Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht was Bess`res findet … (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 17.02.2014 – Verg 2/14)

EntscheidungMan könnte den Eindruck gewinnen, dass Wilhelm Busch, von dem dieses Zitat stammt, ein Vorreiter des Vergaberechts war. Bietergemeinschaften sind in Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber allgegenwärtig. Sie finden sogar ausdrückliche Erwähnung in den Vergabeordnungen. Ihre Erscheinungsformen sind so vielfältig, wie die Motivation der BIEGE-Partner, sich zusammenzuschließen. Dazu zählen wettbewerbsfördernde Motivationen, wie z.B. die Bündelung unterschiedlicher Kompetenzen oder bloßer Synergieeffekte. Aber auch strategische Überlegungen, die zumindest problematisch sind (z.B. der Zusammenschluss mit einem regionalen gut vernetzen und dem Auftraggeber bekannten Unternehmen) oder die klar wettbewerbswidrig sind (Ausschluss konkurrierender Angebote), spielen in der Praxis eine Rolle.

Nachdem das Kammergericht Berlin in jüngster Vergangenheit frühere Annahmen zum Regel-Ausnahmeverhältnis bei der Zulässigkeit von Bietergemeinschaften auf den Kopf gestellt hat, hat jetzt das OLG Düsseldorf diese Rechtsprechung verschärft und damit einen Trend verstärkt, der sich in dieser Form der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes widerspricht.

AEUV Art. 101 Abs. 1; GWB §§ 1, 87, 91, 94, 97 Abs. 1, 118 Abs. 1, 2; VOL/A 2009 § 2 EG Abs. 1; SGB V § 130a Abs. 8

Leitsatz (vom Autor angepasst)

  1. Die Teilnahme einer Bietergemeinschaft am Vergabeverfahren ist unzulässig.
  2. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht befugt, Ausnahmen von den gesetzlichen Vorgaben zuzulassen.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin ist eine Allgemeine Ortskrankenkasse, die stellvertretend für weitere im Bundesgebiet ansässige Allgemeine Ortskrankenkassen Rabattvereinbarungen über zahlreiche Arzneimittel europaweit im offenen Verfahren ausschreibt. Es werden Gebietslose für die einzelnen Ortskrankenkassen und Fachlose für zahlreiche Wirkstoffe gebildet.

In einem Fachlos leitet ein nicht für die Zuschlagserteilung vorgesehener Bieter ein Nachprüfungsverfahren ein. Er macht geltend, dass die Antragsgegnerin erst im Laufe des Vergabeverfahrens die Zulässigkeit der Bildung von Bietergemeinschaften, die trotz bieterindividuell gegebener Leistungsfähigkeit zum Zwecke der Sortimentserweiterung eingegangen worden sind, verschärft habe. Weil die Antragsgegnerin ihre Frage zur Zulässigkeit derartiger Bietergemeinschaften erst zweieinhalb Wochen vor Ablauf der Angebotsfrist positiv beschieden und damit die Verschärfung zurückgenommen habe, sei es ihr in einem Fachlos nicht mehr möglich gewesen, eine Bietergemeinschaft zu bilden und ein Angebot abzugeben.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag zurück. Das OLG Düsseldorf lehnt den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde ab, weil der Antrag in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg hat und unbegründet ist.

Unter Bezugnahme auf seine eigene Rechtsprechung (Beschluss vom 9. November 2011 – VII – Verg 35/11; Beschluss vom 11. November 2011 – VII – Verg 92/11) und die Rechtsprechung des Kammergerichts (Beschluss vom 24. Oktober 2013 – Verg 11/13) formuliert es unmissverständlich: „Unternehmen, die eine Bietergemeinschaft eingehen, treffen eine Vereinbarung, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken können, und die deswegen verboten sind. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht berechtigt, verbindliche Regeln aufzustellen, unter welchen Tatbestandsvoraussetzungen und wann die Eingehung einer Bietergemeinschaft als Kartellrechtsverstoß anzusehen ist oder nicht“.

