Die Eignungsprüfung (Teil 2)

ParagraphIm ersten Teil dieses Beitrags hat unser Autor die Grundlagen der Eignung dargestellt. In diesem zweiten Teil der Serie befasst er sich mit der praxisrelevanten und umstrittenen Frage, ob und inwieweit fehlende Nachweise nachgefordert werden dürfen oder müssen. Weiterhin berichtet Rechtsanwalt Ortner von der Rechtsprechung, nach der die schlechte Erfahrung mit einem Bieter vom Auftraggeber bei der Angebotswertung berücksichtigt werden darf. Die neue Vergabeverordnung ermöglicht, Erfahrungen auf Zuschlagsebene zu prüfen, Anlass genug für eine kritische Stellungnahme.

Nachforderung von Erklärungen und Nachweisen

Ein Bieter, der in der Eile des Gefechts einmal eine Unterlage vergisst, war nach alter Rechtslage zwingend auszuschließen. Gesetzgeberischer Gedanke dabei war, dass jede Nachforderungsmöglichkeit diejenigen Bieter, die sämtliche Unterlagen pünktlich und vollständig eingereicht haben, diskriminieren würde. Andererseits führten Flüchtigkeitsfehler dann dazu, dass wegen der zwingenden Ausschlüsse nur noch wenige oder mal auch gar kein Angebot übrig blieb, was wiederum dem Wettbewerbsgrundsatz entgegensteht. In der VOB ist daher nunmehr vorgesehen, dass der Auftraggeber Erklärungen oder Nachweise, die fehlen, nachfordern muss. Diese sind dann spätestens 6 Kalendertage nach Aufforderung nachzureichen, § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. Jedenfalls nach Auffassung des OLG Düsseldorf im Beschluss vom 07.11.2012 – Verg 12/12 gilt die Nachforderungspflicht auch bei der VOF. In der VOL/A ist die Regelung anders. Dort können, müssen aber nicht, fehlende Erklärungen und Nachweise innerhalb einer angemessenen Frist vorgelegt werden. In der Praxis ist eine Frist von drei Arbeitstagen häufig anzutreffen und in aller Regel auch zulässig, wohingegen eine Nachfrist von mehr als 6 Kalendertagen auch bei der VOL/A in aller Regel unzulässig sein dürfte. Ebenfalls unzulässig dürfte sein, wenn der Auftraggeber von Anfang an in seine Vergabeunterlagen hineinschreibt, dass er keine Unterlagen nachfordern werde. Eine solche Regelung stellt in Anlehnung an das Verwaltungsrecht ein unzulässiges Ermessensnichtgebrauch dar. Denn wenn dem Auftraggeber vom Gesetz Ermessen eingeräumt wird, muss er dieses auch auf Grundlage eines Sachverhalts im Einzelfall ausüben und darf nicht von Anfang an („antizipiert“) auf die Ermessensausübung verzichten. In der Rechtsprechung ist diese Frage allerdings noch nicht entschieden. Eine Nachforderungspflicht dürfte auch bei VOL gegeben sein, wenn der Auftraggeber ohne Nachforderung keinen Wettbewerb mehr hätte. Ob er dann noch zwei oder drei Angebote zur Prüfung übrig haben sollte, darüber kann man wieder trefflich streiten.

Die Nachforderungspflicht (VOB) bzw. die Nachforderungsmöglichkeit (VOL) kommt jedoch wohl nur dann zum Tragen, wenn es sich um reine Formalfehler handelt. Durch die Nachforderung darf der Bieter das Angebot mithin nicht „nachbessern“ oder verändern, da andernfalls die Manipulationsgefahr zu hoch wäre und durch die Hintertür Verhandlungen geführt würden (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 15.03.2012 – Verg 2/12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2012 – VII-Verg 108/11 und VK Bund, Beschluss vom 14.12.2011 – VK 1-153/11).

VK Bund vom 14.12.2011 – VK 1-153/11:

„Wollte man es in einem solchen Fall dem betreffenden Bieter ermöglichen, „bessere“ Referenzen nachzureichen, käme dies einer inhaltlichen Nachbesserung seiner mit dem Angebot eingereichten Unterlagen gleich. Dies ist wie oben aufgezeigt vom Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 1 VOL/A-EG nicht gedeckt, der ausschließlich die formale Vollständigkeit der geforderten Belege betrifft. Demgegenüber ist die inhaltliche Bewertung der vorgelegten Unterlagen – soweit es wie hier um Eignungsnachweise geht – eine Frage der materiellen Eignungsprüfung (…). Auch § 7 Abs. 13 VOL/A-EG spricht nur von einer „Vervollständigung“ oder „Erläuterung“ der vorgelegten Eignungsnachweise, jedoch nicht davon, nachträglich eine inhaltliche Verbesserung der Belege zuzulassen.“

Das bedeutet, dass etwa eine fehlende Eigenerklärung zur Unzuverlässigkeit nachgefordert werden darf. Das gilt auch, sollte diese zwar eingereicht worden sein, aber die Unterschrift fehlen. Nicht nachgefordert werden dürfen indessen weitere Referenzen oder eine Nachbesserung bereits eingereichter Referenzen. Das gleiche gilt etwa auch für Umsatzzahlen.

