Inhouse-Vergaben von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen über Personenverkehrsdienste sind auch außerhalb der VO (EG) 1370/2007 (Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste) möglich (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 30.01.2014 – 11 Verg 15/13)

Das Oberlandesgericht Frankfurt billigt eine Inhouse-Vergabe nach den alten Teckal-Kriterien ohne Berücksichtigung der VO (EG) 1370/2007

EntscheidungDie VO (EG) 1370/2007 schafft für öffentliche Dienstleistungsaufträge im Personenverkehr ein Sonderrechtsregime, das den EU-Vergaberichtlinien als lex specialis vorgeht. Dieses Sonderrechtsregime gilt jedoch ausdrücklich nur für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen, die in Form einer Dienstleistungskonzession vergeben werden. Inhouse-Vergaben im Sinne der Teckal-Rechtsprechung des EuGH unterfallen daher nicht der VO (EG) 1370/2007.

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2V O (EG) 1370/2007; § 6 SektVO

Leitsatz (amtlich)

  1. Im Bereich der Daseinsvorsorge (hier: öffentlicher Personenverkehr) kann Dringlichkeit einer Interimsvergabe auch dann gegeben sein, wenn sie auf vom Auftraggeber zu vertretenen Umständen beruht (amtlicher Leitsatz).
  2. Auch bei besonderer Dringlichkeit einer Interimsvergabe kommt eine Direktvergabe in der Regel allenfalls solange in Betracht, bis über eine endgültige Interimsvergabe in einem wettbewerblichen Verfahren entschieden werden kann (amtlicher Leitsatz).

Sachverhalt

Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine Kommune vergab als Aufgabenträgerin des ÖPNV (Antragsgegner zu 1.) eine Verkehrsdienstleistung an ihr 100-prozentiges ÖPNV-Tochterunternehmen (Antragsgegner zu 2.). Das Tochterunternehmen erbringt jedoch selbst keine Personenbeförderungsleistungen. Es hat seinerseits – nach der so genannten Sektorenverordnung (SektVO) – die Fahrleistung an ein Subunternehmen vergeben. Diese Subunternehmervergabe erfolgte aus zeitlichen Gründen im Wege einer Dringlichkeitsvergabe nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 SektVO.

Die Antragstellerin- ebenfalls ein Verkehrsunternehmen – wendete sich gegen diese Vergaben mit einem Nachprüfungsantrag. Hiermit verfolgt sie das Ziel, die Gemeinde und ihr kommunales Tochterunternehmen zu verpflichten ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag blieb in der Beschwerdeinstanz ohne Erfolg.

Ausschließlich auf Basis der Teckal-Rechtsprechung des EuGH billigte das OLG Frankfurt die Inhouse-Vergabe der Stadt an ihr kommunales Tochterunternehmen. Insofern stellt das Gericht fest, dass die Stadt über ihr Verkehrsunternehmen eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und das Tochterunternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für die Stadt verrichtet. Über die Teckal-Kriterien hinausgehende Voraussetzungen sind nach Ansicht des Gerichts dagegen nicht zu erfüllen.

Rechtliche Würdigung

Dem Argument, dass die Antragsgegnerin zu 2) selbst keine Personenbeförderungsleistungen erbringe und dies einer Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 lit. e) in Verbindung mit Art. 4 Abs. 7 Satz 2 VO (EG) 1370/07 entgegenstehe, folgt das Gericht nicht.

Insbesondere sei die VO (EG) 1370/2007, die für öffentliche Dienstleistungsaufträge im Personenverkehr ein Sonderrechtsregime schafft, im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Denn Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der VO (EG) 1370/2007 nehme gerade solche öffentlichen Dienstleistungsaufträge vom Anwendungsbereich aus, die den ÖPNV mit Bus und Straßenbahn betreffen und nicht in Form von Dienstleistungskonzession geschlossen werden. Dem OLG zufolge, gelten für solche öffentlichen Dienstleistungsaufträge nur die Kriterien des EuGH hinsichtlich seiner Teckal-Rechtsprechung bzw. den allgemeinen Vergaberichtlinien. Deswegen sei es ohne Belang, dass das kommunale Tochterunternehmen nicht die in der VO (EG) 1370/2007 geforderte Selbsterbringungsquote erfülle.

