Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Entwurf) – Die wichtigsten Neuerungen
Die größte Reform des Vergaberechts seit 2004 nimmt Gestalt an. Am 30.04.2015 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie den „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014 – Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergModG)“ vorgelegt. Dieser Beitrag beleuchtet die wichtigsten Neuerungen des Entwurfs.
Einführung
Für alle, die noch eine Resthoffnung auf die in Brüssel wieder einmal versprochene Vereinfachung des Vergaberechts hatten, sei gleich vorweggenommen: Das GWB-Vergaberecht wird nicht etwas schlanker und übersichtlicher, sondern umfangreicher und ausdifferenzierter. Ablesbar ist das schon an der Anzahl der Normen. Während der bisherige 4. Teil des GWB 45 Paragrafen enthält, bringt es der Entwurf auf 90 Paragrafen. Trotz einer Verdopplung der Vorschriften sind dem BMWi keineswegs die Bemühungen abzusprechen, das GBW-Vergaberecht logischer zu ordnen und das Vergaberecht dadurch insgesamt übersichtlicher zu gestalten. Nachdem der Autor vor etwas über einem Jahr die zehn wichtigsten Neuerungen der Richtlinie 2014/24/EU (Teil 1 und Teil 2) beleuchtet hat, sollen die Vergabeblog-Leser hier einen Überblick über die konkreten Umsetzungspläne für einen neuen 4. Teil des GWB erhalten.
1. Allgemeines
Der 4. Teil des GWB beginnt unverändert mit § 97, der die Grundsätze des Vergaberechts enthält. § 97 regelt wie bisher die Grundsätze der Vergabe öffentlicher Aufträge. § 97 Abs. 1 nennt nun erstmals den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dessen Geltung im Vergaberecht auch bisher schon anerkannt war, etwa mit Blick auf den Umfang geforderter Eignungsnachweise.
Mit dem neuen § 97 Abs. 5 hält die E-Vergabe Einzug in das GWB. Danach verwenden Auftraggeber und Unternehmen für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren grundsätzlich elektronische Mittel. Allerdings gelten für die Umsetzung der e-Vergabe teilweise längere Fristen.
Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers wird künftig unterteilt nach „klassischen“ Auftraggebern (§ 99) sowie Sektorenauftraggebern (§ 100) und Konzessionsauftraggebern (§ 101) definiert. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff des öffentlichen Auftrags: § 103 definiert Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe. § 104 legt den Begriff der verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträge fest und § 105 bestimmt, was unter Konzessionen im Sinne des GWB zu verstehen ist.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang § 103 Abs. 5. Dort werden erstmals Rahmenvereinbarungen definiert. Mit dieser unscheinbaren Änderung soll aber eine klare Aussage in Bezug auf eine lange Zeit streitige Frage getroffen werden. Die Festschreibung der Rahmenvereinbarung auf Ebene des GWB soll nämlich klarstellen, dass solche nicht nur im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen, sondern auch für freiberufliche und Bauleistungen möglich sein sollen.
§ 106 nimmt mit einer dynamischen Verweisung auf den jeweils geltenden Schwellenwert Bezug und ersetzt § 2 Abs. 1 der VgV überflüssig.
2. In-House-Geschäfte und Öffentlich-Öffentliche Partnerschaften
Wie vom BMWi angekündigt, sollen die Vorschriften des Art. 12 der Richtlinie 2012/24/EU und die Besonderheiten der beiden anderen Richtlinien zur Öffentlich-Öffentlichen Zusammenarbeit (In-House-Geschäfte und Interkommunale Kooperationen) im Wesentlichen „1:1“ ins deutsche Recht umgesetzt werden. Nach § 108 sind künftig also auch insbesondere sogenannte „Bottom-up-Vergaben“ von der Tochter an die Mutter und sogenannte „horizontale“ In-House-Geschäfte zwischen mehreren Töchtern einer gemeinsamen Mutter zulässig.
Eine Klarstellung hätte man sich hier bezüglich des Drittgeschäfts gewünscht: Ebenso wie die Richtlinie lässt § 108 nämlich offen, ob die beauftragte Gesellschaft bei einem horizontalen In-House-Geschäft im Wesentlichen nur für die gemeinsame Mutter oder auch für die beauftragende Schwester tätig sein darf. Letzteres lässt sich gut begründen, wenn man die Tätigkeiten für die Schwestergesellschaft letztlich als Tätigkeit für die gemeinsame Mutter einstuft. Dies setzt allerdings voraus, dass beide Schwestergesellschaften von nur einer einzigen Mutter beherrscht werden. In-House-Aufträge zwischen „Halbschwestern“, deren Muttergesellschaften nicht vollständig deckungsgleich sind, wären dann aber unzulässig.