Die Abgrenzung ist nicht immer leicht. So ist noch zu klären, ob der Fall, dass der Bieter die geforderte Unterlage gar nicht einreicht und der Fall, dass er zwar die Unterlage einreicht, diese aber unvollständig ist, gleich zu behandeln ist, also in beiden Fällen eine Nachreichung nicht möglich sein soll. Die VK Bund scheint hier zu differenzieren. Dem Verfahren lag zwar die VSVgV zu Grunde, die Überlegungen sind aber auf die VOL/A übertragbar.

VK Bund vom 21.08.2013 – VK 1-67/13:

„Eine [unzulässige, Anmk. Des Autors] Nachbesserung läge nur dann vor, wenn die ASt inhaltlich unzutreffende Angaben zu ihrer Eignung nachträglich korrigiert hätte. Davon zu unterscheiden ist jedoch der Fall, in dem eine geforderte Eignungsunterlage „nicht vorgelegt“ wurde i.S.d. § 22 Abs. 6 VSVgV (…).“

Deutsches VergabenetzwerkSchlechte Erfahrung mit einem Bieter

Der Auftraggeber darf – oder muss sogar – bei der Prüfung der Eignung auch die schlechte Erfahrung berücksichtigen, die er mit dem Bieter bereits an anderer vergleichbarer (Bau-) Stelle hatte (vgl. etwa OLG Düsseldorf, vom 25.07.2012 – VII-Verg 27/12; OLG München Beschluss vom 05.10.2012 – Verg 15/12). Er ist vor allem nicht verpflichtet, einen parallel laufenden Rechtsstreit abzuwarten, da dies den Beschleunigungsgrundsatz des Vergaberechts unterliefe.

So vor allem das OLG München, Beschluss vom 05.10.2012 – Verg 15/12:

„Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Vergabestelle ihrer Einschätzung ausschließlich Aspekte zugrunde legen darf, die der Bieter, dessen Ausschluss in Frage steht, vorbehaltlos zugesteht oder die sie im Nachprüfungsverfahren zur Überzeugung des Gerichts beweisen kann. So hat beispielsweise auch das Kammergericht Berlin Informationen für verwertbar gehalten, wenn die von der Vergabestelle eingeholte Referenz auf seriöse Quellen zurückgeht und keine bloßen Gerüchte wiedergibt und eine gewisse Erhärtung des Verdachts der Ungeeignetheit zulässt (KG Berlin vom 27.11.2008, 2 Verg 4/08 m.w.N.). Als ungenügend erachtet die Rechtsprechung dagegen ungeprüfte Gerüchte über das Geschäftsgebaren eines Bieters und selbst nicht verifizierte Warnungen vor deren Geschäftsgebaren (…). Der AG darf bei der Prüfung der Eignung Erfahrungen mit einbeziehen, die er selbst mit einem bestimmten Bieter in der Vergangenheit gemacht hat.“

Möchte die Vergabestelle einen Bieter wegen schlechter Erfahrung ausschließen, wird sie schlüssig darzulegen haben, welche Gründe gegen die Eignung des Bieters sprechen. Dann wird es wichtig sein, dass der Auftraggeber während der Vertragsbeziehung mit dem jetzigen Bieter sämtliche Pflichtverletzungen sorgfältig dokumentiert hat (Inhalt, genaues Datum, beteiligte Personen). Nicht ausreichend wäre der (diffuse) Hinweis: „Mit diesem Bieter ist immer alles schief gelaufen, der war doch immer unzuverlässig und unpünktlich und hat ganz schlechte Arbeit geleistet.“

Abgrenzung Eignungskriterien zu Zuschlagskriterien

Die Eignung darf im Rahmen von Zuschlagskriterien grundsätzlich nicht mehr abgefragt werden; es gilt der Grundsatz „kein Mehr an Eignung“ oder auch „Vermengungsverbot“, vgl. etwa EuGH, RS C-532/06, „Lianakis“ und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.01.2009 – Verg 59/08, „Machbarkeit der Leistung“.

