„Fairer Wettbewerb, darum geht es!“ – Im Gespräch mit Hans-Christian Ströbele zum Korruptionsregister-Gesetz von Bündnis 90/Die Grünen
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Korruptionsregister-Gesetz)“ eingebracht. Öffentliche Auftraggeber von Bund, Ländern und Kommunen sollen nach dem Willen der Fraktion Auffälligkeiten an das Register melden sowie eine etwaige Notierung von Bietern bei ihren Vergabeverfahren erfragen. Marco Junk (Vergabeblog) sprach mit dem Initiator des Entwurfs, Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, u.a. Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestags und seit 1969 Rechtsanwalt in Berlin, über Hintergründe und Zielsetzung, die Kritik am Gesetzentwurf und darüber, dass das Vergaberecht nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist.
Junk: Schon 2005 wurde unter der rot-grünen Bundesregierung ein Korruptionsregister-Gesetz vom Bundestag verabschiedet, aufgrund der vorgezogenen Neuwahl des Bundestags trat es aber nicht mehr in Kraft. Bedarf es nun wirklich eines zweiten Anlaufs, angesichts inzwischen zahlreicher solcher Register auf Landesebene?
Ströbele: Das damalige Gesetz war mit heißer Nadel gestrickt. Man hätte wohl einiges verbessern müssen. Jedenfalls reichen Register auf Landesebene schon deshalb nicht aus, weil diese den Bund als einen der größten öffentlichen Auftraggeber nicht erfassen. Zudem haben nicht alle Länder ein Register und in den existierenden wird die Eintragung an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft. Vor allem kann heute etwa ein Bestecher, der in einem Land registriert ist, von allen anderen Bundesländern und vom Bund weiterhin öffentliche Aufträge erhalten, einfach weil die nichts von seinem Registereintrag erfahren. Daher ist ein zentrales Register mit einheitlichen Kriterien dringend nötig.
Junk: Dem Vernehmen nach finden sich in den Landesregistern – mit Ausnahme von Berlin – nur sehr wenige Einträge…
Ströbele: Das muss sich ändern! Deshalb sieht unser Entwurf auch eine Meldepflicht für alle öffentlichen Auftraggeber vor, wenn diese von relevanten Verstößen im Sinne des Gesetzes erfahren.
Junk: Einer der Hauptkritikpunkte an Ihrem Entwurf ist, dass für eine Eintragung eine rechtskräftige Verurteilung gerade keine Voraussetzung ist, so z.B. bei Beendigung eines Ermittlungsverfahrens durch Einstellung nach § 153a StPO gegen Weisungen oder Auflagen.
Ströbele: Strafverfahren wegen Korruptionsdelikten dauern regelmäßig lange, vier bis fünf Jahre bis zur Rechtskraft. So lange können wir doch nicht warten und die öffentlichen Auftraggeber ohne Information guten Glaubens Aufträge vergeben lassen ohne Rücksicht darauf, dass Auftragnehmer bereits wegen Korruption aufgefallen sind. Wir wollen ja, dass Vergabestellen möglichst früh gewarnt sind. Und die Unschuldsvermutung gilt schließlich nur im strafrechtlichen Bereich. Als Strafverteidiger weiß ich: Niemand zahlt eine hohe Geldbuße zur Verfahrenseinstellung, wenn an dem Vorwurf gar nichts dran ist.
Junk: Ist der Begriff „Korruptionsregister“ nicht irreführend, schließlich ist ein enorm weiter Katalog von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten erfasst, wie z.B. Verstöße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder Steuerhinterziehung – also weit mehr als Korruption?
Ströbele: Daher heißt unser Gesetzentwurfs auch „Register über unzuverlässige Unternehmen“; Korruptionsregister ist die eingeführte Kurzbezeichnung. Denn dass etwa die von Ihnen genannten Delikte wirtschaftlich ähnlich schädlich wie Korruption sind, das erkennen auch Teile der Wirtschaft und die Gewerkschaften durchaus. Denken Sie nur an die Schwarzarbeit. Mit unserem Gesetz wollen wir ja nicht die Wirtschaft knebeln, sondern gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Bietern um öffentliche Aufträge sicherstellen. Fairer Wettbewerb, darum geht es. Und darum, Korruption zu bekämpfen, um Staat und Steuerzahler vor Schaden zu schützen.
