Verspätete Beiladung: Offensichtlicher Verstoß gegen rechtliches Gehör (OLG München, Beschluss v. 23.01.2013 – Verg 33 /12)
Eine Vergabekammer darf nicht von sich aus auf eine mündliche Verhandlung verzichten. Verstößt sie gegen § 112 Abs. 1 S. 1 GWB, ist die Vergabekammerentscheidung aufzuheben. Ebenso muss eine Vergabekammerentscheidung aufgehoben werden, wenn die Beiladung so spät erfolgte, dass die Beigeladene offensichtlich nicht mehr sich inhaltlich zur Sache äußern bzw. Einfluss auf die Entscheidung der Vergabekammer nehmen konnte (OLG München, Beschluss v. 23.01.2013 – Verg 33 /12).
Sachverhalt
In einem europaweiten offenen Verfahren teilte der Antragsgegner der Beschwerdegegnerin gem. § 101 a GWB mit, dass ihr Angebot auszuschließen sei und dass beabsichtigt ist, den Zuschlag an die Beigeladene zu erteilen. Nach erfolgloser Rüge legte die Beschwerdegegnerin am 21.09.2012 Nachprüfungsantrag ein.
Die Vergabekammer teilte dem Antragegner am 15.11.2012 in einem formlosen Schreiben mit, dass man zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der Nachprüfungsantrag als zulässig und begründet einzustufen sei. Die Vergabekammer teilte außerdem mit, dass sich an dem Sachverhalt voraussichtlich auch aufgrund einer mündlichen Verhandlung nichts ändern werde. Der Antragsgegner wurde gebeten bis zum 23.11.2012 mitzuteilen, ob die Neubewertung der Angebote durch den Antragsgegner ohne eine entsprechende Beschlussfassung der Kammer erfolgen könne.
Mit Beschluss vom 16.11.2012 wurde die Beigeladene beigeladen. Eine Frist zur Stellungnahme wurde seitens der Vergabekammer nicht gesetzt. Mit Schriftsatz vom 22.11.2012 äußerte sich die Beigeladene zur Sache, mit dem ausdrücklichen Vorbehalt weiteren Vortrags nach gründlicherer Einarbeitung in die Materie. Insbesondere wurde aber ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gerügt, da eine Beiladung erst erfolgte, nachdem die Vergabekammer offensichtlich bereits eine Entscheidung gefällt hatte.
Mit Beschluss vom 26.11.2012 entschied die Vergabekammer zugunsten der Beschwerdegegnerin, dass die eingegangenen Angebote nochmals gewertet werden müssten. Die Begründung ist in weiten Teilen wortgleich mit dem Schreiben vom 15.11.2012. Der Schriftsatz der Beigeladenen blieb im Beschluss der Vergabekammer vollkommen unerwähnt.
Entscheidung
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss der Vergabekammer war erfolgreich. Die Vergabekammer hat zum einen § 112 Abs. 1 S. 1 GWB missachtet, in dem sie auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hat, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Weder war der Nachprüfungsantrag unzulässig noch offensichtlich unbegründet noch haben Antragsgegner und Beigeladene einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Zum anderen hat die Vergabekammer den Anspruch der Beigeladenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, da die Beigeladene zu spät zum Verfahren beigeladen wurde und sich im Beschluss der Vergabekammer keinerlei Anhalt für eine inhaltliche Befassung mit ihrem Vorbringen findet.
Interessant ist die Konsequenz dieser Verstöße: Obwohl nach Aufhebung der Vergabekammerentscheidung grundsätzlich eine Zurückweisung an die Vergabekammer erfolgt, hat hier der Senat in Hinblick auf das Gebot der Verfahrensbeschleunigung von einer Zurückweisung abgesehen und selber zur Sache entschieden.
Frei nach dem Motto, es gibt Sachen, die gibt es nicht! Man kann nur hoffen, dass es sich bei dieser Vergabekammerentscheidung um einen „Ausrutscher“ gehandelt hat. Wahrscheinlich wollte die Vergabekammer sehr innovativ und unbürokratisch vorgehen, und vielleicht sogar das Verfahren eher beschleunigen als aufhalten. Vielleicht wollte sie aber auch nur eine mündliche Verhandlung und einen Beschluss sparen und sich damit selbst entlasten. Jedenfalls ist der Schuss gründlich nach hinten losgegangen!
Es ist sehr zu begrüßen, dass der Senat hier zur Sache entschieden hat, da ansonsten das Vergabeverfahren durch das weitere Nachprüfungsverfahren (sowie der sicher mit großer Wahrscheinlichkeit anschließenden Sofortigen Beschwerde) bis auf weiteres unterbrochen gewesen wäre.
Die Autorin Aline Fritz studierte Rechtswissenschaften in Berlin und Paris (Diplôme Supérieur de l´Université, Paris II, Panthéon-Assas). Sie ist seit 2001 als Rechtsanwältin zugelassen und seit 2002 bei FPS tätig. Vor ihrer Tätigkeit bei FPS war Frau Fritz Leiterin der Geschäftsstelle des forum vergabe e.V. beim BDI in Berlin.