Zu den Voraussetzungen der Vergabe eines teilgekündigten Projektsteuerungsvertrages im Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb (OLG Naumburg, Beschl. v. 14.03.2014 – 2 Verg 1/14)

EntscheidungAuftragsvergaben  im Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb sind unter eng umgrenzten Voraussetzungen zulässig. Der eng auszulegende Ausnahmecharakter dieser Möglichkeit setzt eine Einzelfallabwägung voraus, die nicht dazu führt, dass der Ausnahmefall zum Regelfall wird.

Die dieser Möglichkeit innewohnende Intransparenz führt nicht selten dazu, dass Wettbewerber ein Nachprüfungsverfahren einleiten. Sei es aus grundsätzlichem Misstrauen oder um im Wege der Akteneinsicht Informationen über mögliche Fehler im Vergabeverfahren zu erhalten. Eine solche Beschwerde kann auch von Unternehmen eingereicht werden, die alleine keine erfolgreiche Bewerbung hätten abgeben können.

GWB § 101 b Abs. 1 Nr. 2, 125 Abs. 1  VOF 2009 § 3 Abs. 4 c

Leitsatz

  1. Nach der Teilkündigung eines Projektsteuerungsvertrages zur Koordination komplexer Bauarbeiten kann die Vergabe der teilgekündigten Koordinationsleistungen im Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zulässig sein.
  2. Bei der Schätzung des Auftragswertes für die Vergabe eines teilgekündigten Projektsteuerungsvertrages bleiben die bereits erbrachten Teilleistungen unberücksichtigt. Die Auftragswerte der noch zu erbringenden Leistungen sind zusammenzurechnen, wenn bei wertender Betrachtung die nicht ausgeschriebenen Lose als einheitlicher Beschaffungsgegenstand zu bewerten sind.
  3. Ein Wirtschaftsteilnehmer, der sich gegen die  Nichtausschreibung bzw. die nicht ausreichend transparente Ausschreibung wendet ist antragsbefugt, wenn er nur generell eine Eignung für die Leistungen der betreffenden Branche besitzt.
  4. Der Schadensersatzanspruch des öffentlichen Auftraggebers gegen einen Bieter nach § 125 Abs. 1 GWB kann im Nachprüfungsverfahren nicht in Form eines Feststellungsantrages geltend gemacht werden.

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber hat EU-weit die Generalplanung für das in drei Bauabschnitte gegliederte Projekt Neubau und Sanierung eines Krankenhauses der Maximalversorgung nach der VOF vergeben. Der Generalplaner sollte auch für die Koordination und Integration aller Planungsleistungen (Generalplanermanagement) in allen drei Bauabschnitten verantwortlich sein. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Erbringungen der Projektsteuerungsleistungen vereinbarten die Parteien Ende Mai 2013 den Abschluss eines Teilaufhebungsvertrages, der Ende Juni 2013 rechtswirksam unterzeichnet wurde. Anfang Juni, also bereits vor der Unterzeichnung der Teilaufhebungsvereinbarung, leitet der Auftraggeber eine beschränkte Ausschreibung ein, bei welcher er vier ausgewählte Planungsbüros zur Abgabe eines Angebots für die restlichen Projektsteuerungsleistungen des ersten Bauabschnitts auffordert. Das voraussichtliche Honorar für die ausgeschriebene Restleistung wurde von ihm auf einen Betrag zwischen EUR 130.000,00 und EUR 177.000,00 geschätzt. Im September 2013 wurde mit einem dieser Planungsbüros ein Projektsteuerungsvertrag für  den ersten Bauabschnitt geschlossen. Ein Wettbewerber, der zuvor Mitarbeiter der Generalplanerin war, wurde an der beschränkten Ausschreibung nicht beteiligt; im Oktober 2013 leitet er ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag teilweise stattgegeben und festgestellt, dass der Projektsteuerungsvertrag unwirksam sei. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich der Auftraggeber gegen diese Entscheidung der Vergabekammer. Der Auftraggeber beantragt den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen und festzustellen, dass der Antragssteller verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen, der durch den Missbrauch des Antragsrechts entstanden ist.

Das OLG hält den Nachprüfungsantrag teilweise für zulässig, aber nicht für begründet.

Unzulässig ist der Antrag auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung wegen Rechtsmissbräuchlichkeit der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens bei dem Schadensersatzanspruch des öffentlichen Auftraggebers gegen einen Bieter (§ 125 Abs.  1 GWB) handelt es sich um einen deliktischen Anspruch, der in einem separaten Prozess vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden muss. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen Zahlungs- oder einen Feststellungsantrag handelt. Das GWB sieht einen entsprechenden Feststellungsantrag des öffentlichen Auftraggebers nicht vor; es ist auch nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um eine planwidrige Gesetzeslücke handelt.

