Zuschlagsverbot bei unzumutbaren Bewerbungsbedingungen und fehlerhafter Gebietslosbildung (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.06.2014 – VII-Verg 38/13)
Der Beschluss des OLG Düsseldorf ist die dritte Entscheidung eines Nachprüfungsorgans, die sich mit der Anfang 2013 begonnenen Ausschreibung mehrerer Arzneimittel-Rahmenrabattverträge durch zwei gesetzliche Krankenkassen beschäftigt. Ein Unternehmen fühlte sich durch die Vergabeunterlagen diskriminiert und so an der Abgabe eines eigenen Angebotes gehindert. Das OLG Düsseldorf untersagt den Zuschlag, was mehr ist, als der antragstellende Wettbewerber selbst wollte.
Die Entscheidung beschäftigt sich mit den Fragen, welche Angaben für den Bieter bereits mit der Angebotsabgabe zumutbar sind und der Bildung von Gebietslosen.
Richtlinie 2004/18/EG Art. 44 Abs. 1; Richtlinie 2014/24/EU Art. 58 Abs. 1 Satz 1; SGB V § 130a Abs. 8; GWB § 97 Abs. 3 Satz 2, § 110 Abs. 1; VOL/A 2009 § 7 EG Abs. 1 Satz 1, Abs. 12
Leitsatz (nicht amtliche Leitsätze)
- Lieferanten des Auftragnehmers sind nicht Nachunternehmer; sie können jedoch den Vorschriften über die sog. Eignungsleihe unterfallen, weil der Begriff der Eignungsleihe weiter ist als jener des Unterauftrags.
- Die Verpflichtung, vom Auftraggeber verlangte Eignungsnachweise vor Ablauf der Angebotsfrist einzureichen ist unbeachtlich, wenn dieses im konkreten Einzelfall für den Bieter unzumutbar ist.
- Technische Gründe, die von einer Losaufteilung absehen lassen, müssen im Auftrag selbst begründet sein und damit im Zusammenhang stehen. Dies ist jedenfalls nicht der Fall bei einer bereits vorhandenen, aber abänderbaren Software, die eine bloße Hilfsfunktion erfüllt, selbst wenn die Software gravierend geändert werden muss.
Sachverhalt
Zwei gesetzliche Krankenkassen schreiben im offenen Verfahren für ihre Bereiche (Gebietslose) Rahmenrabattverträge über die Lieferung des Wirkstoffs Interferon beta-1b aus. Die Vergabeunterlagen sehen vor, dass die Bieter mit dem Angebot eine Eigenerklärung u.a. zum Nachweis eigener und fremder Lieferkapazitäten unter Benennung von Unterauftragnehmern (womit Vorlieferanten gemeint waren) abzugeben haben. Verpflichtungserklärungen oder Ablichtungen von Lieferverträgen zum Nachweis der Lieferkapazitäten sollten nur von den beiden bestplatzierten Bietern vorgelegt werden.
Die Antragstellerin, ein Arzneimittelimporteur, fühlt sich hierdurch benachteiligt und beantragt ohne ein eigenes Angebot abzugeben -, den Krankenkassen die Forderung von Eigenerklärungen zum Nachweis eigener und fremder Lieferkapazitäten unter Benennung von Unterauftragnehmern zu untersagen.
Die Entscheidung
Das OLG Düsseldorf hält den Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet und untersagt den Krankenkassen die Zuschlagserteilung.
1. Das Vorliegen der Lieferfähigkeit als eine Form der Leistungsfähigkeit ist als Eignungskriterium grundsätzlich zugelassen. Im konkreten Fall muss die Eignungsanforderung aber mit dem Ausschreibungsgegenstand zusammenhängen und angemessen sein. Einen Beurteilungsspielraum der Vergabestelle hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Ausschreibungsgegenstand und zu vergebender Leistung sowie im Hinblick auf die Angemessenheit der Eignungsanforderungen besteht nicht. Es handelt sich bei diesen Kriterien um unbestimmte Rechtsbegriffe, die in rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt überprüft werden können. Lediglich die Festlegung von Eignungsanforderungen unterliegt der Zuständigkeit und Einschätzung des Auftraggebers.
