BVerfG: Höchstzahl von Optionskommunen verfassungsgemäß (Urt. v. 07.10.2014 – 2 BvR 1641/11)
Karlsruhe hat gesprochen: Die Festlegung einer Höchstgrenze von Optionskommunen ist verfassungsgemäß. Kommunen und Kreise haben keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, die Langzeitarbeitslosen in ihrem Einzugsgebiet in eigener Verantwortung zu betreuen. Das Urteil stärkt die Position des Bundes. Dennoch haben kommunale Akteure weiterhin Möglichkeiten, individuelle Wege zu gehen.
Art. 28, 91e GG, §§ 6a, 6b SGB II
Sachverhalt
Gemeinsame Einrichtungen Kooperation mit Schwierigkeiten
In dem Verfahren wehrten sich 15 Landkreise und die Stadt Leverkusen gegen die gesetzlichen Bedingungen in § 6a Abs. 2 S. 3, 4 SGB II, unter denen kommunale Aufgabenträger die Langzeitarbeitslosen vor Ort in Eigenregie betreuen dürfen. Bisher arbeiten sie mit den örtlichen Agenturen der Bundesagentur für Arbeit zusammen. Seit das Bundesverfassungsgericht diese Arbeitsgemeinschaften als unzulässige Mischverwaltung untersagte (Urteil vom 20.12.2007, BVerfGE 119, 331), erfolgt die Kooperation gemäß Art. 91 e Abs. 1 GG als gemeinsame Einrichtung von Bund und kommunalen Trägern.
Die Abhängigkeit der Kommunen und Kreise von der Bundesagentur für Arbeit wird schon seit einiger Zeit als ungenügend kritisiert: Sie seien naturgemäß näher am Geschehen vor Ort und besser mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut. Demgegenüber könne die Bundesagentur für Arbeit von ihrer Nürnberger Zentrale aus die spezifischen Gegebenheiten vor Ort weniger gut berücksichtigen. Hinzu kommt, dass kommunale Träger mit dem Aufsetzen vieler kleinteiliger Arbeitsmarktmaßnahmen bessere Erfahrungen gemacht haben als mit den zentralisierten und baukastenartig entwickelten Maßnahmen der Bundesagentur. Eine individuelle Steuerung sei mit ihr nicht oder nur schwer möglich. Dies schlägt sich häufig in schlechteren Vermittlungsquoten nieder, so die Kritiker.
Weiterer Streitpunkt: Nach § 6a Abs. 3 hat der Bundesrechnungshof das Recht zur Finanzkontrolle der Optionskommunen. Nach § 6b Abs. 4 SGB II werden dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales Prüfbefugnisse gegenüber den Optionskommunen eingeräumt. Die Kläger sahen hierin eine unzulässige Einmischung des Bundes.
Optionskommunen ein Modell macht Schule
Eine Ausnahme von den gemeinsamen Einrichtungen bilden die Optionskommunen. Der Haken: Für die Auswahl als Optionskommune mussten sich die Kreise und Kommunen seinerzeit bewerben. In einem früheren ersten Zulassungsverfahren wurden 69 Kommunen ausgewählt.
Nachdem sich die Vorteile des Modells zeigten, wurde im Zuge der Abschaffung der Arbeitsgemeinschaften später ein weiteres Zulassungsverfahren eingeleitet. Rechtsgrundlage hierfür war der neue Art. 91e Abs. 2 GG. Dieser bestimmt:
Der Bund kann zulassen, dass eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde die Aufgaben nach Absatz 1 allein wahrnimmt. Die notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungsausgaben trägt der Bund, soweit die Aufgaben bei einer Ausführung von Gesetzen nach Absatz 1 vom Bund wahrzunehmen sind.
Beworben hatten sich in dieser zweiten Runde 77 Kreise und Kommunen, ausgewählt wurden jedoch nur 41. Seitdem gilt die Höchstgrenze von 110 zugelassenen Optionskommunen, weitere kamen nicht hinzu. Hiergegen klagten die 15 Landkreise und die Stadt Leverkusen ohne Erfolg.
Die Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht entschied nun: Ein Anspruch weiterer kommunaler Träger auf Zulassung als Optionskommune besteht nicht.
Die Nichtzulassung als Optionskommune verletzt die Kreise und Kommunen nicht in ihrer Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG, so die Karlsruher Richter. Wörtlich heißt es hierzu in dem Urteil:
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist keine Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft. Ihre unterlassene Übertragung berührt Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG von vornherein nicht. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind nur diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln, also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen vor Ort betreffen. Fürsorge- und sozialversicherungsrechtliche Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende lassen sich darunter nicht fassen. Die den Optionskommunen zusätzlich zu übertragenden Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II betreffen die Eingliederung in Arbeit, die normalerweise Gegenstand der Arbeitslosenversicherung ist und von der Bundesagentur für Arbeit überregional und im Bundesgebiet einheitlich wahrgenommen wird. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass Ansprüche auf Sozialhilfe durch die Grundsicherung für Arbeitsuchende abgelöst worden sind, Sozialhilfe jedoch von den kreisfreien Städten und Landkreisen nach Maßgabe der landesrechtlichen Vorschriften in eigener Verantwortung geleistet wird.
Das Zulassungsverfahren muss zwar transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet werden. Die bisherigen Auswahlverfahren hielt das Bundesverfassungsgericht aber für rechtmäßig.
Nicht beanstandet hat Karlsruhe schließlich die Prüfbefugnisse des Bundes gegenüber den Optionskommunen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist im Rahmen der Finanzkontrolle somit befugt, die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsgemäßheit der von den zugelassenen kommunalen Trägern verausgabten Bundesmittel anhand der vorgelegten Jahresabschlussrechnung zu prüfen und dabei auch die Gesetzmäßigkeit der Ausgaben zu kontrollieren. Es darf zu diesem Zweck Informationen vor Ort erheben und auch ohne konkreten Anlass bei den zugelassenen kommunalen Trägern Prüfungen durchführen.
Praxistipp
Verbleibende Spielräume nutzen
Seit ihrer Zulassung arbeiten die Optionskommunen recht erfolgreich. Sie nutzen die neu geschaffenen Spielräume in eigener Verantwortung und verzeichnen wachsende Vermittlungserfolge. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Zulassung weiterer Optionskommunen besteht jedoch nicht. Damit sind die Kreise und Kommunen also auf den Willen des Bundesgesetzgebers angewiesen, weitere Optionskommunen zuzulassen.
Das heißt jedoch nicht, dass Jobcenter ohne den Status einer Optionskommune keine Spielräume mehr hätten. Bundesweit entscheidet sich eine wachsende Zahl von Geschäftsführungen zunehmend für die Möglichkeit, Arbeitsmarktdienstleistungen in Eigenregie zu beschaffen, statt die Leistungen von den Regionalen Einkaufszentren einzukaufen. Auch so können passgenaue Maßnahmen entwickelt und der Einfluss auf den Ausgang von Beschaffungsentscheidungen erhöht werden. Hinzu kommt, dass hohe Einsparungen zu erzielen sind, wenn Leistungen der laufenden Verwaltung wie Reinigungs- und Hausmeisterdienste, Postdienstleistungen oder Strom- und Gasversorgungsverträge eigenverantwortlich und nicht über das örtliche REZ eingekauft werden. Wer die vorhandenen Spielräume nutzt, kann also trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eigenständige Wege gehen und die eigene Beschaffung individuell steuern.