Weder die (teil)funktionale Ausschreibung noch das Leistungsbestimmungsrecht taugen als Feigenblatt für eine unbestimmte Leistungsbeschreibung (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 11.12.2013, Verg 22/13
Der Preis darf auch bei einer Funktionalausschreibung nicht das einzige Zuschlagskriterium sein!
Der Vergabesenat des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 11.12.2013 – Verg 22/13) sorgt für etwas Klarheit beim Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers – es rechtfertigt jedenfalls keine Defizite der Leistungsbeschreibung und schon gar nicht den Verzicht auf Vergabereife; zudem kommt abermals ein Paukenschlag aus Düsseldorf: Auch bei der Funktionalausschreibung ist ein reiner Preiswettbewerb unzulässig!
VOB/A 2012 § 2 EG Abs. 5, § 7 EG Abs. 1, 9
Leitsätze (amtlich)
- Von einer funktionalen oder nur teilweise funktionalen Ausschreibung kann nur ausgegangen werden, wenn der öffentliche Auftraggeber bestimmte, wesentliche Planungsaufgaben auf den Bieter verlagert und hierüber einen Wettbewerb eröffnet.
- Behält sich der öffentliche Auftraggeber bei einem Wettbewerb über Bauleistungen die Ausführungsplanung der Technischen Ausrüstung im Sinne der HOAI vor und fordert er auch im Übrigen vom Bieter keine für den Wettbewerb relevanten Planungsleistungen, liegt eine Ausschreibung mit konstruktiver Leistungsbeschreibung vor, die dem Bestimmtheitserfordernis des § 7 EG Abs. 1 VOB/A genügen muss.
- Liegt dem Bieter eine im Wettbewerb auf ihn verlagerte Ausführungsplanung im Sinne der HOAI in einer Ausschreibung über Bauleistungen nicht vor, fehlt der Ausschreibung die nach § 2 EG Abs. 5 VOB/A erforderliche Ausschreibungsreife.
- Die Wahl der Verfahrensart unterliegt zwar der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers. Hat er sich aber für eine bestimmte Verfahrensart entschieden, ist er bei der Durchführung des Verfahrens an die vergaberechtlichen Vorschriften, die die Art und Weise der Beschaffung regeln, gebunden.
- Bei einer funktionalen oder nur teilweise funktionalen Ausschreibung von Bauleistungen ist der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium wegen der qualitativen Elemente von Planungsleistungen unzulässig.
Sachverhalt
Die für einen Neubau benötigten Leistungen der Werkplanung, Lieferung und betriebsfertigen Installation der starkstromtechnischen Anlagen meint der Auftraggeber ausschreiben zu können, ohne den Vergabeunterlagen die Ausführungsplanung beilegen zu müssen. Er rechtfertigt dies mit der (angeblichen) Wahl einer (teil)funktionalen Ausschreibung im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.
Ein Interessent sieht sich an einer kaufmännisch vernünftigen Angebotskalkulation gehindert und reicht deshalb kein Angebot ein, rügte aber einen Verstoß gegen § 7 EG Abs. 1 VOB/A, weil die im Leistungsverzeichnis funktional beschriebene Leistung mangels Bestimmtheit ohne umfangreiche Vorarbeiten und ohne Einsicht in eine Ausführungsplanung keine hinreichend sichere Preiskalkulation ermögliche.
Die Entscheidung
Die Ausschreibung erfüllt die Voraussetzungen einer (teil)funktionalen Ausschreibung schon deshalb nicht, weil dem Bieter in der Ausschreibung keine wesentlichen Planungsleistungen, insbesondere keine Ausführungsplanung der hier betroffenen Technischen Ausrüstung übertragen werden. Die verlangte Werkplanung beschränkte sich auf den ausgeschriebenen Auftrag und das auszuführende Einzelgewerk und umfasste nicht, wie es typischerweise bei der Ausführungsplanung der Technischen Ausrüstung im Sinne der HOAI erforderlich ist, eine auf alle für eine Versorgungsinstallation notwendigen Gewerke bezogene Planungsleistung, bei der neben Stromleitungen u.a. auch Wasser- und Heizungsinstallationsleitungen zu berücksichtigen sind. Ein solcher Beitrag dient weder der Konzeptionierung noch der Planung der Leistung im Rahmen der Angebotsphase. Funktionale Elemente finden dabei weder im Angebot des Bieters Ausdruck noch werden sie dem Wettbewerb unterstellt.
