerke-Gesellschaft. Die Gründung der Gemeindewerke ebenso wie die Suche nach einem strategischen Partner erfolgten vor dem Hintergrund der geplanten Rekommunalisierung von Versorgungsnetzen (Wasser und Strom) im Gemeindegebiet.

Zunächst plante die Gemeinde, die Gründung der gemischt-wirtschaftlichen Netzgesellschaft und die Neuvergabe des Wegenutzungsvertrags für die Verlegung von Strom- und Gasleitungen nach § 46 EnWG in einem einheitlichen Verfahren durchzuführen und schrieb dieses Vorhaben europaweit nach der SektVO aus. Im Laufe des Verfahrens entschloss sie sich jedoch, die Gesellschaftsgründung und die Konzessionsvergabe zu trennen. Über den Abschluss des neuen Wegenutzungsvertrags sollte erst nach Gesellschaftsgründung und Auswahl des strategischen Partners entschieden werden. Die neue Gesellschaft soll sich dann am Auswahlverfahren nach § 46 EnWG beteiligen.

Erst nach Erhalt der Vorabinformation im vorgeschalteten Verfahren zur Gründung der ÖPP-Netzgesellschaft erhob ein unterlegener Bieter diverse Rügen und stellte einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Köln. Die Vergabekammer wies den Antrag zurück. Diese Entscheidung wurde nun vom OLG Düsseldorf – wenn auch mit anderer Begründung – bestätigt:

Einbindung des strategischen Partners als öffentlicher Dienstleistungsauftrag

Das OLG führt einleitend aus, dass Ausschreibungsgegenstand ein den Schwellenwert überschreitender öffentlicher Auftrag über Unternehmensberatungsleistungen – Betriebsführungsaufgaben – sei.

Der zu gründenden gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaft sollten sowohl Aufgaben der Wasserversorgung als auch der Straßenbeleuchtung und des Stromvertriebs zukommen. Hierbei sollte der strategische Partner seiner Gesellschafts- und Kapitalbeteiligung den Betrieb der Wasserversorgung und optional weitere Dienstleistungen im Bereich der technischen und kaufmännischen Verwaltung übernehmen. Für den Fall der späteren Übertragung des Stromnetzes an die Gemeindewerke-Gesellschaft war offen gehalten, ob ein Verpachtungsmodell (Verpachtung der übernommenen Netze an einen Netzbetreiber) oder eine Betriebsführungslösung (Einschaltung des strategischen Partners als Betriebsführer der Netze) gewählt werden sollte.

Übertragbarkeit der Entscheidung auf „gängige“ zweistufige Ausschreibungsmodelle?

Vor dem Hintergrund des geschilderten Sachverhalts mag es im entschiedenen Fall angesichts der ausdrücklichen Ausschreibung von Betriebspflichten im Wasserbereich sowie weiterer technischer und kaufmännischer Dienstleistungen zutreffend sein, die abzuschließenden Verträge als ausschreibungspflichtige Dienstleistungsaufträge zu qualifizieren.

Es bestehen aber erhebliche Zweifel daran, dass diese Einordnung des OLG Düsseldorf – wie von Biemann im Vergabeblog-Beitrag vom 03.02.2013 vertreten – sich auf alle „gängigen Pachtmodelle, bei denen die gemeinsame Netzgesellschaft nach der Konzessionsübernahme das Netz kauft und an den strategischen Partner verpachtet“ übertragen lässt. Die vergaberechtliche Einordnung wird ohnehin jeweils stark von der Ausgestaltung der jeweiligen Vergabe- und Vertragsunterlagen abhängen. Sofern es also überhaupt „gängige Modelle“ gibt, sehen diese unserer Erfahrung nach so aus, dass nach Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft und Konzessionsübernahme eine Verpachtung des Netzes an den Privaten vorgesehen ist. Der private Partner nutzt das Netz also in seiner Eigenschaft als Pächter für seinen eigenen Netzbetrieb. Die Energieverteilung über das Netz ebenso wie die Wartung und ggf. der Ausbau des Netzes werden ganz überwiegend für ebenfalls private Energienachfrager erbracht. Die vom strategischen Partner und Netzpächter wahrgenommenen Aufgaben sind somit – jedenfalls beim „klassischen“ Pachtmodell – nicht solche der Gemeinde (in diesem Sinne auch: OLG Hamburg, Beschluss vom 14.12.210, I Verg 5/10 und OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2012- 16 U (Kart) 22/12). Mangels Beschaffungscharakter dürfte daher bei Kooperations- in Verbindung mit Pachtmodellen häufig – anders als im entschiedenen Fall, in dem offensichtlich auch ausdrückliche Betriebsvereinbarungen für verschiedene kommunale Bereiche getroffen werden sollten – weder ein Dienstleistungsauftrag noch eine Dienstleistungskonzession vorliegen.

