TVgG-NRW: Erklärung zur Frauen- und Familienförderung bei reinen Lieferleistungen bedenklich (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.06.2014 – VII-Verg 39/13)

EntscheidungMit Beschluss vom 25.06.2014 (Az. VII-Verg 39/13) hat der Vergabesenat des OLG Düsseldorf sich erstmals mit der Verpflichtungserklärung zur Frauen- und Familienförderung nach § 19 TVgG-NRW auseinander gesetzt. Er hält dem öffentlichen Auftraggeber entgegen, dass dieser die Erklärung fälschlicherweise als Eignungsnachweis forderte. Denn diese Verpflichtungserklärung enthielt ergänzende Bedingungen an die Auftragsausführung und sei daher als solche in der Bekanntmachung zu benennen. Ferner und hier liegt das Neue der Entscheidung begegne die Forderung nach § 19 TVgG-NRW bei (reinen) Lieferaufträgen Bedenken.

§ 19 TVgG-NRW; § 97 Abs. 4 S. 2 GWB

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb die Lieferung von Arzneimitteln aus und versuchte, bei der Ausgestaltung seines Verfahrens die Vorgaben des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW (TVgG-NRW) zu beachten. Wie auch im Parallelverfahren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.01.2014, Entscheidungsbesprechung des Autors hier im Vergabeblog) verlangte er von den Bietern, dass diese mit Angebotsabgabe auch die Verpflichtungserklärungen nach § 18 TVgG-NRW und § 19 TVgG-NRW vorlegen. In der Erklärung nach § 18 TVgG-NRW verpflichten sich die Bieter, dass sie keine Waren liefern bzw. einsetzen, die unter Missachtung der Mindeststandards der sog. ILO-Kernarbeitsnormen hergestellt oder gewonnen wurden. Die Erklärung nach § 19 TVgG-NRW beinhaltet die Zusage des Bieters, im Auftragsfall Maßnahmen zur Frauen- und Familienförderung einzuleiten oder durchzuführen. In der europaweiten Bekanntmachung führte der öffentliche Auftraggeber die Verpflichtungserklärungen als Eignungsnachweis zur technischen Leistungsfähigkeit (Ziffer III.2.3 der Bekanntmachung) auf. Auf eine Bieterrüge korrigierte der Auftraggeber die Bekanntmachung und nannte fortan die Verpflichtungsklärung zu den ILO-Kernarbeitsnormen als Eignungsnachweis zur persönlichen Lage (Ziffer III.2.1 der Bekanntmachung). Ein Bieter wendete sich u.a. grundlegend gegen die Forderung der beiden Verpflichtungserklärungen.

Die Entscheidung

Die Entscheidung ähnelt zunächst in weiten Teilen den bereits bekannten Ausführungen des Düsseldorfer Vergabesenats mit Beschluss vom 29.01.2014 (Besprechung hier im Vergabeblog): Die Verpflichtungserklärungen zu den ILO-Kernarbeitsnormen (gemäß § 18 TVgG-NRW) sowie zur Frauen- und Familienförderung (gemäß § 19 TVgG-NRW) sind keine allgemeinen Anforderungen an die Unternehmen, sondern zusätzliche Anforderungen (Bedingungen) an die Auftragsausführung. Sie dürfen daher nicht als Nachweis zur persönlichen Lage oder zur technischen Leistungsfähigkeit eines Bieters abgefragt werden. Übersieht ein öffentlicher Auftraggeber diese Unterscheidung und sortiert die Erklärungen in der Bekanntmachung bei den Eignungsnachweisen ein, liegt hierin bereits ein Verstoß gegen zwingende Normen des Vergaberechts.

Erstmals äußerte sich das OLG Düsseldorf hingegen zur Verpflichtungserklärung nach § 19 TVgG-NRW. Bieter müssen sich verpflichten, nicht nur was gerne und regelmäßig überlesen wird das geltende Gleichbehandlungsrecht zu beachten, sondern auch Maßnahmen der Frauenförderung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie einzuleiten oder durchzuführen. Hierzu führt das OLG aus:

Ob die Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB und von Art. 26 Richtlinie 2004/18/EG (Art. 70 Richtlinie 2014/24/EG) auch für die Verpflichtungserklärung () zur Berücksichtigung von Aspekten der Frauenförderung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie vorliegen, begegnet mit Blick auf den allgemeinen Bezug darin teilweise vorgesehener Maßnahmen (Katalogmaßnahmen) zum Unternehmen zumindest bei Lieferaufträgen Bedenken, weil Mitarbeiter, die in den Prozess einer Lieferleistung eingebunden sind, in aller Regel an mehreren Lieferaufträgen gleichzeitig mitwirken und eine Zuordnung von Fördermaßnahmen zu einem konkreten Lieferauftrag nur schwer möglich ist.