Diesen Zusammenhang von Auftragsgegenstand und Lieferfähigkeit bejaht das OLG. Denn der Auftraggeber hat bei einem Liefervertrag über Arzneimittel ein unmittelbares Interesse daran, die Lieferfähigkeit seines Vertragspartners in zumutbarer Weise vor einem Vertragsabschluss sicherzustellen. Er muss sich nicht auf Vertragsstrafen- oder Schadensersatzansprüche verweisen lassen. Die konkrete Forderung nach dem Nachweis der Lieferfähigkeit in Höhe von 50% der Dosiermenge, hält das Gericht für zulässig.
2. Hiervon zu unterscheiden sind die zum Nachweis der Lieferfähigkeit geforderten Nachweise. Die Forderung von Nachweisen darf Bieter nicht unzumutbar belasten und muss ebenfalls durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt sein. Hierbei handelt es sich auch um gerichtlich überprüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe, so dass kein Beurteilungsspielraum des Auftraggebers besteht.
Das mehrstufige Nachweisverfahren von Eigenerklärungen mit dem Angebot und Verpflichtungserklärungen/Lieferzusagen bzw. Ablichtungen der Lieferverträge von (Vor)Lieferanten durch die beiden Bestplatzierten, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar sind die Lieferanten des Auftragnehmers keine Vorunternehmer. Sie können jedoch den Vorschriften über die Eignungsleihe unterfallen, da der Begriff der Eignungsleihe weiter ist, als der des Unterauftrages (§ 7 Abs. 9 VOL/A EG).
Das OLG hält es für möglich, dass die Verpflichtung zur namentlichen Benennung von Lieferanten und deren jeweilige Lieferkapazitäten in Eigenerklärungen mit dem Angebot durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sein kann entscheidet dies aber nicht. Denn diese Forderung ist jedenfalls für Arzneimittelimporteure unzumutbar. Denn um wahrheitsgemäße Angaben zu machen, müssen Importeure dazu bereits vor Angebotseinreichung die Beschaffungsmodalitäten für den Wirkstoff, die Mengen und die Dosiereinheiten detailliert klären und sich von Lieferanten verbindlich Lieferungen in bestimmtem Umfang zusagen lassen. Anderenfalls sind sie von einem Angebotsausschluss bedroht. Diese Angaben könnten im Vergabeverfahren etwa bei der Vorlage verbindlicher Lieferzusagen nicht mehr korrigiert werden. Im Gegensatz dazu Hinzu kommt, dass die Importeure dadurch gegenüber pharmazeutischen Herstellern und deren Vertriebsunternehmen diskriminiert und in der Teilnahme am Wettbewerb behindert, weil diese ihre Lieferbeziehungen und -kapazitäten weitaus einfacher, nämlich innerhalb des Konzerns, verbindlich ordnen und benennen können.
Zwar schreibt § 7 Abs. 12 VOL/A-EG vor, dass Bieterunternehmen verpflichtet sind, die Nachweise, deren Vorlage der Auftraggeber zum Beleg der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit gefordert hat, in Fällen der vorliegenden Art vor Ablauf der Angebotsfrist einzureichen haben. Dabei handelt es sich freilich um einen Grundsatz, der dann an rechtliche Grenzen stößt, wenn Bietern in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zuzumuten ist, verlangte Eignungsnachweise innerhalb der Angebotsfrist vorzulegen.
