Bewerberauswahl im Teilnahmewettbewerb im Rahmen von Verhandlungsverfahren (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 15.10.2014 – 1 Verg 1/14)

EntscheidungDie vergaberechtlichen Anforderungen an die Auswahl der Bewerber im vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb bei der Durchführung von Verhandlungsverfahren unterscheiden sich von den Vorgaben, die für die Zuschlagskriterien bei der Ermittlung des besten Angebots gelten. Vergaberechtliche Bindungen bestehen aber auch hier. Das OLG Saarbrücken hat mit Beschluss vom 15. Oktober 2014 (1 Verg 1/14) festgestellt, dass eine nach der Bekanntmachung erfolgende Gewichtung der Eignungskriterien sich aus den bekannt gemachten Eignungsanforderungen objektiv ableiten lassen muss. Eine „überraschende“ Gewichtung verstoße demgegenüber gegen die Grundsätze des Wettbewerbs und der Verfahrenstransparenz.

GWB § 97 Abs. 1, 2, 4 und 7; VOF § 3 Abs. 1, § 10 Abs. 2, § 11 Abs. 4; HOAI § 33

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb Objektplanungsleistungen für die Sanierung oder den Neubau eines Berufsbildungszentrums europaweit aus. Von den geforderten Eignungskriterien waren für die Bewerberauswahl Referenzobjekte mit vergleichbarem Schwierigkeitsgrad sowie persönliche Referenzen des vorgesehenen Personals vorgesehen. Die Bewertung der Referenzangaben wurde abschließend erst in der Woche vor dem Ende der Teilnahmefrist abgestimmt und in einer Matrix festgehalten. Demnach sollte die Bewertung der Referenzen im Wesentlichen in Abhängigkeit vom Auftragsvolumen, dem geplanten Objekt und dem Umfang der erbrachten Leistungen erfolgen.

Die Entscheidung

Der gegen die Bewertung der Auswahlkriterien gerichtete Nachprüfungsantrag hatte Erfolg. Das OLG Saarbrücken ist der Auffassung, dass der Auftraggeber mit der Anwendung der von ihm zuvor nicht bekannt gegebenen Bewertungsmatrix gegen die aus § 97 Abs. 1 und Abs. 2 GWB folgenden vergaberechtlichen Grundsätze eines transparenten, diskriminierungsfreien und fairen wettbewerblichen Verfahrens verstoßen hat. Denn für die Bewerber sei weder erkennbar oder auch nur aus den Ausschreibungsunterlagen ableitbar gewesen, dass bei der Bewertung der angegebenen Referenzen dem jeweiligen Auftragsvolumen und den erbrachten Leistungsphasen ein ungleich größeres Gewicht beigemessen werden sollte als der Vergleichbarkeit der Referenzobjekte mit dem ausgeschriebenen Objekt. Damit war es dem Bewerber nicht möglich, entsprechend dieser Vorgaben eine zielgerichtete Bewerbung abzugeben.

Rechtliche Würdigung

Der Vergabesenat stellte im Ausgangspunkt fest, dass der Auftraggeber nach § 10 Abs. 2 VOF lediglich verpflichtet ist, die der Auswahl zugrunde gelegten Eignungskriterien und die erforderlichen Erklärungen und Nachweise bekannt zu geben. Dagegen fehle eine dem § 11 Abs. 4 VOF entsprechende Regelung, wonach (in der zweiten Stufe) alle Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung in der Ausschreibung anzugeben sind.

Aus den vergaberechtlichen Grundsätzen der Transparenz und der Gleichbehandlung folge allerdings, dass jedenfalls dann, wenn der Auftraggeber bereits vor der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung Regeln für die Gewichtung der Auswahlkriterien aufgestellt hat, diese den Bewerbern im Voraus bekannt zu geben sind. Im Umkehrschluss ergebe sich, dass eine vorher nicht feststehende Gewichtung auch nicht bekannt gegeben werden muss. Denn mögliche Bewerber können bereits der Bekanntmachung entnehmen, auf welche Kriterien der Auftraggeber Wert legt. Behält sich der Auftraggeber die Gewichtung der bei der Eignungsprüfung heranzuziehenden Merkmale vor, sind auch keine benachteiligenden Auswirkungen für einzelne Bewerber zu befürchten.

Die vorstehend dargestellten Grundsätze bedeuten jedoch nach Ansicht des OLG Saarbrücken keine vergaberechtliche Bindungslosigkeit für die Gewichtung der Auswahlkriterien nach dem Zeitpunkt der Vergabebekanntmachung: Eine spezifische Gewichtung der Kriterien für die Bewerberauswahl müsse objektiv begründet sein und sich aus der Angabe der Kriterien selbst objektiv ableiten lassen. Denn eine „überraschende“ Gewichtung stelle einen Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz dar, da den Bewerbern dann keine zielgerichtete Erstellung der Teilnahmeanträge ermöglicht wurde. Das Gericht betont außerdem, dass eine Bewertungsmatrix spätestens bis zur Öffnung der Teilnahmeanträge erstellt und dokumentiert sein muss. Eine Erstellung in Kenntnis der eingegangenen Bewerbungen berge die Gefahr eine Beeinflussung und laufe den Grundsätzen des fairen Wettbewerbs und eines transparenten Verfahrens zuwider.

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Praxistipp

Die Entscheidung des Vergabesenats ist überzeugend begründet: Auf der einen Seite müssen Auftraggeber für die Bewerberauswahl im Rahmen eines vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs im Verhandlungsverfahren vor der Bekanntmachung keine Regeln über die Bewertung der Eignungskriterien aufstellen und diese den Bewerbern mitteilen. Auf der anderen Seite ist eine nach der Bekanntmachung erfolgende „überraschende“ Gewichtung bestimmter Eignungskriterien vergaberechtswidrig.

Wenngleich die Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts für die Konstellation eines Verhandlungsverfahrens nach VOF ergangen ist, dürften die zentralen Aussagen der Entscheidung auch für Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb gemäß dem zweiten Abschnitt der VOB/A und der VOL/A von Bedeutung sein.

Für die Praxis der Bewerberauswahl ist es für ein vergaberechtskonformes Vorgehen und unter Berücksichtigung der knappen Fristen in der Regel empfehlenswert, von einer nachträglichen Gewichtung der Eignungskriterien für die Bewerberauswahl abzusehen. Stattdessen sollten für die Bewerber aussagekräftige und für die Auftraggeber zugleich handhabbare Vorgaben bereits in der Bekanntmachung erfolgen.