Vertragsanpassungsklauseln müssen bereits in EU-Bekanntmachung genannt werden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.02.2014 – VII-Verg 32/13)
Vertragsklauseln, die eine wesentliche Erweiterung eines öffentlichen Auftrags während seiner Laufzeit erlauben, müssen bereits in der Auftragsbekanntmachung erwähnt werden.
Nach dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 12. Februar 2014 verlangen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz, dass Vertragsklauseln, die eine wesentliche Erweiterung eines Auftrags während seiner Laufzeit ermöglichen sollen, bereits in der Bekanntmachung genannt und inhaltlich so umrissen werden, dass sich für die potentiellen Bieter klar ergibt, unter welchen Umständen der Vertrag wann und wie geändert werden kann. Diese Anforderung geht über Art. 72 Abs. 1 Buchst. a) der neuen Vergaberechtsrichtlinie 2014/24/EU hinaus.
§ 101 b GWB, Art. 72 RL 2014/24/EU
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb im Mai 2011 einen Rahmenvertrag über die augenchirurgische Behandlung der altersbedingten Makula-Degeneration durch intravitreale Injektion von VEGF-Hemmern einschließlich bestimmter Managementleistungen (AMD-IVIT-Vertrag) aus. Der Zuschlag erfolgte im September 2012 und wurde im EU-Amtsblatt bekanntgegeben. In § 4 Abs. 4 AMD-IVIT-Vertrag behielten sich die Vertragspartner vor, die Behandlung des diabetischen Makulaödems und der Zentralvenen- bzw. Venenast-Verschlüsse mittels intravitrealer Medikamentenapplikation zu einem späteren Zeitpunkt in den Vertrag aufzunehmen.
Mit einem Nachtrag wurde der AMD-IVIT-Vertrag Mitte April 2013 um diese vorbehaltenen Versorgungsleistungen erweitert. Dabei erfolgte weder eine vorherige oder nachträgliche Bekanntmachung der Auftragserweiterung noch eine Beteiligung anderer Wirtschaftsteilnehmer. Ein Konkurrent des Auftragnehmers, der sich an dem ursprünglichen Vergabeverfahren nicht beteiligt hatte, beantragte Ende Juli 2013 die Feststellung der Unwirksamkeit der Nachtragsvereinbarung. Die 2. VK Bund (Beschluss v. 02.09.2013 VK 2-74/13) gab dem Nachprüfungsantrag statt, Auftraggeber und Auftragnehmer legten sofortige Beschwerde ein.
Die Entscheidung
Der Feststellungsantrag nach § 101 b Abs. 2 Satz 1 GWB ist zulässig, weil auch nachrangige Dienstleistungen des Gesundheitswesens (Kategorie 25) in vollem Umfang der Nachprüfung unterliegen. Der Antrag wurde auch fristgerecht innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes gegen die Ausschreibungspflicht gestellt. Für diese Kenntnis genügt es nicht, dass der Antragsteller die tatsächlichen Umstände der Direktvergabe kennt. Er muss daraus auch zumindest laienhaft den rechtlichen Schluss ziehen, dass der Auftraggeber gegen eine bestehende Ausschreibungspflicht verstoßen hat. Dabei ist es Sache des Antragstellers nachzuweisen, wann er Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß erlangt hat. Der Geschäftsführer der Antragstellerin konnte hier glaubhaft darlegen, dass er diese Kenntnis erst Mitte Juli 2013 durch anwaltlichen Rat erlangt hatte.
In der Sache stellt der Vergabesenat einen Verstoß gegen das Verbot der Direktvergabe (§ 101 b Abs. 1 Nr. 2 GWB) fest und erklärt die Nachtragsvereinbarung für unwirksam. Nach der Leitentscheidung des EuGH in der Rechtssache pressetext Nachrichtenagentur (Urteil v. 19. Juni 2008 C-454/06) ist eine Vertragsänderungen eine ausschreibungspflichtige Neuvergabe des Auftrags, wenn sie wesentlich andere Merkmale aufweist als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen des Vertrags erkennen lässt. Der EuGH bildete hierzu drei Fallgruppen von wesentlichen Vertragsänderungen.
Die Nachtragsvereinbarung fällt nach Meinung des OLG Düsseldorf in gleich zwei dieser Fallgruppen: Die zusätzlichen Versorgungsleistungen machen ca. 20 % des ursprünglichen Auftragsvolumens aus und überschreiten für sich genommen den maßgeblichen Schwellenwert von (damals) 200.000 Euro. Damit wird der Anwendungsbereich des AMD-IVIT-Vertrags in großem Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Leistungen erweitert (2. Fallgruppe). Außerdem wäre bei einer ursprünglichen Ausschreibung auch der zusätzlichen Versorgungsleistungen ein Zuschlag auf das Angebot eines anderen Bieters nicht notwendig des Antragstellers in Betracht gekommen (1. Fallgruppe).