Im Übrigen ist der gegen den öffentlichen Auftraggeber gerichtete Nachprüfungsantrag zulässig, weil das Vergabeverfahren einen Dienstleistungsauftrag oberhalb des maßgeblichen Schwellenwertes betrifft. Zwar betrifft das konkrete Vergabeverfahren nur den ersten Bauabschnitt, so dass bei isolierter Betrachtung dieser Leistungen der Schwellenwert nicht erreicht wird. Bei der Schätzung des Gesamtauftragswertes bleiben die bis zur Aufhebung des Generalplanervertrages erbrachten Leistungen unberücksichtigt. Denn das ursprüngliche Vergabeverfahren unterscheidet sich in seinen wesentlichen Grundlagen von der Neuausschreibung der Teilleistungen für die Projektsteuerung. Es werden nicht mehr Projektsteuerungsleistungen als unselbständiger Bestandteil eines Generalplanerauftrages beschafft, sondern als einzelne Leistung. Damit wird ein anderer Bieterkreis angesprochen. Für die Auswahl des Vertragspartners kommt es nur noch auf diejenigen Eignungsmerkmale und die Zuschlagskriterien der ursprünglichen Ausschreibung an, welche sich jeweils auf die Projektsteuerung beziehen. Es handelt sich somit objektiv und subjektiv um einen anderen Beschaffungsbedarf.

Deren Auftragswerte sind zusammenzurechnen (§ 3 Abs. 7 S. 3 VgV). Denn alle drei Bauabschnitte betreffen dieselben freiberuflichen Leistungen. Bei dem vom Auftraggeber festgelegten einheitlichen Leistungsbild spielt der Umstand, dass Dienstleistungen in mehreren Aufträgen (Losen) und ggf. an verschieden Auftragnehmer vergeben werden sollen, für die Ermittlung des Auftragswertes keine Rolle. Es kommt nur darauf an, ob der Auftraggeber die Leistungen entgeltlich von einem Dritten beschafft, nicht etwa darauf, dass der Dritte für alle Teilaufträge identisch ist, sowie ob sich die beabsichtigten Auftragsvergaben bei wertender Betrachtung als Teilaufträge eines einheitlichen Gesamtvorhabens darstellen (wird vom OLG bejaht).banner_002
Der Antragssteller ist auch antragsbefugt. Ein Wirtschaftsteilnehmer, der sich gegen die  Nichtausschreibung bzw. die nicht ausreichend transparente Ausschreibung wendet ist antragsbefugt, wenn er nur generell eine Eignung für die Leistungen der betreffenden Branche besitzt. Die mangelnde Transparenz der Ausschreibung beeinträchtigt die Chance des Wirtschaftsteilnehmers auf Zuschlagserteilung. Auf die weitere Frage, ob der Wirtschaftsteilnehmer eine erfolgreiche Bewerbung hätte abgeben können, ggf. auch mit einem Kooperationspartner, kommt es für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nicht an.

Die Voraussetzungen für die Feststellung der Unwirksamkeit des Projektsteuerungsvertrages liegen allerdings nicht vor. Regelverfahren nach der VOF ist das Verhandlungsverfahren mit vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme. Hier greift der eng auszulegende Ausnahmetatbestand, wonach ein Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb zulässig ist (§ 101 Abs. 1 GWB i. V. § 5 Abs. 1 Nr. VGV und § 3 Abs. 4 lit. c VOF). Denn alle drei Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestandes (dringliche zwingende Gründe/deren Entstehung nicht dem Auftraggeber zuzuschreiben ist und für ihn nicht vorhersehbar war/ursächlicher Zusammenhang zwischen dem auslösenden Ereignis und den dringenden zwinglichen Gründen) selbst wenn man berücksichtigt, dass der Anwendungsbereich nicht mit Überlegungen eröffnet werden darf, welche die Ausnahme zu Regel werden lassen.