In der Praxis gab es jedoch schon lange den Bedarf, die persönlichen Fähigkeiten und Erfahrungen des Dienstleisters, der konkret für die Leistung eingesetzt werden soll, neben dem Preis zu berücksichtigen, wenn die Fähigkeiten und Erfahrung die Qualität der Leistung verbessern würden. Dies war jedoch nicht möglich, so dass sich die Praxis damit behalf, die Fähigkeiten und Erfahrungen auf Eignungseben zu prüfen und sehr häufig auch zu bepunkten. Ein solches Bepunktungssystem auf Eignungsebene machte aber nur Sinn, wenn ein Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet war; im offenen Verfahren ist ein solches Bepunktungssystem unzulässig, da dann wieder der Grundsatz „kein Mehr an Eignung“ verletzt wird.

Die neue Vergaberichtlinie hat nun dieses Dilemma gelöst und erlaubt explizit unter bestimmten Umständen, die Erfahrung und Fähigkeiten auf Zuschlagsebene zu prüfen.Deutsches VergabenetzwerkDie neue Vergabeverordnung (VgV) nimmt diese Möglichkeit nun teilweise vorweg. Teilweise, da sie diese auf B-Dienstleistungen beschränkt (obwohl der EU-Gesetzgeber gerade diese nicht mehr in der neuen Richtlinie vorsieht) und maximal bis 25% Gewichtung erlaubt.

In der VgV heißt es nunmehr so, § 4 Abs. 2 Satz 2:

„Wenn im Fall des Satzes 1 Nummer 2 tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Organisation, die Qualifikation und die Erfahrung des bei der Durchführung des betreffenden Auftrags eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf die Qualität der Auftragsausführung haben können, können diese Kriterien bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots berücksichtigt werden. Bei der Bewertung dieser Kriterien können insbesondere der Erfolg und die Qualität bereits erbrachter Leistungen berücksichtigt werden. Die Gewichtung der Organisation, der Qualifikation und der Erfahrung des mit der Durchführung des betreffenden Auftrags betrauten Personals soll zusammen 25 Prozent der Gewichtung aller Zuschlagskriterien nicht überschreiten.“

Das bedeutet jedoch nicht, dass der Grundsatz „kein Mehr an Eignung“ nicht mehr gilt. Es geht hier nicht um eine „Hochzonung“ der Eignungskriterien oder um eine Ausnahme vom Vermengungsverbot. Die personelle Fähigkeit des Unternehmens kann und sollte weiterhin auf Eignungsebene „unternehmensbezogen“ – und damit abstrakt – geprüft werden. Hierzu kann sich der Auftraggeber auch bereits Lebensläufe o.ä. vorlegen lassen. Auf der Zuschlagsebene sind dann die Personen, die konkret für die Leistung eingesetzt werden sollen, zu prüfen und zu bewerten (bepunkten). Ein schönes Beispiel stellt die oft übersehene Entscheidung des EuG vom 17.10.2010, T-447/10 dar, obwohl diese nicht zu der Vergaberichtlinie, sondern zu der Financial Regulation der EU erging. Gleichwohl gilt auch dort der Grundsatz „Kein Mehr an Eignung“ und der EuG befasste sich mit der Abgrenzung zur Lianakis-Entscheidung des EuGH (liegt nicht auf Deutsch vor):

„The examination of the curricula vitae of the members of the proposed team that the Court of Justice carried out in the context of the award phase is provided for in point 5.4.1.1 of the tendering specifications. Under this point, one of the criteria examined in the context of the award phase is the skill, experience, organisation and training of the proposed team within the area covered by the respective lots. It is apparent from this point that the Court of Justice examined that criterion using in particular the 34 curricula vitae submitted. The analysis of the curricula vitae in this situation was different from the analysis which the Court of Justice had carried out in the context of the selection phase, since it did not merely examine whether the curricula vitae displayed the minimum characteristics required, but sought to evaluate the technical quality of the proposed team.“

Der große Nachteil an der neuen Regelung in der VgV ist meines Erachtens, dass diese sich auf B-Dienstleistungen beschränkt. Die in der Praxis so relevanten Leistungen von Architekten, Ingenieuren, IT-Beratern oder Wirtschaftsberatern, wo es besonders auf die persönliche Erfahrung ankommt, sind aber A-Dienstleistungen und fallen somit nicht unter die neue Regelung. Im Gegenteil erscheint es vor dem Hintergrund der Neuregelung seit dem 01.01.2014 schwerlich vertretbar, die vorgenannten Personalia auf Zuschlagsebene prüfen zu dürfen; vormals wäre dies mit der aktuellen Rechtsprechungsentwicklung noch gut vertretbar gewesen.