Zudem sehen die den sog. Kooperationsmodellen zugrunde liegenden Gesellschafts- und Pachtverträge in der Praxis vielfach keine Regelungen über ein von der Kommune an den Privaten zu zahlendes Entgelt vor. Die im vorausgegangenen Beschluss des OLG Düsseldorf zu diesem Punkt vertretene Auffassung, hierauf komme es dann nicht an, wenn das Pachtvertragsmodell „lediglich das rechtliche Mittel“ sei, „dessen sich der Auftraggeber bedient, um die von ihm angestrebten Dienstleistungen zu beschaffen“ erscheint von der Auftragsdefinition des § 99 Abs. 1 GWB, die ausdrückliche eine Entgeltlichkeit des Auftrags verlangt, nicht mehr gedeckt.

Maßgeblich dürfte in beiden zuletzt entschiedenen Fällen des OLG Düsseldorf zu strategischen Partnerschaften kommunaler Netzgesellschaften der Umstand sein, dass hier – anders als in ganz vielen aktuellen Sachverhalten! – tatsächlich eine europaweite Vergabe-Bekanntmachung und nicht nur eine Bekanntmachung nach   § 46 EnWG im Bundesanzeiger erfolgte.

Rügepflichten im Konzessionsvergabeverfahren nach § 46 EnWG?

Interessant ist, dass im Rahmen der Veröffentlichung der OLG-Entscheidung (siehe hierzu die nicht-amtlichen Leitsätze bei ibr-online – ebenso wie bereits beim vorausgegangenen Beschluss des selben Senats vom 09.01.2013 (siehe hierzu vergabeblog vom 03.02.2013) – ein Aspekt besonders hervorgehoben wird, der in beiden Fällen nicht entscheidungserheblich war: Der entscheidende Vergabesenat des OLG Düsseldorf äußerte in einem obiter dictum die Ansicht, dass es auch in dem der Suche nach einem strategischen Partner regelmäßig nachfolgenden Konzessionsvergabeverfahren gem. § 46 EnWG Rügepflichten der Bieter – vergleichbar den aus § 107 GWB folgenden Pflichten – geben müsse. Der Senat leitet diese Pflichten – jedoch ohne Begründung im Detail – aus §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB (Aufklärungspflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis) ab. Er führt weiter aus, dass eine Verletzung dieser vorvertraglichen Pflichten regelmäßig dazu führen müsste, dass ein Bieter mit verspätet erhobenen Rügen im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren materiell-rechtlich präkludiert wäre.

Die Tatsache, dass das OLG Schleswig (Urteil vom 22.11.2012 – 16 U (Kart) 22/12) ebenso wie der Kartellsenat des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 12.12.2012 – VI–3 Kart 137/12) kurz zuvor die Auffassung vertreten hatten, Bieter könnten schon deshalb mit ihren energie- und kartellrechtlichen Rügen nicht präkludiert sein, weil die geltend gemachten Verstöße gegen § 46 EnWG und §§ 19, 20 GWB zur Nichtigkeit der abzuschließenden Konzessionsverträge führten und daher von Amts wegen zu beachten seien, findet in keiner der Entscheidungen ausdrücklich Erwähnung. Lediglich in einem Klammerzusatz findet sich der knappe Hinweis „a.A. OLG Schleswig“. Die besonders brisante Meinungsverschiedenheit im eigenen Haus wird dagegen nicht erwähnt.

Darüber hinaus bestehen rechtliche Zweifel daran, dass dem Bieter tatsächlich, gestützt auf §§ 241, 311 BGB, Aufklärungspflichten bezüglich etwaiger Rechtsverstöße im Verfahren der Wegerechtsvergabe nach § 46 EnWG im Verhältnis zum kommunalen Konzessionsgeber auferlegt werden können. Vorvertragliche Aufklärungspflichten setzten nach der Rechtsprechung bislang immer ein Informations- und Machtgefälle zwischen den beteiligten Parteien voraus. Daran dürfte es aber in der Konstellation kommunaler Wegerechtsinhaber und private Netzgesellschaft regelmäßig fehlen.