Eine entsprechende zwingende Dringlichkeit ist nur dann anzunehmen, wenn sich aufgrund objektiv nachprüfbarer und aus dem Bedarf des öffentlichen Auftraggebers selbstergebender Gründe anzunehmen ist, dass die Einhaltung der Fristen eines Teilnahmewettbewerbs oder eines beschleunigten Verfahrens zur Vereitlung der Zweckerreichung führen würde. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei der Beginn des Vergabeverfahrens aus der Sicht des Auftraggebers. Dieses wird hier vom OLG bejaht, weil die Projektsteuerungsleistungen die Regelung komplexer Bauarbeiten verschiedener Gewerke parallel zum vollständig aufrecht erhaltenen Betrieb eines Krankenhauses der Maximalversorgung für die relativ kurze finale Phase des ersten Bauabschnitts betreffen. Ein Ausfall dieser Koordinierungsleistungen ließe Gefahren für Gesundheit und Leben der Patienten sowie für die Sicherheit der Baustelle besorgen. Der einvernehmliche Teilaufhebungsvertrag war die geeignete Maßnahme für eine störungsfreie Übertragung dieser Leistungspflichten auf einen neuen Auftragnehmer ohne Gefährdung des komplexen Bauablaufs und des parallelen Krankhausbetriebs.

Die Gründe für die notwendige vorzeitige Beendigung des Generalplanervertrages bezüglich der Projektsteuerungsleistungen wurzeln auch nicht in organisatorischen  Mängeln des Auftraggebers, sondern resultieren aus der Sphäre des Auftragnehmers auch eine unvorhergesehene Leistungsstörung stellt einen dem Auftraggeber nicht zuzuschreibenden und für ihn nicht vorhersehbaren äußeren Anlass für die Entstehung dieses dringlich zwingenden Grundes dar.

Die einvernehmliche Teilaufhebung stellt die geringfügigere Beeinträchtigung gegenüber einem Scheitern des Gesamtvertrages dar. Der Auftraggeber wahrt auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil er in dem wettbewerbsbeschränkenden Vergabeverfahrens nur die unaufschiebbaren Projektsteuerungsleistungen für den ersten Bauabschnitt beschafft.

Rechtliche Würdigung

Das OLG Naumburg geht mit seiner Auffassung, dass unvorhergesehene Leistungsstörungen einen dringenden zwingenden Grund für den Verzicht auf ein transparentes wettbewerbliches Vergabeverfahren darstellen können, neue Wege. Die Praktikabilität des Vergaberechts mag dies erforderlich machen. Gleichzeitig ist dem OLG Naumburg aber auch dafür zu danken, dass der Ausnahmecharakter der Norm und der Einzelfallbezug seiner Entscheidung deutlich herausgestellt wurde. Denn man darf unterstellen, dass es gerade die Beschränkung des Auftraggebers auf die zwingend notwendige Vergabe von Leistungen für die Realisierung des ersten Bauabschnittes war, die es dem OLG leicht gemacht hat, den Ausnahmefall nicht zur Regel werden zu lassen.
Praxistipp

Die Entscheidung ist bezüglich der Frage, wann ein Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb erfolgen darf, nicht verallgemeinerungsfähig. Hier überwiegt deutlich der Einzelfallbezug, auch wenn die sorgfältig abgewogene Entscheidung lehrreiches Anschauungsmaterial für Argumentationen bietet.Einen Einzelfallbezug enthält auch die Berechnung des Auftragswertes. Wann mehrere Lose einen einheitlichen Auftrag darstellen, bleibt eine Wertungsfrage. Auch dass der Wert der erbrachten Teilleistung unberücksichtigt bleibt, muss nicht immer so sein. Hier wurde dies zutreffend damit begründet, dass sich der Charakter der ausgeschriebenen Leistung und damit der Kreis der potentiellen Bieter durch die Teilkündigung und die teilweise Neuvergabe geändert hat. Verallgemeinerungsfähig ist dagegen die Aussage, dass der öffentliche Auftraggeber seinen Schadensersatzanspruch vor den ordentlichen Gerichte geltend mache muss, so dass die Nachprüfungsinstanzen weder über einen Feststellungsantrag, noch einen Leistungsantrag entscheiden.Besonders hervorzuheben ist meines Erachtens aber, dass das OLG jedem Wirtschaftsteilnehmer, der die generelle Eignung für Leistungen der betroffenen Branche besitzt, den Weg zu den Nachprüfungsinstanzen eröffnet. Dies hat das OLG Saarbrücken (Beschluss vom 29.01.2014 – 1 Verg 3/13) jüngst noch ganz anders gesehen und viel zu weit gehende Darlegungen zu den realistischen Chancen auf Zuschlagserteilung verlangt. Diese Auffassung ist zu Recht auch in Vergabeblog.de vom 13. März 2014, Nr. 18546 kritisiert worden.Mir geht aber selbst die Auffassung des OLG Naumburg noch nicht weit genug. Denn sie erweckt den Eindruck, als wenn auch Generalübernehmer einen Kern eigener Leistungsfähigkeit besitzen müssen. Das aber hat das OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.06.2006 – Verg 18/06) mit zutreffender Begründung verneint.