Schadensersatz bei öffentlichen Ausschreibungen (OLG Köln, Urt. v. 23.7.2014 – 11 U 104/13)

EntscheidungBei einer öffentlichen Ausschreibung entsteht mit der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis (BGH, Urteil v. 8.11.1984 VII ZR 51/84). Es verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber dazu, das Vergaberecht einzuhalten, wenn wie hier unstreitig auf der Grundlage der VOB/A ausgeschrieben wurde. Dementsprechend darf ein Unternehmer auf die Beachtung der VOB/A durch den öffentlichen Auftraggeber vertrauen.Die schuldhafte Verletzung seines Vertrauens ist grundsätzlich dazu geeignet, Schadensersatzansprüche zu begründen, die auf das sog. positive Interesse (Erfüllungsschaden) und/oder sog. negative Interesse (Vertrauensschaden) gerichtet sein können. Seit der Schuldrechtsreform sind diese Schadensersatzansprüche in den §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB gesetzlich normiert. Sie stellen die maßgebliche Anspruchsgrundlage neben § 126 Satz 1 GWB des sekundären Rechtsschutzes im Vergaberecht dar.

§ 17 VOB/A; §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB; §§ 249, 252, 649 Satz 3 BGB

Leitsätze (nicht amtlich)

  1. Den entgangenen Gewinn (positives Interesse) kann ein grundsätzlich ersatzberechtigter Bieter nur dann verlangen, wenn er ohne den Vergaberechtsverstoß sowie ansonsten ordnungsgemäßer Vergabe den Zuschlag hätte erhalten müssen und wenn der ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag vergeben wurde.
  2. Zur Begründung der Höhe eines entgangenen Gewinns kann sich der ersatzberechtigte Bieter nicht lediglich pauschal auf eine Analogie zu § 649 Satz 3 BGB berufen und erklären, ihm stehe per se ein entgangener Gewinn in Höhe von 5% seiner Angebotssumme zu.
  3. Die Mitarbeiter-/Geschäftsführerkosten (negatives Interesse) kann ein grundsätzlich ersatzberechtigter Bieter nur dann verlangen, wenn er die Mitarbeiter/Geschäftsführer alternativ für einen anderen Zweck als die Angebotserstellung hätte einsetzen können und in diesem Fall Gewinne erzielt worden wären.

Sachverhalt

Die beklagte Vergabestelle hat Zimmererarbeiten für den Neubau einer internationalen Kindertagesstätte öffentlich nach der VOB/A ausgeschrieben. Die Klägerin beteiligte sich an der bekanntgemachten Ausschreibung mit dem wirtschaftlichsten Angebot. Nach Angebotsöffnung teilte die Beklagte mit, dass sie die öffentliche Ausschreibung nach § 17 VOB/A wegen schwerwiegender Gründe (nicht eindeutige Leistungsbeschreibung zur Oberflächenqualität der Brettsperrholzelemente, die irrtümlich nur in Industriesichtqualität anstatt Wohnsichtqualität beschrieben waren) aufgehoben und ein neues Verfahren als freihändige Vergabe eingeleitet hat. Beide Vergabeverfahren betrafen weitgehend denselben Beschaffungsvorgang, lediglich das Leistungsverzeichnis wurde in vier Positionen abgeändert.

Die Klägerin monierte gegenüber dem beklagten öffentlichen Auftraggeber und der Nachprüfungsstelle (i.S.d. § 21 VOB/A) vor Ablauf der Angebotsabgabefrist erfolglos vergaberechtliche Verfahrensverstöße, insbesondere die Rechtswidrigkeit der Aufhebung. Gleichwohl gab die Klägerin ein der veränderten Leistungsbeschreibung angepasstes Angebot ab, das nicht mehr das wirtschaftlichste war. Der Zuschlag wurde der Klägerin daher nicht erteilt.

Die Klägerin begehrte darauf hin von der beklagten Vergabestelle einen entgangenen Gewinn in Höhe von 5% ihrer Angebotssumme (§ 649 Satz 3 BGB analog). Sie war der Ansicht, dass ihr bei einem regelgerechten Vergabeverfahren der Zuschlag hätte erteilt werden müssen, weil die öffentliche Ausschreibung inhaltlich eindeutig eine Industriesichtqualität beschrieben habe, sodass die Aufhebung rechtswidrig war. Zudem forderte sie den Ersatz der Aufwendungen für die Teilnahme an der öffentlichen Ausschreibung sowie der freihändigen Vergabe, wobei sie hauptsächlich die Kosten ihrer Mitarbeiter und die Arbeitsstunden ihres Geschäftsführers angesetzt hat.