3. Verfahrensarten
Erstmals umgesetzt werden soll die Gleichstufigkeit von Offenem und Nichtoffenem Verfahren. § 119 Abs. 2 erklärt, dass Auftraggebern beide Verfahren „nach ihrer Wahl“ zur Verfügung stehen. Aus europarechtlicher Sicht ist dies nicht neu. Auch Art. 28 der Richtlinie 2004/18/EG sah ein Nebeneinander beider Verfahrensarten vor. Dass das geltende GWB in § 107 Abs. 1 S. 1 einen Vorrang des Offenen Verfahrens bestimmt, wurde daher zuweilen als europarechtswidrig kritisiert.
4. Leistungsbeschreibung
Eine § 8 Abs. 1 EG VOL/A bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 1 EG VOB/A vergleichbare Regelung enthält § 121 Abs. 1. Danach muss die Leistungsbeschreibung alle für die Angebotserstellung erforderlichen Angaben enthalten. Außerdem muss die Leistung so eindeutig und erschöpfend beschrieben sein, dass alle Bieter sie in dem gleichen Sinn verstehen und die eingehenden Angebote miteinander vergleichbar sind.
Wer an dieser Stelle das Verbot ungewöhnlicher Wagnisse sucht, wird nicht fündig. Nachdem das OLG Düsseldorf entschied, dass das Verbot in der VOL/A 2009 nicht mehr gilt (hierzu Soudry, Vergabeblog vom 08.01.2012), hat sich das BMWi dazu entschieden, den Begriff nicht mehr – jedenfalls nicht übergreifend auf Ebene des GWB – wieder einzuführen. Ob er in der neuen VOB/A erhalten bleiben wird, bleibt abzuwarten.
5. Eignung
An den Regelungen über die Bietereignung lässt sich der neue Ansatz des BMWi gut erkennen: Sämtliche Regelungen, die für alle Auftragsvergaben gelten, sollen in das GWB „hochgezont“ werden. Die untergesetzlichen Regelungen werden so reduziert und die häufig ohne erkennbaren Grund bestehenden Detailunterschiede zwischen VOB/A, VOL/A und VOF fallen weg.
§ 122 bestimmt im Grundsatz, was unter der Eignung zu verstehen ist. Die §§ 123 und 124 enthalten anschließend Kataloge zwingender und fakultativer Ausschlussgründe. §§ 125 f. befasst sich erstmals mit dem Thema der Selbstreinigung und legen fest, unter welchen Bedingungen Unternehmen ihre Verfehlungen der Vergangenheit vergaberechtlich überwinden können „(vgl. Hettich/Soudry, Das neue Vergaberecht, S. 46 ff).
6. Vertragsänderungen
§ 132 setzt Art. 72 der Richtlinie um und bestimmt nun erstmals, unter welchen Voraussetzungen laufende Verträge geändert oder erweitert werden dürfen, ohne dass eine erneute Ausschreibung erforderlich wird. Auch insoweit hat sich der Gesetzgeber im Wesentlichen an den Richtlinientext gehalten.
Am praktisch relevantesten dürfte § 132 Abs. 3 werden. Danach ist die Beauftragung zusätzlicher Leistungen ohne weitere Begründung vergaberechtlich zulässig, wenn die Mehrleistungen höchstens 10 % des Gesamtauftragsvolumens (Bau: 15 %) betragen und zugleich für sich genommen unterhalb des Schwellenwerts liegen.
7. Kündigung öffentlicher Aufträge
Gänzlich neu ist § 133, der erstmals regelt, unter welchen Voraussetzungen öffentliche Auftraggeber einmal vergebene Aufträge wieder beenden können. Dies ist möglich, wenn
- eine wesentliche Vertragsänderung erfolgt
- zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung ein zwingender Ausschlussgrund vorlag oder
- der Vertrag unter schwerer Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften geschlossen wurde und bei ordnungsgemäßem Verfahren kein Zuschlag hätte erteilt werden dürfen.
