Stromkonzessionen: Treu und Glauben bestimmen das Vergabeverfahren
1. Bei der Vergabe von Stromkonzessionen haben die Bieter einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf diskriminierungsfreie und sachliche gerechtfertigte Durchführung des Ausschreibungsverfahrens.
2. Der Bieter muss im Ausschreibungsverfahren erkannte Rechtsverstöße unverzüglich rügen.
3. Gelangt ein Bieter auf nicht offiziellem Wege an ein Gutachten, auf welches er seine Rüge stützt, ist zweifelhaft, ob er als zuverlässiger Verhandlungs- und Vertragspartner eines langfristigen Konzessionsvertrages in Betracht kommt.
LG Köln, Urteil vom 07.11.2012 – 90 O 59/12,
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 823 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; GWB § 97, 107 Abs. 3; EnWG §§ 1, 46 Abs. 3; ZPO § 935
Sachverhalt
Der Sachverhalt ist schnell geschildert: Eine Kommune führt ein Interessenbekundungsverfahren zur Vergabe einer Stromkonzession durch. Nach Bekanntmachung des Ausschreibungsverfahrens und Eingang mehrerer Interessenbekundungen legt sie die Bewertungsmatrix mit ihren Gewichtungen, sowie die Einzelheiten eines Muster‑Konzessionsvertrages fest. Anschließend werden alle Interessenten aufgefordert, ein indikatives Angebot einzureichen.
Unter den Interessenten ist auch die bisherige Inhaberin der Stromkonzession, mit welcher Verhandlungen über deren indikatives Angebot geführt werden. Nach den Verhandlungen legt diese ein verbindliches Angebot vor. Ein von der Kommune eingeholtes externes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass ihr Angebot nicht in allen Bewertungskategorien die höchstzulässige Punktzahl erhalten kann. Die Stromkonzession soll daraufhin einem Wettbewerber erteilt werden. Hiergegen beantragt die Konzessionsinhaberin den Erlass einer einstweiligen Verfügung, welche sie zunächst auch erhält. Zur Begründung bezieht sich die Konzessionsinhaberin im Wesentlichen auf das von der Kommune eingeholte Gutachten, welches sie als unzutreffend kritisiert.
Entscheidung
Im Hauptsacheverfahren entscheidet das Landgericht dann allerdings gegen die Verfügungsklägerin (bisherige Konzessionsinhaberin) und hebt die einstweilige Verfügung wieder auf. Mit seiner Entscheidung begibt sich das Landgericht teilweise auf vergaberechtliches Neuland. Richtigerweise geht es davon aus, dass die vergaberechtlichen Vorschriften nicht unmittelbar anwendbar sind. Bemerkenswert ist dagegen die Übertragung vergaberechtlicher Grundsätze auf das Zivilrecht. Nach Auffassung des Landgerichts ergibt sich nämlich aus dem in der Ausschreibung bestehenden vorvertraglichen Schuldverhältnis und dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass die Konzessionsinhaberin solche Mängel nicht geltend machen kann, die sie bereits zu Beginn oder im Laufe des Verfahrens hätte erkennen und rügen können. Aus diesem Grunde ist die Konzessionsinhaberin mit den Einwendungen gegen die Bewertungsmatrix ausgeschlossen. Auch ansonsten kann das Landgericht keine sachfremden Erwägungen erkennen, die der Entscheidung der Gemeinde über die Zuschlagserteilung zugrunde lagen.
Zusätzlich zu den materiell rechtlichen Ausführungen äußert das Landgericht Zweifel daran, ob es sich bei der Konzessionsnehmerin um eine zuverlässige Verhandlungs- und Vertragspartnerin für einen langfristigen Vertrag handelt. Denn die Konzessionsnehmerin hat im Verfahren nicht aufgeklärt, wie sie in den Besitz des internen Gutachtens der Kommune gelangt ist. Nach Auffassung des Landgericht stellt dieses das rechtliche Interesse der Konzessionsnehmerin an dem Erlass einer einstweiligen Verfügung in Frage, „selbst wenn die Vergabeentscheidung (…) unter Mängeln leiden sollte“.
Praxishinweis
Für die Praxis, insbesondere die Prozessstrategie kann diese Entscheidung weitreichende Folgen haben. Denn die erstaunlich weitgehende Auffassung des Landgerichts über die häufig zu beobachtende Erkenntnisgewinnung durch wohlgesonnene Verwaltungsmitarbeiter oder externe Ingenieurbüros, kann sich nach dieser Auffassung nachteilig auf die Eignung des Vertragspartners auswirken. Und dann wohl nicht nur in dem streitgegenständlichen Verfahren, sondern möglicherweise auch in künftigen Vergabe- / Interessenbekundungsverfahren.
Die Rügepflicht einer nicht dem Vergaberecht unterliegenden Konzessionsvergabe hat das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 04.02.2013 – Verg 31/12) ebenso beurteilt.
Noch ein anderer Aspekt erscheint erwähnenswert. Das Landgericht nicht geprüft, ob sich ein Anspruch der Bieter auf diskriminierungsfreie und sachliche gerechtfertigte Durchführung des Ausschreibungsverfahrens aus dem europäischen Primärrecht ergeben kann. Bejaht man diese Binnenmarktrelevanz, ist eine bloße Bekanntmachung der zu vergebenen Konzession im elektronischen und/oder schriftlichen Bundesanzeiger – wie hier geschehen – nicht ausreichend. Zwar sieht § 46 Abs. 3 EnWG die Verpflichtung zur europaweiten Bekanntmachung erst ab einer Zahl von mehr als 100 000 an das Versorgungsnetz angeschlossenen Kunden vor. Diese starre Grenze dürfte aber der zwingenden Anwendung des europäischen Primärrechts bei Vergaben, an welchen ein grenzüberschreitendes Interesse bestehen kann (Binnenmarktrelevanz), nicht gerecht werden. Dann aber stünde die Wirksamkeit des Vertrages insgesamt auf dem Prüfstand. Der Kartellsenat des OLG Düsseldorf hat in einem anderen Fall, bei fehlender Bekanntmachung nach § 46 Abs. 3 EnWG (OLG Düsseldorf, 12. März 2008, VI-2V Kart 18/07) entschieden, dass der gleichwohl abgeschlossene Vertrag nichtig ist. Wenn diese Rechtsfolge bei einem Verstoß gegen die nationale Bekanntmachungspflicht eintritt, ist durchaus überlegenswert, ob diese Rechtsfolge nicht auch bei Einhaltung der nationalen, aber Verstoß gegen die europaweite Bekanntmachungspflicht eintritt.