Prüfung der Eignung: Prognose über Zuverlässigkeit muss Auftraggeber treffen, nicht ein beratendes Projektsteuerungsbüro (VK Südbayern, Beschl. v. 11.09.2014 – Z3-3-3194-1-34-07/14)

EntscheidungDie Festlegung und Prüfung der Eignungsanforderungen ist in Vergabeverfahren neben der Bestimmung und Anwendung der Zuschlagskriterien die wichtigste verfahrensleitende Entscheidung öffentlicher Auftraggeber. Dabei sind die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit der Bieter sowie in personaler Hinsicht deren Zuverlässigkeit zu prüfen. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit beinhaltet eine Prognoseentscheidung, in die ein öffentlicher Auftraggeber auch Erfahrungen aus der Vergangenheit einbeziehen darf. Ein Auftraggeber, der selbst keine eigenen Erfahrungen mit dem betreffenden Bieter gemacht hat, kann grundsätzlich gesicherte Erkenntnisse eines beauftragten Fachbüros heranziehen, darf diese Erfahrungen aber nicht ungeprüft übernehmen.

GWB § 97 Abs. 4 Satz 1; VOB/A §§ 6 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EG, 12 Abs. 2 Nr. 2 EG, 16 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EG

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb Bodenbelagsarbeiten im Rahmen der Erweiterung und Sanierung einer Klinik im Offenen Verfahren europaweit aus. Mit der Durchführung des Vergabeverfahrens wurde ein Projektsteuerungsbüro beauftragt. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Der Auftraggeber schloss das günstigste Angebot wegen mangelnder Zuverlässigkeit des Bieters aus, weil das Projektsteuerungsbüro im Zusammenhang mit einem anderen Vorhaben schlechte Erfahrungen mit diesem Bieter gemacht hatte. Der Vergabevermerk des Auftraggebers enthielt keine Feststellungen des Auftraggebers oder eine sonstige Dokumentation zu den schlechten Vorerfahrungen, auf den der Ausschluss des preisgünstigsten Bieters gestützt wurde.

Die Entscheidung

Der gegen den Ausschluss wegen fehlender Zuverlässigkeit auf Grund schlechter Vorerfahrungen gerichtete Nachprüfungsantrag des preisgünstigsten Bieters hatte Erfolg. Die VK Südbayern ist der Überzeugung, dass der Ausschluss ermessensfehlerhaft gewesen ist, weil eine ungeprüfte Berücksichtigung der Erkenntnisse eines Projektsteuerungsbüros nicht wie eigene Erfahrungen zur Begründung der Unzuverlässigkeit eines Bieters herangezogen werden dürfen. Da der Auftraggeber die Erkenntnisse des Fachbüros ungeprüft übernommen habe, fehle es an einer ordnungsgemäßen Überprüfung des Sachverhalts. Außerdem erfolgte die Entscheidung auf Grund fehlender Dokumentation des Auftraggebers auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage.

Rechtliche Würdigung

Zuverlässig ist ein Bieter grundsätzlich dann, wenn er unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände eine ordnungsgemäße und vertragsgerechte Ausführung der ausgeschriebenen Leistung einschließlich der Erbringung der Gewährleistung erwarten lässt.

Der Auftraggeber überprüft die Eignung des Bieters mittels einer Prognoseentscheidung. Wie bei jeder Prognoseentscheidung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist. Der Beurteilungsspielraum ist nach Auffassung der VK Südbayern jedoch überschritten, wenn das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten, von einem unzutreffenden bzw. nicht hinreichend ermittelten oder überprüften Sachverhalt ausgegangen worden ist, sachwidrige Erwägungen für die Entscheidung verantwortlich waren oder ein Beurteilungsspielraum nicht zutreffend angewandt wurde (st. Rspr. der Vergabesenate, vgl. hierzu den Beitrag des Autors Vergabeblog.de vom 12/11/2013, Nr. 17364)

Zwar darf ein Auftraggeber nach zutreffender Ansicht der Kammer auch Erfahrungen beauftragter Büros zur Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Bieters heranziehen. In dieser Hinsicht sei zudem nicht erforderlich, dass hierauf bereits in der Auftragsbekanntmachung hingewiesen wurde. Es müssen allerdings gesicherte Erkenntnisse vorliegen, weshalb ungeprüfte Erfahrungen eines Projektsteuerungsbüros nicht genügen. Die Vergabekammer Südbayern stellt wörtlich fest:

„[Der Auftraggeber] muss zumindest die unterschiedlichen Interessenlagen der Büros und der betreffenden Bieter im Auge haben. Ein Architektur- oder Projektsteuererbüro wird bei einem in der Vergangenheit mit einem bestimmten Bieter konfliktreich verlaufenem Bauvorhaben häufig ein Interesse daran haben, dem Bieter die Alleinverantwortung für die aufgetretenen Schwierigkeiten zuzuschieben, schon allein um von etwaigen eigenen Versäumnissen abzulenken.“

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Praxistipp

Auftraggeber besitzen grundsätzlich erhebliche Spielräume bei der Beurteilung der Frage, ob ein Bieter auf Grund schlechter Erfahrungen wegen fehlender Zuverlässigkeit ausgeschlossen werden kann. Die hierbei zu treffende Prognoseentscheidung kann von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüft werden. Auftraggeber dürfen auch Erkenntnisse beauftragter Fachbüros berücksichtigen, sind jedoch gehalten, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Besonders wichtig ist es, die Tatsachengrundlagen und die getroffene Abwägungsentscheidung hinreichend zu dokumentieren.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die neue Vergaberichtlinie 2014/24/EU (VergRL) eine Regelung zum Ausschluss von Bietern wegen schlechter Vorerfahrungen enthält (Art. 57 Abs. 4 lit. d) VergRL). Die Richtlinie sieht außerdem eine Vorschrift zur sogenannten Selbstreinigung von Bietern vor, wenn deren Zuverlässigkeit und Gesetzestreue (beispielsweise wegen Kartellabsprachen) in Frage stand (Art. 57 Abs. 6 VergRL).