Begründet wird dies mit der Auffassung, dass die Bietergemeinschaften immanente Verpflichtung der beteiligten Unternehmen,  von eigenen Angeboten abzusehen und mit anderen Unternehmen nicht zusammenzuarbeiten, den Tatbestand der möglichen Wettbewerbseinschränkung begründet.

Rechtliche Würdigung

Im Fachausschuss Recht des Deutschen Vergabenetzwerkes wurde bereits ausführlich über die vom Thema und Ergebnis vergleichbare Entscheidung des Kammergerichts Berlin diskutiert. Die spannende Diskussion ging von kompletter Ablehnung der Entscheidung bis zu der Auffassung, dass sie nicht überbewertet werden dürfe. Größter Kritikpunkt war, dass diese bietergemeinschaftskritische Entscheidung von einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 13.12.1983, Az: KRB 3/83) abweicht, die Bietergemeinschaften von Unternehmen desselben Wirtschaftszweiges zulässt, wenn sich die Beteiligung für die Mitglieder als wirtschaftlich zweckmäßige und als kaufmännisch vernünftige Unternehmensentscheidung darstellt.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf verschärft diese strenge Rechtsprechung des Kammergerichts noch einmal. Während das Kammergericht Bietergemeinschaften zulassen will, wenn der gemeinsame Marktanteil der Mitglieder marginal ist oder die Mitglieder der Bietergemeinschaft nur gemeinsam am Vergabewettbewerb teilnehmen können, lässt das OLG Düsseldorf – jedenfalls dem Wortlaut der besprochenen Entscheidung nach – gar keine Bietergemeinschaft mehr zu. Und das ist auch der größte Kritikpunkt an der Entscheidung. Im Ansatz ist  weitere bietergemeinschaftskritische Rechtsprechung zwar richtig. Der öffentliche Auftraggeber ist über die gesetzlichen Regelungen nicht dispositionsbefugt und er ist für die Bieter auch keine Rechtsauskunftsstelle. In seiner Absolutheit lässt diese Auffassung aber die gebotene Einzelfallabwägung nicht zu.

Deutsches VergabenetzwerkPraxistipp

Die spannende Diskussion über dieses Thema zeigt, dass man kontrovers über diese Rechtsprechung streiten kann. Ein Ergebnis aber lässt sich nicht wegdiskutieren: Wir werden uns in absehbarer Zukunft auf diese Rechtsprechung einstellen müssen. Als Auftraggeber und als Bewerber/Bieter.

Aber wie?

Denn trotz oder gerade wegen der keine Ausnahmen zulassenden Rechtsprechung des OLG Düsseldorf bleibt eine beträchtliche Unsicherheit zurück. Werden sich andere Obergerichte dieser Rechtsprechung anschließen? Oder werden sie zu einer stärkeren Einzelfallbetrachtung und der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes tendieren?

Man mag ja der Auffassung des OLG Düsseldorf zustimmen, dass öffentliche Auftraggeber keine Rechtsauskunftsstellen sind und dass die am Auftrag interessierten Unternehmen rechtliche Wertungen „notfalls durch Einholung von Rechtsrat in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko selbst zu klären“ haben. Nur wie soll der Rechtsrat lauten? Etwa dass im Bereich des Kammergerichts Bietergemeinschaften manchmal zulässig sind? Dass im Bereich des OLG Düsseldorf Bietergemeinschaften unzulässig sind, während die Rechtslage im übrigen Bundesgebiet zumindest ungewiss ist? Dass dieses Ergebnis aber nur dann gilt, wenn in einem Nachprüfungsverfahren entschieden wird und dass die Rechtslage in einem eventuellen Schadensersatzverfahren beim Bundesgerichtshof genau anders aussieht?

Noch ein anderer Aspekt scheint vor dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz diskussionswürdig. Die Ungleichbehandlung von Einkaufskooperationen (Bedarfsbündelung als Form der „umgekehrten Bietergemeinschaft“) und Bietergemeinschaften in der aktuellen Rechtsprechung.

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