Unwirksamkeit eines nur national ausgeschriebenen Vertrags über nicht-prioritäre Dienstleistungen (OLG Saarbrücken, Beschluss v. 29.01.2014 -1 Verg 3/13)
Einerseits bei grenzüberschreitendem Interesse europaweite Ausschreibung erforderlich, andererseits Pflicht des Auftragnehmers, nationale Veröffentlichungsorgane zu prüfen.
Mit Beschluss vom 29.01.2014 (1 Verg 3/13) hat das OLG Saarbrücken klar gestellt, dass auch die zu Unrecht durchgeführte rein nationale Ausschreibung eines Auftrags über nachrangige (Sicherheits-)Dienstleistungen zur Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrags führen kann. Auf diese Unwirksamkeit können sich jedoch nur solche Unternehmen berufen, denen gerade infolge der unterlassenen europaweiten Ausschreibung ein Schaden entstanden ist.
§ 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB, § 107 Abs. 2 GWB, § 4 Abs. 2 Nr. 2 VgV
Sachverhalt
Gegenstand der Auseinandersetzungen ist ein Vertrag über die Erbringung von Sicherheitsdienstleistungen in Saarbrücken mit einem Volumen von rd. 3 Mio. Euro. Die entsprechende Ausschreibung wurde nur national im Amtsblatt des Saarlandes bekannt gemacht. Ein Unternehmen, das seinen Firmensitz im Ausland hat, gleichzeitig aber auch über ein in Saarbrücken ansässiges Büro Dienstleistungen erbringt und Korrespondenz abwickelt, rügte die fehlende europaweite Ausschreibung des Auftrags mit dem Argument, dass es sich bei den ausgeschriebenen Sicherheitsdienstleistungen zwar um nachrangige Dienstleistungen nach Anlage 1 Teil B der VgV handele, diese aber aufgrund europarechtlicher Transparenzgrundsätze dennoch europaweit auszuschreiben gewesen wären. Erst nach Erteilung des Zuschlags reichte das nicht beteiligte Unternehmen einen Nachprüfungsantrag ein. Dieser wurde von der Vergabekammer zurückgewiesen.
Die Entscheidung
Das OLG Saarbrücken wies die hiergegen eingereichte Beschwerde mangels Antragsbefugnis als unbegründet zurück.
Obwohl der Nachprüfungsantrag also im Ergebnis nicht erfolgreich war, hielt das OLG zunächst fest, dass die rein nationale Ausschreibung trotz der Nachrangigkeit der ausgeschriebenen Sicherheitsdienstleistungen gegen europäisches Primärrecht verstößt. Gestützt auf das Urteil des EuGH vom 18.11.2010 zu Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen (Rs. C-226/09) stellte das Gericht fest, dass sich aus dem Transparenzgrundsatz die Pflicht zur europaweiten Ausschreibung bei eindeutigem grenzüberschreitenden Interesse ergebe. Ein solches Interesse sei dann anzunehmen, wenn wie im zu entscheidenden Fall der Auftragswert über 3 Mio. Euro liege und die Leistungen im grenznahen Bereich (Saarbrücken) zu erbringen seien. Aus den Besonderheiten des Bewachungsgewerbes folge keine Beschränkung auf nationale Anbieter.
Rechtsfolge der unterlassenen europaweiten Ausschreibung sei die Unwirksamkeit des vergebenen Vertrags gem. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB. Danach ist ein Vertrag von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber einen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. Nach überwiegender Auffassung, der sich das OLG hier auch in Abgrenzung zu einer früheren Entscheidung der Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 01.12.2009, VK 3-205/09) anschließt, ist § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB in richtlinienkonformer Auslegung über seinen Wortlaut hinaus auch dann anwendbar, wenn der öffentliche Auftraggeber zwar mehrere Unternehmen am Vergabeverfahren beteiligt, aber statt eines gebotenen europaweiten Vergabeverfahrens nur ein nationales Vergabeverfahren durchführt.
Trotz der an sich vorliegenden Unwirksamkeit des Vertrags verneint das OLG Saarbrücken jedoch die Antragsbefugnis des beschwerdeführenden Unternehmens. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass dem Unternehmen gerade infolge der unterlassenen europaweiten Ausschreibung ein Schaden entstanden sei oder ein solcher drohe. Aufgrund des Büros in Saarbrücken sei es auch einem Unternehmen mit Firmensitz im Ausland möglich und zumutbar gewesen, nationale Publikationen zu lesen. Wenn sich die Firma auf die Prüfung europaweiter Bekanntmachungen beschränke, liege es in ihrem eigenen Risiko, wenn sie dadurch von der Angebotsabgabe in nationalen Verfahren abgehalten werde.
Die Feststellung, es sei jedem ausländischen Unternehmen, das ein Büro in Deutschland unterhält, zumutbar, nationale Amtsblätter auf passende Ausschreibungen zu durchforsten, ist wenig praxisnah. Es widerspricht zudem in gewisser Weise den Überlegungen zur europaweiten Ausschreibungspflicht bei grenzüberschreitendem Interesse. Schließlich wird hier unterstellt, dass es für ausländische Unternehmen auch erst ab einem gewissen Volumen wirtschaftlich sinnvoll ist, Auslandsaufträge anzunehmen. Dann wäre es aber auch konsequent, wenn einem solchen ausländischen Unternehmen zugestanden wird, nur im europäischen Amtsblatt nach in Frage kommenden Ausschreibungen zu suchen. Die Prüfung nationaler Veröffentlichungsorgane wäre vor diesem Hintergrund ja nur sinnvoll, um Ausschreibungen zu finden, die fehlerhafterweise rein national veröffentlicht wurden. Dem ausländischen Bieter eine derartige Pflicht zur Fehlersuche aufzuerlegen, erscheint aber sowohl aus Transparenz- als auch aus Rechtsschutzüberlegungen überspannt.
Praxistipp
Auch wenn der öffentliche Auftraggeber im vorliegenden Fall letztendlich ungeschoren davongekommen ist, zeigt das Urteil des OLG Saarbrücken dennoch anschaulich, wie riskant es für Vergabestellen auch bei nachrangigen Dienstleistungen mit größerem Auftragsvolumen sein kann, sich auf eben diese Nachrangigkeit zu verlassen. Dass der vorliegende Auftrag die Besonderheit einer grenznahen Tätigkeit aufwies, sollte kein Anlass zur Entspannung für Auftraggeber sein, deren Aufträge sich im grenzferneren Bereich abspielen. Denn die Grenznähe war hier nur eines von mehreren Kriterien. Ohnehin ist es öffentlichen Auftraggebern zu empfehlen, sich langfristig darauf einzustellen, dass eine Vielzahl der bisherigen B-Dienstleistungsaufträge künftig sprich nach Umsetzung oder Ablauf der zweijährigen Umsetzungsfrist der neuen Vergaberichtlinien ab einem Auftragswert von EUR 750.000,- ohnehin europaweit auszuschreiben sind (vgl. Art. 74 der klassischen Richtlinie 2014).
Für die Unternehmensseite zeigt die Entscheidung einmal mehr, dass den grundsätzlich weitreichenden Rechtsschutzmöglichkeiten, die vorliegend die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags ermöglicht hätten, hohe Anforderungen an die Bieter im Vorfeld einer Vergabe gegenüberstehen.