Das angerufene Landgericht hat die Klage in erster Instanz abgewiesen, soweit der Ersatz des positiven Interesses (entgangener Gewinn) beansprucht wurde, und der Klage stattgegeben, soweit Ersatz des negativen Interesses (Aufwendungen) begehrt wurde. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses schon deshalb ausscheide, weil die Klägerin nicht dargelegt habe, dass sie bei ordnungsgemäßer Durchführung der öffentlichen Ausschreibung den Zuschlag hätte erhalten müssen. Hingegen habe die Beklagte den zur Aufhebung der Ausschreibung führenden Grund zu vertreten und sei der Klägerin zum Ersatz des negativen Interesses verpflichtet.

Gegen das landgerichtliche Urteil haben sich beide Streitparteien mit Berufung zum OLG Köln gewandt.

Die Entscheidung

Der Zivilsenat am Kölner OLG hat die klägerische Berufung auf Ersatz des entgangenen Gewinns dem Grunde und der Höhe nach zurückgewiesen.

Ob und inwieweit die beklagte Vergabestelle ihre Pflichten aus dem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis durch Missachtung der VOB/A verletzt hat, konnte im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn den Ersatz eines entgangenen Gewinns kann ein grundsätzlich ersatzberechtigter Bieter nur dann verlangen, wenn er ohne den Verstoß sowie bei auch ansonsten ordnungsgemäßer Vergabe den Zuschlag hätte erhalten müssen und wenn der ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag vergeben wurde.

Nach Ansicht des OLG Köln war dies vorliegend nicht der Fall. Denn die Klägerin hat die tatsächlich von der Beklagten gewünschte Wohnsichtqualität nicht angeboten, sodass der Auftrag nicht an die Klägerin hätte erteilt werden können. Die Klägerin verkennt, dass ein öffentlicher Auftraggeber durch das Vergaberecht gerade nicht dazu verpflichtet wird, Aufträge für Leistungen zu vergeben, die er nicht oder nicht so erhalten möchte. Zwar steht es nicht im Belieben des öffentlichen Auftraggebers, eine Angebotsabgabe ohne weiteres zu wiederholen. Allerdings kann die Vergabestelle auch nicht nach Gutdünken, vor oder nach Angebotsöffnung einem Bieter Gelegenheit zur Änderung seines Angebotes einräumen. Dementsprechend hat die Beklagte mit der Ausschreibungsaufhebung und der anschließenden freihändigen Vergabe auch kein Vergabeverfahren willkürlich wiederholt, sondern hat nach der Erkenntnis, dass ihre Leistungsbeschreibung zumindest mehrdeutig gewesen sein konnte, weil selbst die Klägerin die öffentliche Ausschreibung nicht so verstanden hat wie dies von der Beklagten gemeint war, allen Bietern einschließlich der Klägerin die gleichen Chancen eingeräumt, ihre Angebote ggf. an das tatsächlich gewünschte Leistungssoll (hier Wohnsichtqualität anstatt Industriesichtqualität) anzupassen. Deshalb kommt eine Haftung der Beklagten auf das positive Interesse vorliegend nicht in Betracht, unabhängig davon, ob der Verfahrensverstoß vorlag oder nicht. Denn wenn die öffentliche Ausschreibung dahingehend zu verstehen gewesen ist, dass die Leistungsbeschreibung objektiv eine Wohnsichtqualität beschrieben hat, so war das klägerische Angebot nicht ausschreibungskonform und damit nicht zuschlagsfähig.

War die ursprüngliche Ausschreibung hingegen objektiv mehrdeutig oder eindeutig auf Industriesichtqualität gerichtet, so musste die Beklagte dennoch nicht sehenden Auges einen Auftrag erteilen, den sie in anderer Ausführung vergeben wollte als dies von der Klägerin ursprünglich offeriert wurde. Zwar mag es in solchen Fällen am Maßstab von § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A unzulässig sein, eine öffentliche Ausschreibung aufzuheben, wenn Fehler der Leistungsbeschreibung in einer der Vergabestelle zurechenbaren Weise festzustellen sind. Allerdings trifft den öffentlichen Auftraggeber bei einem rechtswidrigen Vergabeverfahren kein Kontrahierungszwang, sondern allenfalls eine Schadensersatzpflicht. Insoweit konnte die Klägerin allerdings nicht darlegen, dass der Auftrag im freihändigen Vergabeverfahren zu den gleichen bzw. wirtschaftlich entsprechenden Konditionen vergeben worden wäre wie im Rahmen der öffentlichen Ausschreibung. Nach Auffassung der Kölner Richter unterscheiden sich die tatsächliche Auftragsvergabe und das ursprüngliche klägerische Angebot so sehr, dass nicht der öffentliche ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag tatsächlich vergeben worden sei. Ausschlaggebend sei, dass Änderungen erfolgt sind, die aus Sicht der Vergabestelle so maßgeblich waren, dass sie deshalb eine erneute (freihändige) Vergabe durchgeführt hat.