Die Nachtragsvereinbarung war durch die Anpassungsklausel in § 4 Abs. 4 AMD-IVIT-Vertrag auch nicht in einer Weise angelegt, dass eine Neuausschreibung entbehrlich gewesen wäre. Die Rechtsprechung des EuGH zur Neuausschreibung bei Vertragsänderungen zielt nach Auffassung des OLG Düsseldorf auf die Sicherstellung der Gleichbehandlung und Wahrung der Transparenz. Die pressetext-Entscheidung des EuGH könne zwar so gelesen werden, dass auch wesentliche Vertragsänderungen (allein) in den Bedingungen des ursprünglichen Auftrags vorgesehen oder erlaubt sein können. Später habe der EuGH aber klargestellt, dass der Auftraggeber bereits in der Bekanntmachung die ergänzenden Gegenstände des Auftrags, die Beschreibung sowie die Menge und den Gesamtumfang der Arbeiten angeben muss (Urteil v. 22. April 2010 C-423/07, Kommission/Spanien). Auf dieser Grundlage habe der Vergabesenat bereits entschieden, dass eine Änderungsklausel eine wesentliche Vertragsänderung nur dann trägt, wenn bereits aus der ursprünglichen Ausschreibung (bzw. dem ursprünglichen Text) klar hervorgehe, unter welchen Umständen der Vertrag wann und wie geändert werden kann (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 28. Juli 2011 VII-Verg 20/11). Die damit erforderliche vorherige Bekanntgabe der Vertragserweiterung habe der Auftraggeber aber zu keinem Zeitpunkt vorgenommen.
Rechtliche Würdigung
Das OLG Düsseldorf verlangt erstmals deutlich, dass eine wesentliche Vertragsänderung ohne Neuausschreibung auf der Grundlage einer vertraglichen Anpassungsklausel in formeller Hinsicht voraussetzt, dass diese Anpassungsmöglichkeit bereits in der EU-Bekanntmachung erwähnt wurde. In materieller Hinsicht bleibt es dabei, dass die Klausel klar definieren muss, unter welchen Umständen und in welche Richtung der Vertrag geändert werden kann.
Die Herleitung dieses Ergebnisses nur aus dem EuGH-Urteil vom 22. April 2010 will allerdings nicht recht überzeugen, da sich diese Entscheidung auf eine Erweiterung des Auftragsgegenstands im laufenden Vergabeverfahren bezog. Das Erfordernis, dass die Änderungsklausel bereits in der Bekanntmachung genannt worden ist, geht auch über die Anforderungen der zum Entscheidungszeitpunkt schon verabschiedeten allgemeinen Vergaberechtsrichtlinie 2014/24/EU hinaus. Art. 72 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie bestimmt, dass ein Auftrag ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens geändert werden kann, wenn (1.) die Änderung in den ursprünglichen Auftragsunterlagen in einer klar, präzise und eindeutig formulierten Überprüfungsklausel vorgesehen ist, (2.) die Klausel Umfang und Art möglicher Änderungen sowie die Bedingungen nennt, unter denen sie zur Anwendung gelangen kann, und (3.) der Gesamtcharakter des Auftrag unverändert bleibt. Zu den Auftragsunterlagen zählen nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 der Richtlinie neben der Bekanntmachung auch alle sonstigen Unterlagen, die Bestandteile der Auftragsvergabe oder des Verfahrens beschreiben oder festlegen. Aus Sicht des Richtliniengebers verlangen also weder Transparenz noch Gleichbehandlung, dass die Änderungsklausel zwingend bereits in der EU-Bekanntmachung genannt wird. Die Korrektur dieser Einschätzung in der Rechtsprechung bedarf ab Inkrafttreten der Richtlinie am 17.04.2014 einer besseren Begründung als das OLG Düsseldorf sie geliefert hat.
Am Auftrag interessierte Unternehmen müssen bereits der EU-Bekanntmachung entnehmen können, unter welchen Umständen wann und wie eine wesentliche Änderung des Auftrags erfolgen kann. Um eine vertragliche Anpassungsklausel vergaberechtlich abzusichern, sollten Auftraggeber diese Formulierungsvorgaben beachten und die Klausel bereits im Standardformular für Bekanntmachungen unter Abschnitt II.2.1 (Gesamtmenge bzw. -umfang) erwähnen und inhaltlich zumindest umreißen.
Die § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B bzw. § 2 Nr. 1 VOL/B müssen allerdings nicht in der EU-Bekanntmachung genannt werden, weil auf diese allgemein gehaltenen Änderungsklauseln ohnehin keine wesentlichen Vertragsänderungen im Sinne der EuGH-Rechtsprechung gestützt werden können (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 29.10.2009 13 Verg 8/09).