Junk: § 6 Abs. 4 des Gesetzentwurfs sieht vor, dass der öffentliche Auftraggeber selbstständig darüber entscheidet, ob bei Vorliegen einer Eintragung das Unternehmen ausgeschlossen wird. Wird er das auch tun oder ist nicht zu befürchten, dass er sich das Leben einfach macht: Eintrag gleich Ausschluss?
Ströbele: Was der öffentliche Auftraggeber aus der Information macht, ist seine Sache. Das muss er letztlich vor Parlamenten und Bevölkerung verantworten. Er soll aber umfassend informiert sein und sich nicht rausreden können, er habe nichts von einer Korruptionsverstrickung gewusst. Das betroffene Unternehmen sich ja aufgrund der Information vor dem Eintrag dagegen zur Wehr setzen: Es erhält die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Junk: Ausführungen zu möglichen Rechtsmitteln gegen die Eintragung enthält der Gesetzentwurf aber nicht…
Ströbele: Weil das nicht nötig war. Es gelten die allgemeinen gesetzlichen Regeln. Gegen die Meldung an das Register und dortige Eintragung kann eine einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts erwirkt werden. Gegen Auftragssperren ist der Zivilrechtsweg eröffnet. Im Übrigen: Hinsichtlich der Höhe des Auftragsvolumens von 25.000 EUR, ab der unser Entwurf eine Nachfragepflicht beim Korruptionsregister vorsieht, sind wir Gegen-Argumenten zugänglich. Die Länderregelungen etwa in Bremen oder Berlin setzen weit niedriger an. Vor Kleinstaufträgen soll natürlich nicht angefragt werden müssen.
Junk: Die Regelspeicherdauer im Register beträgt drei Jahre, eine Löschung erfolgt frühestens sechs Monate nach der letzten Eintragung. Droht nicht u.U. solchen eingetragenen Unternehmen, die ausschließlich vom öffentlichen Markt leben, die Insolvenz?
Ströbele: Natürlich kann das im Einzelfall passieren. Wobei das Unternehmen nach unserem Entwurf mit „geeigneten personellen und organisatorischen Maßnahmen“ zur Selbstreinigung den Registereintrag selbst rasch beseitigen kann. Aber auch diesbezüglich sind wir nach dem Ergebnis der Anhörung im Bundestag durchaus bereit, über die Länge der Fristen nochmal zu reden. Im Übrigen kann das Unternehmen bereits vor der Eintragung geltend machen, dass es bereits Konsequenzen gezogen hat, so dass es gar nicht erst zur Eintragung kommt. Bei entsprechend großen Firmen soll natürlich nicht die ganze Firma durch eine Eintragung, die auf nur einen Teilbereich des Unternehmens zurück zu führen ist, betroffen sein. Das Problem haben wir auch gesehen, daher soll sich die Eintragung nur auf diesen Teil der Firma beschränken.
Junk: Bei Ein-Mann-Unternehmen könnte es mit den geeigneten personellen Maßnahmen aber schwierig werden..
Ströbele: Die Eintragung soll ja Konsequenzen haben können! Wir schlagen das Gesetz ja nicht vor, damit Korruption ohne Folgen bleibt. Schließlich ist nach schon geltendem Recht unzuverlässigen Unternehmen sogar ihr Gewerbe zu untersagen und sie sind zwingend von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen! Was wir Grüne nun zusätzlich vorschlagen, ist ja nur eine wirksamere Sammlung und Gewinnung von Informationen. Solche Gesetzentwürfe haben wir seit 2002 in jeder Legislaturperiode eingebracht. Die meisten Länder haben solche Rechtsvorschriften und niemand behauptet, das sei nicht nötig.
Junk: Kommen wir zum Vergaberecht. Wenn der öffentliche Auftraggeber seiner Abfragepflicht nicht nachkommt, ist dann ein Nachprüfungsverfahren durch einen konkurrierenden Bieter denkbar?
Ströbele: Der müsste gemäß § 107 Abs. 2 GWB darlegen, dass ihm hierdurch unmittelbar Schaden entstand oder droht. Unserem Entwurf zufolge jedoch bleibt der öffentliche Auftraggeber nach seiner Abfrage im Register frei, aufgrund dieser Erkenntnisse Bieter auszuschließen oder nicht. Insofern wäre eine unterlassene Registeranfrage noch kein Schaden für Wettbewerber und kein Anlass für ein Nachprüfungsverfahren. Das wollten wir auch nicht regeln.