3. Zu beanstanden ist auch die Aufteilung der Ausschreibung in lediglich zwei Gebietslose entsprechend der Geschäftsbereiche der beiden Krankenkassen. Für eine mögliche Unterteilung auf weitere Teillose sprechende Gründe sind nicht hinreichend herausgearbeitet, dargestellt und abgewogen worden. Die von den Krankenkassen als entscheidend herausgestellte, derzeit von Ärzten und Apothekern verwendete Computersoftware und deren behauptete Unvereinbarkeit mit weiteren Gebietslosbildung ist unerheblich. An der Kompatibilität mit einer vorhandenen, aber technisch änderbaren Computersoftware ist die Entscheidung des Auftraggebers über eine Losaufteilung rechtlich nicht zu messen. Dabei handelt es sich um keinen beachtlichen technischen Grund im Sinn des § 97 Abs. 3 Satz 2 GWB. Technische Gründe, die von einer Losaufteilung absehen lassen, müssen im Auftrag selbst begründet sein und damit im Zusammenhang stehen. Davon kann bei der in Rede stehenden Software nicht gesprochen werden. Ihr kommt lediglich eine Hilfsfunktion bei der rechnerischen Abwicklung zu. Die Software ist einer nach Maßgabe des § 97 Abs. 3 Satz 2 GWB vom Auftraggeber vorgenommenen Losaufteilung deshalb anzupassen, auch wenn die Anpassung gravierend ist.
Rechtliche Würdigung
Das Gericht hat mit begrüßenswerter Klarheit die vergaberechtlich geschützten Informationsinteressen des Auftraggebers, aber auch seine vergaberechtlichen Gestaltungsgrenzen aufgezeigt. Zu den geschützten Interessen zählt die Lieferfähigkeit des Bieters, auch wenn er sich auf Lieferanten stützt. Entschieden hat das OLG dies zwar nur für den Arzneimittellieferungsvertrag. Weil aber der tragende Grund der Auftraggeber muss sich im Falle von Leistungsausfällen nicht mit Schadensersatz- oder Vertragsstrafenansprüchen begnügen verallgemeinert werden kann, wird die Position der Auftraggeber im Vergabeverfahren damit allgemein gestärkt.Noch stärker herausgearbeitet hat das OLG die dem Auftraggeber gesetzten Grenzen. Die Festlegung von Eignungsanforderungen und die Festlegung der geforderten Nachweise hierfür steht nicht im Ermessen des Auftraggebers, sondern ist uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Selbst wenn der Zeitpunkt der Vorlage der geforderten Nachweise in der Vergabeordnung ( vor Ablauf der Angebots- oder Teilnahmefrist – § 7 EG Abs. 12 VOL/A) bestimmt ist, kann dies im Einzelfall für den Bieter unzumutbar und damit unbeachtlich sein. Auch bei der Gebietslosbildung zeigt sich die Strenge des OLG. Was nicht im Auftrag selbst begründet ist, kann einer Gebietslosbildung nicht entgegenstehen. Hier muss sich der Auftraggeber anpassen, nicht die Bieter.
Praxistipp
Einen Aspekt möchte ich an dieser Stelle besonders hervorheben: Die Rolle des Gerichts im Nachprüfungsverfahren. Es ist eine der wenigen Entscheidungen, bei denen die Rechtsprechung den Untersuchungsgrundsatz ernst nimmt und sich nicht auf die (bestehende aber bedenkliche) Rolle des bloßen Nachvollziehens von (unzulässigerweise immer noch geforderten) Rügen beschränkt. Denn die fehlerhafte Gebietslosbildung war im Vergabeverfahren nicht gerügt worden. Trotzdem hat das OLG diesen Vergabefehler aufgegriffen. Wünschenswert wäre es, wenn die Rechtsprechung weit öfter und weit intensiver von den Möglichkeiten des Untersuchungsgrundsatzes Gebrauch macht. Hierzu zählt auch, dass das OLG im Bestreben die geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Vergaberechtsverletzung zu finden, über den Antrag des Bieters hinausgegangen ist. Manche Vergabefehler sind eben nur zu heilen, wenn die Zuschlagserteilung untersagt und damit das Vergabeverfahren faktisch aufgehoben wird