Demgegenüber erklärte das Gericht die Dringlichkeitsvergabe der kommunalen Tochter an das Subunternehmen für unzulässig. Es seien strenge Anforderungen an die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Direktvergabe im Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung zu stellen. Sie komme insofern nur in Betracht, wenn zwingende und dringliche Gründe wie etwa eine akute Gefahrensituation vorlägen. Die Dringlichkeit auslösenden Umstände dürften dabei nicht dem Auftraggeber zuzurechnen sein. Lediglich im Bereich der Daseinsvorsorge – wie etwa vorliegend dem ÖPNV – soll etwas anderes gelten. In diesen Fällen tritt der Aspekt der Zurechenbarkeit und Vorhersehbarkeit der Notsituation hinter die Notwendigkeit der Kontinuität der Versorgungsleistung zurück. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müsse der Auftraggeber allerdings zwingend beachten. Dieser gebiete es, insbesondere hinsichtlich Umfang und Dauer des Interimsvertrags mildere und wettbewerbsschonendere Mittel zu prüfen. Ohne vorherige Beteiligung anderer Bieter komme insofern eine unmittelbare Auftragserteilung an einen Bieter nicht in Betracht, wenn eine Angebotsanfrage bei diesen anderen Bietern ohne großen Zeitverlust möglich ist. Eine solche Anfrage sei vorliegend nach Ansicht des OLG möglich gewesen. Daher führe die Nichteinbindung anderer interessierter Bieter zur Unzulässigkeit der Dringlichkeitsvergabe.

Deutsches VergabenetzwerkPraxistipp

Bemerkenswert an diesem Beschluss ist, als das er – im Bereich des ÖPNV – für eine wirksame Inhouse-Vergabe allein auf die Teckal-Rechtsprechung des EuGH (mittlerweile geregelt in den überarbeiteten Vergaberichtlinien) abstellt. Das OLG Frankfurt weicht damit von der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf und des OLG München ab. Das OLG Düsseldorf hatte vielmehr eine Doppelprüfung für notwendig erachtet mit der Folge, dass eine Inhouse-Vergabe nur dann erfolgen darf, wenn sowohl die Teckal-Kriterien als auch die Voraussetzungen einer Direktvergabe nach Art. 5 Abs. 2 VO 1370/2007 vorliegen. Bereits für zulässig hingegen hat das OLG München eine Direktvergabe erklärt, wenn die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 der VO 1370/2007 vorlägen. Begründet wird das damit, dass diese Regelung gegenüber der Teckal-Rechtsprechung spezieller sei und ihr daher vorgehe. Es liegen somit von drei verschiedenen Oberlandesgerichten drei unterschiedliche Entscheidungen zu Inhouse- bzw. Direktvergaben vor. Rechtssicherheit wäre nur durch eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) gewährleistet. Eine solche Entscheidung ist jedoch zurzeit nicht ersichtlich.

Daher raten wir jedenfalls denjenigen Kommunen und kommunalen Verkehrsunternehmen vorsichtshalber, die sich im Bundesland Nordrhein-Westfalen befinden, die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zu beachten. Da dieses die strengsten Anforderungen an eine Inhouse-/Direktvergabe stellt, ist es daher am wenigsten risikobehaftet.

Darüber hinaus sind die Ausführungen des OLG Frankfurt zu dem nicht selten anzutreffenden Fall von Bedeutung, dass der Auftraggeber die Dringlichkeit einer Notvergabe zu vertreten hat. Es fehlt dann grundsätzlich am Merkmal der Dringlichkeit. Indes soll im Bereich der Daseinsvorsorge, zu der namentlich der ÖPNV zählt, etwas anderes gelten: Aufgrund der Notwendigkeit der Kontinuität der Versorgungsleistung kann die Dringlichkeit hier auch dann bejaht werden, wenn sie auf Umständen beruht, die der Auftraggeber zu vertreten hat.