Junk: Im Sinne einer restriktiven Gesetzesanwendung könnte man abweichend zum jetzigen Entwurf in § 6 Abs. 1 regeln, dass nur für das zu bezuschlagende Unternehmen die Abfrage erfolgt, nicht aber für alle Bieter.
Ströbele: Eigentlich eine gute Idee zur Aufwandsminderung. Doch wenn die Vergabestelle erst durch späte Anfrage vom Registereintrag des ausgewählten Unternehmen erfahren, besteht die Gefahr, dass die Vergabestelle an einer Auswahl, die sie etwa wegen günstiger Kosten bereits getroffen hat, festhält und die – eigentlich vorliegende – Unzuverlässigkeit des fraglichen Bieters gleichwohl verneint. Wir wollen wirklich etwas effektiv unternehmen gegen Korruption. Aus meiner Arbeit im CDU-Spenden-Untersuchungsausschuss weiß ich, wie bitter notwendig dies auch in Deutschland ist. Und bei Reisen als Abgeordneter in Länder Afrikas habe ich zu hören bekommen, wenn wir dort wirksamere Bekämpfung von Korruption und good governance angemahnt haben, was wollt ihr Deutsche uns Vorschriften machen? Ihr habt doch seit 10 Jahren die UN-Konvention gegen Korruption aus 2003 nicht ratifiziert und die Abgeordnetenbestechung nicht unter Strafe gestellt wie darin gefordert und weltweit schon üblich. Dieser Ruf schadet auch deutschen Unternehmen im Ausland massiv.
Junk: Und dass ein Wettbewerber zwar nicht ins Register hineinschauen, wohl aber mögliche eintragungsrelevante Umstände dort melden darf, beflügelt das nicht ein Denunziantentum?
Ströbele: Nein. Dass Korruption gemeldet wird, ist von uns ausdrücklich gewollt. Mit einem anderen Gesetzentwurf wollen wir sogar Mitarbeiter wirksam schützen, die Korruption und innerbetriebliche Missstände nach Außen melden, sogenannte Whistleblower, wenn sie im Betrieb mit ihrer Anzeige nicht durchgedrungen sind. Das finden wir notwendig und richtig. Denken Sie nur an die große Spendenaffäre der CDU, die anders nie heraus gekommen wäre.
Denunziantentum befürchte ich nicht, denn wer Falsches melden würde, würde sich ja selbst strafbar machen wegen übler Nachrede usw. .
Junk: Abschließend noch Ihre grundsätzliche Bewertung des geltenden Vergaberechts?
Ströbele: Das ohnehin verästelte deutsche Vergaberecht wird bald nochmals geändert und angepasst werden müssen entsprechend den drei EU-Richtlinien, über die Kommission, Rat und Europaparlament gerade verhandeln und die im September verabschiedet werden sollen. Mit den Registerregelungen in diesen Entwürfen ist übrigens unser Vorschlag vereinbar.
In der Bevölkerung fehlt häufig das Verständnis für das komplizierte Vergaberecht, zum Teil übertreibt man es damit auch. Vielmehr sollte die Bürgerbeteiligung ausgebaut werden. Das kann viel Arbeit und Geld Sparen. Um ein aktuelles Beispiel aus meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg zu nennen: Dort muss der Landwehrkanal saniert werden, weshalb zahlreiche Bäume entlang des Kanals gefällt werden sollten.
Die Bürgerinitiative „Rettet die Bäume am Landwehrkanal“, die ich unterstütze, erreichte in einem Mediationsverfahren zwischen Anwohnern, Bauministerium, Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin, Bezirksamt, Naturschützern und Reedereien, dass die Bäume als Teil der Uferbefestigung einbezogen und erhalten werden. Zur Umsetzung dessen konnten daher ganz andere Aufträge vergeben werden, und die ursprüngliche Bauplanung wurde sogar um rund die Hälfte billiger. Bürger und Bürgerinnen sollten auch bei anderen öffentlichen Großprojekten einbezogen werden. Wenn die Bürger mitbeteiligt sind, macht man sich gezwungenermaßen mehr Gedanken.
Vielen Dank für das Gespräch.