Hersteller entscheidet über Teilnahme! (VK Südbayern, Beschluss v. 05.06.2013 – Z3-3-3194-1-12-03/13)

EntscheidungKann ein Hersteller den Wettbewerb beeinflussen? Dies hatte aktuell die Vergabekammer Südbayern (Beschluss v. 05.06.2013, Z3-3-3194-1-12-03/13) zu entscheiden. Die Vergabestelle verlangte in einer Ausschreibung im Bereich der Funktechnologie die Kompatibilität mit den bisher eingesetzten Produkten – und damit zwingend entsprechende lizenzrechtliche Vereinbarungen mit dem Hersteller der bereits vorhandenen Produkte, der allerdings nicht mit allen Bietern kooperieren wollte.

Der Fall

Das Bayerische Landeskriminalamt schrieb EU weit eine Rahmenvereinbarung über Funkbesprechungstechnik für das BOS Digitalfunknetz im offenen Verfahren nach VOL/A-EG aus. In den Vergabeunterlagen wurde die Kompatibilität der zu beschaffenden Technik mit den bereits vorhandenen und im Einsatz befindlichen Endgeräten eines bestimmten Herstellers gefordert, von dem die Bieter Lizenzen benötigen, um das Angebot abgeben zu können. Ebenso wurde als Ausschlusskriterium (das später aufgegeben wurde) vorgegeben, dass der Bieter schriftlich belegen muss, vom Hersteller über die komplette Vertragslaufzeit von vier Jahren unverzüglich über Änderungen der Schnittstellen informiert zu werden und dieser ihm Zugang zu den geänderten Spezifikationen gewährt, um die Software anpassen zu können.

Der Hersteller verweigerte einem Bieter die benötigten lizenzrechtlichen Vereinbarungen und das Informationsschreiben mit dem Argument, dies ausschließlich ausgewählten Partnern zur Verfügung zu stellen und aufgrund der Konkurrenzsituation kein wirtschaftliches Interesse an einer Vereinbarung mit ihm zu haben.

Der Bieter rügte einen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz, das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung und gegen das Gebot der Produktneutralität vor. Denn da die Zuschlagsfähigkeit des Angebots zwingend von der Mitwirkung des Herstellers abhängig sei, könne dieser durch schlichter Weigerung zur Kooperation den Ausschluss eines Bieters verursachen und den Wettbewerb beeinflussen. Nach erfolgloser Rüge stellt der Bieter Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer Südbayern.

Die Entscheidung

Die VK Südbayern erkennt durchaus eine massive Wettbewerbsbeschränkung und prüft, ob ein Verstoß gegen den in § 97 Abs.1, 2 GWB, § 2 Abs.1 EG VOL/A normierten Wettbewerbsgrundsatz vorliegt.

Wettbewerbsbeschränkung versus Leistungsbestimmung

Jeder Bieter musste vorliegend unstreitig für ein erfolgreiches Angebot zwingend lizenzrechtliche Vereinbarungen mit dem Hersteller treffen und benötigte ebenso (vor Aufgabe des Kriteriums) eine schriftliche Erklärung des Herstellers, über künftige Änderungen der Software informiert zu werden, so dass die Zuschlagsfähigkeit eines Angebots zwingend von der Mitwirkung des Herstellers abhing.

Diese Vorgabe sei – so die Vergabekammer – durch das Leistungsbestimmungsrecht der Vergabestelle und die dahinter stehenden gewichtigen öffentlichen Interessen gerechtfertigt.

Die zwingend erforderliche technische und operative Kompatibilität sowie das reibungslose Funktionieren der vorhandenen technischen Komponenten müssen im Einsatz bei der ausgeschriebenen Funktechnologie im hochsensiblen Bereich gewährleistet sein. Ein durch Inkompatibilitäten verursachter Ausfall, der diese Kommunikation über einen längeren Zeitraum unterbricht, könne wegen des geplanten Einsatzes und der Sicherheitsrelevanz für den vorliegenden sensiblen Bereich nicht akzeptiert werden. Technische Erwägungen wie die Vermeidung von Inkompatibilitäten und Fehlfunktionen zur Anbindung an bestehende technische Systeme, seien in der Rechtsprechung als sachgerechte und auftragsbezogene sowie diskriminierungsfreie Gründe allgemein anerkannt – auch wenn dadurch einzelne Unternehmen nicht zu einer Angebotsabgabe in der Lage sein sollten.