Insbesondere der letzte Fall ist praktisch bedeutsam. Denn für Fälle, in denen der EuGH durch Urteil entscheidet, dass der Vertrag dem EU-Vergaberecht entgegensteht, war bislang unklar, wie die Beendigung des Vertrages vollzogen werden soll. § 133 sieht nun formal den Weg der Kündigung vor. Zwar wäre auch ein Verweis in das BGB denkbar gewesen. Hinter § 133 steckt jedoch die erklärte Absicht des BMWi, das Vergaberecht und das Zivilrecht zu trennen.
8. Besondere Verfahren
Die §§ 136 ff. enthalten eine Reihe von Vorschriften für besondere Fälle. Zum einen betrifft dies Ausnahmen vom Vergaberecht für Sektorenauftraggeber (bestimmte ausgenommene Aufträge und Aufträge an verbundene Unternehmen) und die anwendbaren Verfahrensarten. Zum anderen finden sich hier die Ausnahmen für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge und für Konzessionen.
Die Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen, zu denen künftig auch Postdienstleistungen gehören und für die ein eigener Schwellenwert von 750.000 Euro gilt, wird in §§ 130 und 153 geregelt. Auftraggeber haben hier die freie Wahl zwischen allen Verfahrensarten mit Ausnahme des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb.
9. Rechtsschutz
Die Vorschriften zum Rechtsschutz wandern von den bisherigen §§ 102 ff. GWB weit nach hinten und finden sich im Referentenentwurf unter §§ 155 ff. wieder.
Besonders zu erwähnen ist die Thematik der „unverzüglichen Rüge“. Seit dem Urteil des EuGH vom 28.01.2010 (Rs. C-406/08) besteht Unsicherheit bezüglich der Rechtmäßigkeit des Erfordernisses, behauptete Vergaberechtsverstöße unverzüglich zu rügen, bevor ein Nachprüfungsantrag gestellt wird. Zwar ist der Begriff der Unverzüglichkeit in § 122 BGB als „ohne schuldhaftes Zögern“ definiert. Wirkliche Klarheit, die der EuGH für rechtliche Ausschlussfristen fordert, bringt dies aber nicht.
Der Entwurf will die Problematik lösen, indem eine Rüge zwar weiterhin grundsätzlich Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsverfahrens bleibt. Allerdings fordert § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 nur noch, dass ein erkannter Verstoß vor dem Nachprüfungsantrag zu rügen ist. Die Ausschlussfrist des § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB (jetzt § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4), wonach ein Nachprüfungsantrag unzulässig ist, wenn dieser nicht innerhalb von 15 Kalendertagen ab Zurückweisung einer Rüge gestellt wird, bleibt unverändert bestehen. Dies gilt ebenso für die Obliegenheit, Rechtsverstöße in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen, die erkennbar sind, bis zum Ablauf der Angebotsfrist zu rügen.
[Anmerkung der Redaktion: Sehen Sie zu dieser Thematik die Entscheidung der VK Südbayern, Beschluss vom 18.03.2015, Z3-3-3194-1-62-12/14. Eine Besprechung dieser Entscheidung v
erscheint in Kürze]10. Die nächsten Schritte
Wie geht es nun weiter?
Der Referentenentwurf soll auf einer ersten Stufe die das GWB betreffenden Änderungen angehen. Die Änderung der Verordnungen soll folgen. Da es sich um den ersten Entwurf für einen neuen 4. Teil des GWB handelt, ist von einigen Änderungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auszugehen. Dessen nächste Schritte sind wie folgt geplant:
- Kabinettbeschluss zur GWB-Novelle: Frühjahr 2015
- Gesetzgebung Bundestag und Bundesrat: Herbst 2015
- Kabinettbeschluss zu den Verordnungen: Herbst 2015
- Bundesrat-Zustimmung: Winter 2015/2016
- Inkrafttreten Umsetzung: 18. April 2016
Das BMWi will alles tun, um, anders als bei den 2004er-Richtlinien, die Umsetzungsfrist für die Vergaberechtsreform einzuhalten. Angesichts des Umsetzungsbedarf ist das ein ehrgeiziges Ziel. Zudem beginnt nun die Anhörungsphase, in der die Verbände und beteiligten Kreise ihre Eingaben zur Umsetzung machen. Auch insoweit ist noch mit einigen Änderungen zu rechnen. Es bleibt also weiter spannend.
Anmerkung der Redaktion
Dieser Beitrag ist Teil der Serie: Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Entwurf). Weitere Beiträge zu der Thematik finden Sie auf der Serienseite, hier.
Die Vergaberechtsreform ist das Schwerpunktthema des 2. Deutschen Vergabetages 2015 – ausführliches Programm und Anmeldemöglichkeit hier.