Sollte sich die Auffassung des Vergabesenats des OLG Düsseldorf durchsetzen, so würde dies die Bewerber in wettbewerblichen Verfahren gem. § 46 EnWG vor erhebliche Probleme stellen. Im Ergebnis sollen ihnen nämlich vergleichbare Pflichten wie die in § 107 GWB normierten Rügepflichten auferlegt werden, ohne dass ihnen verlässliche Regelungen zu Art, Zeitpunkt und Inhalt ihrer (vermeintlichen) Aufklärungspflichten zur Verfügung stehen würden.

Mögliche Zuschlagskriterien bei der Auswahl strategischer Partner

Obwohl im vorliegenden Fall (wiederum) nicht entscheidungserheblich, enthält der Beschluss darüber hinaus praktisch relevante Ausführungen zu möglichen Zuschlagskriterien bei der Auswahl eines mit Betriebsführungsaufgaben betrauten strategischen Partners. Der unterlegene Bieter hatte u.a. gerügt, dass einige Zuschlagskriterien so unpräzise formuliert seien, dass sie gegen das Transparenzge- und Diskriminierungsverbot verstießen:

  • „im Vergleich zur Ausgangssituation möglichst hohe Vorteile für den allgemeinen Haushalt der Gemeinde“,
  • „möglichst hoher Stellenwert ökologischer Aspekte“,
  • „möglichst hohe Wertschöpfung vor Ort durch Zuordnung von betrieblichen Prozessen zur Gemeindewerkgesellschaft“.

Das OLG Düsseldorf hält dagegen all die genannten Kriterien für hinreichend bestimmt. Begründet wird dies damit, dass es sich vorliegend um eine funktionale Leistungsbeschreibung handele. Diese bringe es mit sich, dass die Zuschlagskriterien offen formuliert werden könnten. Im Gegenzug hätten die Bieter eine größere Freiheit beim Leistungsangebot und der Kalkulation. Die Kommune könne nicht verpflichtet werden, die Vielfalt möglicher Konzepte von vorneherein durch bestimmte Vorgaben einzuengen.

Die hier diskutierten Fragen sind typisch für die aktuellen Verfahren im Zusammenhang mit der Suche nach einem strategischen Partner kommunaler Netzgesellschaften ebenso wie für Verfahren zur Vergabe von Wegenutzungsverträgen. Die Kommunen neigen hier vielfach dazu, anstelle präziser und für die Bieter nachvollziehbarer Wertungskriterien lediglich allgemeine politische Zielstellungen zu formulieren. Derartige Wertungskriterien stellen nicht nur die Bieter bei der Angebotserstellung regelmäßig vor Rätsel, sie erfüllen auch eine wesentliche, ihnen eigentlich zukommende, Funktion nicht: sie sind nicht geeignet, einen objektiven Vergleich der Angebote zu ermöglichen. Denn die Weite der Zuschlagskriterien und das regelmäßige Fehlen präziser Leistungsbeschreibungen führen zu Angeboten, die sich so stark voneinander unterscheiden, dass sie nur schwer bis gar nicht miteinander zu vergleichen sein dürften.Deutsches VergabenetzwerkFazit

Insgesamt wirft die Entscheidung des OLG Düsseldorf mehr Fragen auf als sie beantwortet. Auch den Kommunen ist mit dem Beschluss im Ergebnis nicht wirklich geholfen. Zwar gesteht ihnen der Vergabesenat des OLG Düsseldorf weitgehende Freiheiten bei der Auswahl des strategischen Partners sowohl im Hinblick auf das Verfahren als auch auf die Wertungskriterien zu und versucht gleichzeitig den Rechtsschutz der Bieter im nachfolgenden Wegerechtsverfahren nach § 46 EnWG über die „Erfindung“ von Rügepflichten zu beschränken. Angesichts abweichender OLG-Entscheidungen im Hinblick auf die Rügepflichten können sich die Kommunen aber nicht darauf verlassen, dass den Bietern künftig tatsächlich nur eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die rechtlichen Auseinandersetzungen im Rahmen der Konzessionsvergabe nach § 46 EnWG erneut aufflammen werden.

Herten-KochDie Autorin Dr. Rut Herten-Koch ist Partnerin der Sozietät SammlerUsinger. Sie berät sowohl zu Fragen des Vergabe- als auch des öffentlichen Bau- und des Umweltrechts. Ihr besonderes Interesse gilt den Schnittmengen dieser Rechtsgebiete sowie den Berührungspunkten zu dem in der Sozietät ebenfalls stark vertretenen Energierecht. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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