Eine willkürliche Beschränkung des Wettbewerbs kann die Vergabekammer nicht erkennen:

„Es ist vor dem Hintergrund des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers aber nicht erforderlich, dass er versucht, die für die Nutzung der proprietären Merkmale erforderlichen Lizenzen beizustellen, bzw. mit dem Lizenzrechtsinhaber aufgrund der bestehenden vertraglichen Beziehung bezüglich der Lieferung von … eine Vereinbarung trifft, dass die erforderlichen Lizenzen an denjenigen Bieter, der den Zuschlag erhält, verkauft werden. Vor diesem Hintergrund mag das von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz geforderte Vorgehen, bei der Beschaffung einer Technologie, die an ein bereits vorhandenes System anzuschließen ist, grundsätzlich eine Anbindung über eine offene Schnittschnelle zu bevorzugen und nur bei Vorliegen von objektiven, sachlichen und entsprechend nachvollziehbar dokumentierten Gründen im Ausnahmefall eine Anbindung über eine proprietäre Schnittstelle bzw. eine offene Schnittstelle mit proprietären Merkmalen zu wählen, in vielen Fällen sinnvoll und wünschenswert sein. Mit dem von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Verständnis des Leistungs-bestimmungsrechts des Auftraggebers ist ein solcher Grundsatz indes nicht zu vereinbaren. Vielmehr ist eine aus nicht sachfremden Gründen vom Auftraggeber getroffene Entscheidung, dass einzig der Anschluss über eine proprietäre Schnittstelle bzw. eine offene Schnittstelle mit proprietären Merkmalen seinem Beschaffungsinteresse gerecht wird, im Regelfall zu akzeptieren. In der vergaberechtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass im Regelfall keine Pflicht der Vergabestelle besteht, unterschiedliche Wettbewerbspositionen der Bieter am Markt bzw. bestehende oder mögliche Wettbewerbsvor- und -nachteile potentieller Bieter durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen „auszugleichen“. Die Verpflichtung der Vergabestelle, den Auftrag in einem fairen Wettbewerb nach §§ 97 ff. GWB zu vergeben, beinhaltet damit nicht die Schaffung identischer Ausgangsbedingungen.“

Keine Frage der Produktneutralität

Dass bei Verweigerung des Herstellers der Wettbewerb „mindestens so intensiv wie bei einer produktbezogenen Ausschreibung“ beschränkt wird, sieht auch die Vergabekammer. Dies läge jedoch darin begründet, dass die Bieter für ihre angebotene technische Lösung den vorgesehenen Nachweis erbringen müssen, alle erforderlichen Nutzungsrechte und Lizenzen zu besitzen. Das sei aber keine Frage der Produktneutralität, da kein bestimmtes Produkt, sondern eine Vereinbarung mit dem Hersteller gefordert wird. Und somit eine Frage, ob ein Verstoß gegen den in § 97 Abs. 1, 2 GWB, § 2 EG Abs. 1 Satz 1 VOL/A normierten Wettbewerbsgrundsatz vorliegt (die vorliegend verneint wird).

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Die Entscheidung spiegelt die Tendenz der Rechtsprechung wieder, im Rahmen der Beschaffungshoheit der Vergabestelle eine sehr große Entscheidungsfreiheit zu überlassen (zuletzt OLG Düsseldorf für den Bereich Softwarebeschaffung bei Hochschulen, Beschluss vom 22.05.2013, Verg 16/12). Die Rechtfertigung über die Schnittstellenproblematik mag für den vorliegenden sensiblen Sicherheitsbereich zutreffen, allerdings wird dies im IT Bereich nur allzu gerne als Begründung für eine produktscharfe Ausschreibung oder als Begründung für Wettbewerbsbeschränkungen herangezogen. Das Argument, dass vorliegend der Hersteller als „außenstehender Dritter“ entscheidet, ob er dem Bieter die Lizenzen einräumt, überzeugt nicht, da die Vorgabe in den Vergabeunterlagen von der Vergabestelle kam und diese durchaus im Vorfeld der Beschaffung die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft des Herstellers hätte abfragen können.