Aufgrund der falschen Einordnung bei den Eignungskriterien konnte das OLG Düsseldorf aber davon absehen, sich hier abschließend zu positionieren.

Rechtliche Würdigung

Mit seiner Entscheidung greift der Vergabesenat einen berechtigten Kritikpunkt an der Regelung zur Frauen- und Familienförderung auf:

Nach dem ausdrücklichen Willen des Landesgesetzgebers (§ 2 Abs. 1 Satz 2 TVgG-NRW) ist diese Erklärung auch bei Lieferleistungen einzufordern. Die praktische Umsetzung wird hier jedenfalls bei reinen Lieferleistungen, bei denen nicht noch umfangreiche Dienstleistungen (bspw. Wartung, umfangreiche Schulungen, besonderer Service etc.) enthalten sind aber nicht immer ohne tiefgreifende Probleme gelingen. Lieferleistungen sind ihrer Natur nach eine punktuelle Leistung, nämlich eine Lieferung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Nur diese Lieferung ist Gegenstand des Auftrags. Ein seriös arbeitender Bieter wird sich zumindest mit der Zusage schwer tun, während der Lieferung Fördermaßnahmen durchzuführen oder zumindest einzuleiten. Dass die Beschäftigten wie vom OLG angeführt auch zeitgleich mehrere Lieferaufträge parallel bearbeiten und dass einige Maßnahmen nur bedingt einen Bezug sowohl zu den konkreten Lieferleistungen als auch zu den eingesetzten Beschäftigten haben (exemplarisch: die Maßnahmen zur Gewinnung von Mädchen und Frauen für ein betriebliches Praktikum), kommt noch erschwerend hinzu.

Praxistipp

Auftraggeber sollten sorgfältig prüfen, ob bei reinen Lieferaufträgen die Erklärung zur Frauen- und Familienförderung gefordert werden soll. Es erscheint ratsam, im Regelfall hiervon abzusehen, da es für Bieter unverhältnismäßig wäre, während (!) der Ausführung die Maßnahmen durchzuführen. Da dies für alle Bieter gleichermaßen gilt und sich alle auf diesen Ausnahmetatbestand berufen können, ist die Erklärung bei reinen Lieferaufträgen ohne Mehrwert und es kann auf sie verzichtet werden (vgl. weiterführend Fandrey, Tariftreue- und Vergabegesetz, 2014, Rn. 494).

Für gänzlich andere Fälle ist aber das zentrale Argument des Düsseldorfer Vergabesenats äußerst interessant und es ist nicht auszuschließen, dass dies in naher Zukunft weitere Nachprüfungsverfahren hervorrufen wird:

Der Senat verweist darauf, dass die Mitarbeiter, die in den Prozess einer Lieferleistung eingebunden sind, in aller Regel an mehreren Lieferaufträgen gleichzeitig mitwirken und eine Zuordnung von Fördermaßnahmen zu einem konkreten Lieferauftrag nur schwer möglich ist. Dieses Argument gilt in noch gesteigertem Maße für Dienstleistungsaufträge, bei denen die Arbeit für zahlreiche Kunden parallel erledigt wird. Anschaulich ist dies bei Briefdienstleistungen und Wäschereileistungen. Die Beschäftigten tragen hier die Briefe unterschiedlichster Absender aus bzw. waschen die Wäsche von unterschiedlichen Auftraggebern, ohne dass hier eine Zuordnung zu einem konkreten Lieferauftrag möglich ist. Es wird für die eingesetzten Beschäftigten auch von nachrangiger Bedeutung sein, wessen Briefe sie gerade austragen; wichtiger ist, wohin der Brief soll. Gerade bei den genannten Dienstleistungen lässt sich daher regelmäßig die Kritik vernehmen, die sich hier vorrangig gegen die Mindestlohnvorgaben gemäß § 4 TVgG-NRW richtet. Mit Blick auf die Aussage des OLG Düsseldorf, die diesen Einwand für relevant erachtet, sind Konfrontationen zu erwarten. Dies insbesondere angesichts der strengen Haltung der Landesregierung in der landeseigenen FAQ-Liste, wonach auch bei Briefdienstleistungen die Zahlung eines vergabespezifischen Mindestlohns den Anbietern zuzumuten sei.

Hinweis der Redaktion: Auf dem 1. Deutschen Vergabetag am 23. Oktober in Berlin spricht u.a. Heinz-Peter Dicks, Vorsitzender Richter, 27. Zivilsenat, Vergabe- und 2. Kartellsenat, Oberlandesgericht Düsseldorf. Zu Programm & Anmeldung.