Die damit an den Anforderungen an eine konstruktive Leistungsbeschreibung zu messende Ausschreibung war ohne Ausführungsplanung offensichtlich zu unbestimmt. So war insbesondere eine genaue Berechnung der erforderlichen Mengen ohne Ausführungspläne und daraus ersichtliche Verlegearten ebenso wenig möglich, wie eine verlässliche Berechnung erforderlicher Arbeitsstunden. Dieses „planlose Vorgehen“ kann der Auftraggeber auch nicht mit seinem Bestimmungsrecht zur Wahl einer (teil)funktionalen Ausschreibung zu rechtfertigen. Das grundlegende Defizit der Leistungsbeschreibung, sprich die fehlende Vergabereife des Vorhabens insgesamt, verstößt vielmehr gegen § 7 EG Abs. 1 und 9 VOB/A und gegen § 2 EG Abs. 5 VOB/A.
Schließlich ist die Wahl eines reinen Preiswettbewerbs zu beanstanden. Im Rahmen funktionaler oder nur teilfunktionaler Ausschreibung von Bauleistungen ist der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium wegen des qualitativen Elements von Planungsleistungen ungeeignet, weil eine allein am Preis ausgerichtete Wertung der Angebote qualitative Elemente von Planungsleistungen nicht berücksichtigt. Da Planungsleistungen aber nach den gesetzlichen Vorgaben der §§ 7 EG Abs. 13 bis 15, 2 EG Abs. 1 VOB/A dem Wettbewerb zu unterstellen sind, kommt in einem solchen Fall nur das wirtschaftlich günstigste Angebot als Zuschlagskriterium in Betracht, bei dem neben dem Preis qualitative Wertungskriterien ins Gewicht fallen.
Der Vergabesenat nimmt dem Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers zumindest ein wenig seine Funktion als Feigenblatt für eine interessengelenkte Bedarfsdeckung. Offensichtliche Rechtsverstöße bei der Leistungsbeschreibung vermag es jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Das ist schon deshalb zwangsläufig, weil die Technik der Leistungsbeschreibung nicht die dem Vergabeverfahren vorgelagerte Leistungsbestimmung, sondern die Umsetzung der bereits getroffenen Beschaffungsentscheidung im Vergabeverfahren betrifft.
Nur auf den ersten Blick überraschend verbietet der Senat für Funktionalausschreibungen einen reinen Preiswettbewerb. Vor dem Hintergrund seiner – inzwischen vom BGH bestätigten – Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Nebenangeboten in Verfahren mit dem Preis als einziges Zuschlagskriterium scheint diese Beschneidung der Auftraggeberspielräume durchaus konsequent. Ebenso wie Nebenangeboten sind den Angeboten auf eine Funktionalausschreibung nämlich graduelle Qualitätsunterschiede für die Lösung der in den Wettbewerb gestellten Bauaufgabe immanent. Zwingend ist das aber nicht, denn anders als Nebenangebote weichen (wertungsfähige) Angebote bei Funktionalausschreibungen gerade nicht von der im Amtsentwurf beschriebenen Leistung(squalität) ab. Der Auftraggeber hat das Qualitätsniveau der eingehende Angebote mit seinen Funktionsanforderungen vielmehr „glatt gezogen“. Damit unterscheiden sich die Angebote ausdrücklich nicht im Qualitätsgehalt der angebotenen Leistung, sondern allein in der gewählten Methode dorthin. Mit anderen Worten: Viele Wege führen nach Rom.
Praxistipp
Dieser Paukenschlag aus Düsseldorf wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abermals in Karlsruhe landen. Bis zu einer Entscheidung des BGH sind die Vergabestellen des Bundes und die Auftraggeber in NRW aber gut beraten, wenn sie nicht nur bei der Zulassung von Nebenangeboten, sondern auch bei Funktionalausschreibungen neben dem Preis weitere Zuschlagskriterien festlegen, mit denen etwaige graduelle Qualitätsunterschiede der Angebote angemessen erfasst werden können. Eine schwierige Aufgabe, zumal das OLG Düsseldorf qualitative Kriterien verlangt, die mehr als reine „Alibifunktion“ haben – ohne freilich exakt zu bestimmen, wann dies der Fall ist.