VK Detmold zur Tariftreuepflicht im Öffentlichen Personennahverkehr (Beschluss v. 08.08.2013 – VK.2-07/13)
Durch Beschluss vom 08.08.2013 (Az: VK.2-07/13) hat die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Detmold (VK Detmold) den Nachprüfungsantrag eines Busverkehrsunternehmens zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist die erste Entscheidung einer Vergabenachprüfungsinstanz, die sich mit der Zulässigkeit der besonderen Tariftreuepflicht für den öffentlichen Personennahverkehr nach dem Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG-NRW) auseinandersetzt. Dieses Nachprüfungsverfahren ist Teil einer scharf geführten Auseinandersetzung zwischen dem privaten Omnibusgewerbe und der aktuellen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Parallel zum Vergabenachprüfungsverfahren klagen Vertreter des privaten Omnibusgewerbes vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf gegen die Landesregierung NRW mit dem Ziel, dass auch der Tarifvertrag für das private Omnibusgewerbe (TV-NWO) als repräsentativ im Sinne des § 4 Abs. 2 TVgG-NRW anerkannt wird. Aufgrund des im Nachprüfungsverfahren geltenden Beschleunigungsgebots, erhofft sich das private Omnibusgewerbe im Unterschied zur Verwaltungsgerichtsbarkeit eine zeitnahe Klärung.
Hintergrund
Der Antragsgegner ist ein ostwestfälischer Zweckverband, dem zwei Kreise angehören. Der Antragsgegner ist Aufgabenträger für die Planung, Organisation und Ausgestaltung des öffentlichen Personenverkehrs in seinem Zuständigkeitsgebiet nach § 3 des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr in Nordrhein-Westfalen (ÖPNVG-NRW).
Im Mai 2013 machte der Antragsgegner die Ausschreibung von Busverkehrsleistungen in einem kleineren Linienbündel europaweit bekannt. Die Bekanntmachung sowie die entsprechenden Vergabeunterlagen sahen vor, dass die Bieter sich mit Angebotsabgabe dazu verpflichten, bei der Ausführung der Leistung mindestens das in NRW für die Leistung im Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) vorgesehene Entgelt nach den tarifvertraglich festgelegten Modalitäten zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen. Diese Vorgabe rügte die Antragstellerin als vergaberechtswidrig. Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin mit, dass er der Rüge nicht abhelfen könne. Daraufhin stellte die Antragstellerin bei der Vergabekammer einen Antrag auf Nachprüfung des Vergabeverfahrens. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass die Forderung nach Vorlage der genannten Verpflichtungserklärung rechtswidrig sei, weil der dieser Forderung zugrunde liegende § 1 der Verordnung zur Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs (RepTVVO) in Verbindung mit der entsprechenden Vorschrift verfassungswidrig sei. § 1 RepTVVO verstoße sowohl gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch gegen die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG). Des Weiteren verstoße das Vorgehen des Antragsgegners auch gegen den in § 97 Abs. 2 GWB verankerten vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Während des schwebenden Nachprüfungsverfahrens reichten die Antragstellerin und ein konkurrierendes Unternehmen Angebote ein. Der Antragsgegner musste das Angebot der Antragstellerin vom weiteren Wettbewerb ausschließen, da dieses erwartungsgemäß nicht die geforderte Verpflichtungserklärung enthielt. Im Unterschied hierzu enthielt das Angebot des Konkurrenten die erforderliche Verpflichtungserklärung. Folgerichtig schloss der Antragsgegner das Angebot der Antragstellerin aus und beabsichtigte, den Zuschlag auf das Angebot des Konkurrenten zu erteilen.
Entscheidung
Die Vergabekammer wies den Antrag wegen fehlender Antragsbefugnis als unzulässig zurück.
Nach Auffassung der Kammer gelang es der Antragstellerin bereits nicht, mit ihrem Nachprüfungsantrag eine Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften schlüssig vorzutragen. Dies folge bereits daraus, dass der Antragsgegner nach § 4 Abs. 2 TVgG-NRW nur an Unternehmen vergeben darf, die die geforderten Verpflichtungserklärungen abgeben. Die Forderung des Antragsgegners nach Vorlage der in der Bekanntmachung im Einzelnen beschriebenen Verpflichtungserklärungen erfolgte somit im Einklang mit den vergaberechtlichen Vorschriften.
Ferner merkte die Kammer an, dass auch die weiteren Rügepunkte zu keiner anderen Bewertung führten. Insbesondere könne dahinstehen, ob die Forderung nach Abgabe der Verpflichtungserklärungen tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung potentieller Bieter führt, da eine Benachteiligung nach § 97 Abs. 4 GWB dann zulässig sei, wenn sie aufgrund eines Bundes- oder Landesgesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet ist. Selbst wenn in der Forderung nach Abgabe der Erklärungen eine Benachteiligung einzelner Bieter zu sehen wäre, wäre diese durch das TVgG-NRW ausdrücklich zugelassen.
Schließlich weist die Kammer daraufhin, dass sich die Antragstellerin bei verständiger Würdigung ihres Vorbringens nicht gegen die von dem Antragsgegner erhobene Forderung nach Vorlage der Verpflichtungserklärungen, sondern gegen die Rechtmäßigkeit der dieser Forderung zugrunde liegenden Rechtsnormen richtet. In diesem Zusammenhang stellt die Kammer klar, dass sie keine Normverwerfungskompetenz besitzt. Daher habe sie von der Rechtsgültigkeit des § 1 ReptVVO und der entsprechenden Anlage auszugehen. Eine Überprüfung der Rechts- und Verfassungsmäßigkeit stehe ihr – da sie kein Gericht sei – nicht zu.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist mittlerweile sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf eingelegt worden. Im Unterschied zur Vergabekammer steht dem OLG Düsseldorf als ordentlichem Gericht eine Normverwerfungskompetenz für nachkonstitutionelle untergesetzliche Rechtsnormen zur. Hiermit ist der Weg für eine Rechts- und Verfassungsmäßigkeitsprüfung der RepTVVO am Maßstab des TVgG sowie an den grundgesetzlichen Vorgaben geebnet. Für Aufgabenträger im ÖPNV-Bereich bedeutet dies, dass vermutlich in den nächsten Monaten die Kontroverse um die Anwendbarkeit des TV-N NW bei Verkehrsausschreibungen geklärt wird.