Ungeachtet dessen war die Klage auf Ersatz des entgangenen Gewinns (§§ 249, 252 BGB) auch deshalb erfolglos, weil sich die Klägerin zur Begründung der Schadenshöhe lediglich pauschal auf eine Analogie zu § 649 Satz 3 BGB berufen hat und erklärte, ihre stehe deshalb ein entgangener Gewinn in Höhe von 5% ihrer Angebotssumme zu, was die Beklagte bestritten hat. Der Kölner Zivilsenat führt hierzu aus, dass jedenfalls im Bestreitensfalle – aus § 649 Satz 3 BGB kein verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke gefolgert werden kann. Eine solche Analogie würde darauf hinauslaufen, dass eine allgemeine tatsächliche Vermutung im Werkvertragsrecht bestünde, dass jeder Werkunternehmer mit einem Mindestgewinn von 5% kalkuliert und grundsätzlich auch in der Lage wäre, diesen nach Abzug ersparter Aufwendungen zu erzielen. Insoweit fehlt es bereits an einer erkennbaren planwidrigen Regelungslücke im Gesetz, so das OLG Köln.

Die Berufung der Beklagten hingegen war erfolgreich, weil die Klägerin bloße Sowiesokosten forderte. Dies betrifft insbesondere die Kosten für die fest angestellten Mitarbeiter der Klägerin sowie die Arbeitszeit ihres Geschäftsführers. Ob und in welcher Höhe ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist, beurteilt sich nach der sog. Differenztheorie. Bei Anwendung der Differenztheorie ist ein Schaden aber grundsätzlich dann nicht feststellbar, wenn ohne nähere Darlegungen nur die vergebliche Arbeitszeit der von der Klägerin für die Erstellung des Angebots eingesetzten Mitarbeiter geltend gemacht wird. Denn die Mitarbeiter hätten unabhängig von der Teilnahme am Vergabeverfahrens sowieso bezahlt werden müssen. Ein ersatzfähiger Schaden wäre der Klägerin nur dann entstanden, wenn sie die Mitarbeiter alternativ für einen anderen Zweck hätte einsetzen können und in diesem Fall Gewinne erzielt worden wären, die ihr entgangen sind, so das Kölner OLG. Gleiches gilt im Ergebnis für die aufgewandte Arbeitszeit des Geschäftsführers.

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Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Köln ist im Ergebnis zutreffend. Sie zeigt einmal mehr, dass die Geltendmachung von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen des vermeintlichen Bestbieters, die auf das positive und/oder negative Interesse gerichtet sind, nicht per se Erfolg verspricht. Die zivilprozessuale Darlegungs- und Beweislast ist anders als im Nachprüfungsverfahren eine beachtliche Hürde für die Anspruchsdurchsetzung. Dies gilt selbst dann, wenn wie hier – die Aufhebung einer Ausschreibung durch die Vergabestelle VOB/A-widrig gewesen sein könnte. Ist in einem solchen Fall das Angebot nicht leistungsbeschreibungskonform, so ist verständlich, dass dem vermeintlichen Bestbieter schon dem Grunde nach nicht der Ersatz eines entgangenen Gewinns zugesprochen werden kann, weil ihm der Auftrag auch ursprünglich nicht hätte erteilt werden dürfen. Wünschenswert wäre aber gewesen, wenn das OLG Köln nähere Ausführungen dazu getroffen hätte, aus welchen konkreten Gründen der freihändig vergebene Auftrag bei wirtschaftlicher und technischer Betrachtung (vgl. etwa BGH, Urteil v. 5.11.2002 X ZR 232/00) dem ursprünglich ausgeschriebenen Auftrag nicht entsprochen hat. Alleine der Umstand, dass die Leistungsbeschreibung geändert wurde, muss nicht zwangsläufig den öffentlichen Auftrag verändern.

Schließlich ist dem Kölner OLG darin zuzustimmen, dass es nicht ausreichend sein kann, wenn der Unternehmer seinen entgangenen Gewinn lediglich pauschal unter Berufung auf § 649 Satz 3 BGB der Höhe nach beziffert, ohne den entgangenen Gewinn konkret darzulegen und zu beweisen.